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SARS-Virus-Entdecker: Vogelgrippe viel gefährlicher  
  Während in den vergangenen Tagen mehrere Experten die Chancen für eine weltweite Epidemie der in Südostasien grassierenden Vogelgrippe als gering einstuften, schlägt der Co-Entdecker des SARS-Virus nun Alarm.  
"SARS vor einem Jahr war ein 'Schwächling' im Vergleich zu den Gefahren der Vogelgrippe in Asien. Die derzeitige Situation mit der Vogel-Influenza hat alle Ingredienzien für eine neue Influenza-Pandemie", erklärte am Freitag der niederländische Veterinär und Virologe Albert Osterhaus bei einer Pressekonferenz in Wien.

1957 gab es durch eine solche Seuche zwei Millionen Tote. Kein Land der Welt sei heute ausreichend vorbereitet, so Osterhaus.
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Novartis Preise 2003
Osterhaus hielt am Freitag den Festvortrag bei der Überreichung der Novartis Preise 2003 für österreichische Life Sciences-Wissenschaftler am Novartis Forschungsinstitut in Wien. Unter den ausgezeichneten Projekten: Forschungen zu den Mechanismen, die zu Gelbsucht und anderen Lebererkrankungen führen, die Aufklärung von Struktur und Funktion von RNA-Erbsubstanz-Molekülen sowie chronische Entzündungen als Ursache für Gefäßverkalkung (Atherosklerose).
->   Mehr über die Preisträger 2003 (Novartis)
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Influenza-Viren viel infektiöser als SARS
Doch SARS ist für den Experten nur ein Beispiel: "Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gesehen, dass Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen überspringen. Bei SARS ist es durch eine enorme internationale Anstrengung gelungen, die Ausbreitung zu verhindern. Doch die SARS-Erreger sind längst nicht so infektiös wie Influenza-Viren. Würde aus der Vogelgrippe eine von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheit entstehen, könnten wir eine Ausbreitung wahrscheinlich nicht verhindern. Influenza-Viren sind einfach zu infektiös und verbreiten sich wie ein Buschfeuer."
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Zehn Tage für Sequenzierung des SARS-Erreger
Albert Osterhaus und sein Team vom Erasmus Medical Center in Rotterdam konnten etwa vor einem Jahr unter anderem durch die Untersuchung von Proben von SARS-Patienten und die nachfolgende künstliche Infektion von Affen (Makaken) beweisen, dass ein Corona-Virus die Lungenerkrankung auslöst. Der Fachmann: "Wir haben mit 13 Labors international zusammengearbeitet. Man muss sich die Schnelligkeit vorstellen: Für die Sequenzierung des Aids-Virus benötigte man ehemals zwei Jahre. Bei dem SARS-Erreger haben wir das in zehn Tagen geschafft."
->   WHO identifiziert eindeutig SARS-Erreger (16.4.03)
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Furcht vor Pandemie
Was den niederländischen Tierarzt und Virologen besonders Sorgen macht, ist die Möglichkeit einer neuen Influenza-Pandemie: "Bis 1997 haben wir geglaubt, dass die Vogelgrippe-Viren nicht auf den Menschen überspringen könnten. Doch diese Annahme war falsch. In Hongkong mussten 18 Patienten in Spitäler aufgenommen werden, sechs starben. Vergangenes Jahr hatten wir in den Niederlanden einen Ausbruch der H7N7-Vogelgrippe. Ein Tierarzt starb. 30 Millionen Hühner wurden geschlachtet.

Das in Asien derzeit grassierende H5N1-Virus ist offenbar noch nicht gut an den Menschen adaptiert. Aber je stärker es sich verbreitet, desto größer wird die Chance dafür. Wir müssen uns für einen solchen Fall vorbereiten. Man kann nicht Feuerlöscher kaufen, wenn das Haus bereits brennt."
Schutz: Kleidung, Medikamente, Impfung
Forderungen des niederländischen Experten: Alle von der Vogelgrippe betroffenen Staaten müssen die rigorosesten Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche treffen. Schutzkleidung muss für Bauern und Beschäftigte in Hühnerzuchtfarmen bereitgestellt werden.

Weiters sollte prophylaktisch das Influenza-Medikament Oseltamivir ("Tamiflu") verwendet werden. Am besten sollte auch die EU sollte einen Vorrat an dem Medikament anlegen. Schließlich sollten möglichst viele Menschen gegen die "normale" Influenza geimpft sein.

Osterhaus: "Dadurch könnte man die Co-Infektion von Menschen durch die Vogelgrippe und die 'humane' Influenza verhindern." Bei einer solchen Doppel-Infektion könnte ja ein neues Influenza-Virus entstehen.
Bessere Vorsorgemaßnahmen
In Zukunft sollten noch weiter Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Der Experte: "Die Vogelgrippe springt von Wandervögeln auf das Geflügel von Zuchtfarmen über. Wir überwachen in den Niederlanden gemeinsam mit Vogelkundlern die Virusinfektionen von Wandervögeln. Damit wissen wir, welche Viren bei ihnen im Umlauf sind. Das H7N7-Virus konnten wir schon ein bis zwei Jahre vor dem Ausbruch bei den wild lebenden Vögeln nachweisen."

Durch die vorsorgliche Produktion von Kandidat-Vakzinen könnte auch die Reaktionszeit auf eine neue Pandemie verkürzt werden.
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"Glückliche Hühner" verbreiten Virus
Paradoxerweise dürften laut Osterhaus ausgerechnet die "glücklichen Hühner" - also Freilandhühner - zur Verbreitung der Vogelgrippe beitragen. Osterhaus: "Sie werden zum Beispiel durch Exkremente von Wandervögeln mit den Viren infiziert."
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Viele Faktoren ungeklärt
Noch aber sind für die Wissenschaft viele Faktoren ungeklärt, die zur Entstehung einer eventuellen neuen Influenza-Pandemie beitragen könnten. Osterhaus: "Wir wissen nicht, was manche Influenza-Viren so gefährlich macht. Man müsste dazu die genetische Information eines für den Menschen wenig infektiösen Vogelgrippe-Virus mit einem Pandemie-Virus vergleichen. Dazu müsste man ein solches gefährliches Virus künstlich im Labor erschaffen. Das dürften aber nur besonders verantwortungsvolle Wissenschaftler in einem Labor der höchsten Sicherheitsstufe 4 tun. Wir haben uns in den Niederlanden vorerst dazu entschlossen, solche Versuche nicht zu machen."
Vielleicht Hype, vielleicht nicht
Möglicherweise ginge die Gefahr durch die Vogelgrippe wieder vorbei. Doch die Welt sollte die Chance nicht verpassen, sich auf eine Influenza-Pandemie vorzubereiten: "Vielleicht ist das ein 'Hype'. Aber wir sollten ihn wenigstens nützen. Wir wissen nicht, wann eine neue Influenza kommt. Wir wissen aber, dass das eines Tages der Fall sein wird."
->   Mehr über Albert Osterhaus (European Scientific Working Group on Influenza)
->   Das science.ORF.at-Archiv zum Thema SARS ...
->   ... und zur Vogelgrippe
 
 
 
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01.01.2010