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Artenreichtum in Pilzeform auf Wiener Monumenten  
  Dem Wiener Kunst- und Kulturgut wird seit kurzem eine etwas zweifelhafte Ehre zuteil: Die Gesteinsoberflächen historischer Gebäude und Monumente wie Rathaus oder Pestsäule zeichnen sich durch eine hohe Artenvielfalt an Pilzen aus, wie eine Wiener Geomikrobiologin in ihrer vom FWF geförderten Forschungsstudie belegen konnte. Darüber freuen sich zwar die Ökologen, den Restauratoren sind die das Material zerstörerenden Mikroorganismen allerdings ein Dorn im Auge.  
Dass die historischen Gebäude und Monumente Wiens für Künstler und Kulturinteressierte einen "intellektuellen Nährboden" darstellen, ist gemeinhin bekannt.

Dass das Rathaus, das Parlament oder die Pestsäule ein perfektes Ökosystem für Mikroorganismen sind - und damit einen wesentlichen Beitrag zur Artenvielfalt leisten, hat nun die Mikrobiologin Katja Sterflinger im Rahmen ihres groß angelegten Forschungsprojekts zur "Biodiversität von Pilzen auf Gesteinen und Monumentoberflächen" festgestellt.
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Untersuchung via Licht- und Rasterelektronenmikroskop
Im Zuge ihres vom Wissenschaftsfonds (FWF) verliehenen Lise-Meitner-Stipendiums hat die Wissenschaftlerin vom Institut für Angewandte Mikrobiologie an der Wiener BOKU Proben von den Gesteinsoberflächen genommen und diese mit dem Licht- und Rasterelektronenmikroskop auf Pilzbefall untersucht.
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
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Proben vom Rathaus zeigen 69 Pilzstämme
Bild: Universum Magazin
Mikroskopische Aufnahme eines isolierten Pilzes (Aureobasidium pullulans)
Ein mikroskopischer Blick auf die Fassaden des Rathauses und des Naturhistorischen Museums, die Figuren des Parlamentgebäudes oder die Verzierungen der Pestsäule offenbart: Auf den Gesteinsoberflächen dieser historischen Monumente wimmelt es nur so von verschiedenen Pilzarten.

Ein Beispiel: "Allein von den zehn am Rathaus entnommenen Proben konnten wir 69 Pilzstämme isolieren", erläutert Sterflinger. "Die Proben von der Fassade des Naturhistorischen Museums zeigen 38 verschiedene Arten inklusive zwei weiterer Stämme, die zusätzlich auf den Skulpturen isoliert werden konnten."
Pilze gedeihen prächtig auf Kunst und Kultur
Pilze gedeihen also auf Wiener Kunst- und Kulturgut besonders prächtig. Für die so genannte Materialökologie - eine relativ neue wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen anorganischen Materialien wie Stein oder Glass und Mikroorganismen beschäftigt - sind diese Gesteinsoberflächen demnach perfekte Forschungsobjekte.
Restauratoren zeigen sich weniger begeistert
Bild: Universum Magazin
Das Parlament in Wien
Weniger begeistert ob der riesigen Artenvielfalt und Menge an Mikroorganismen zeigen sich Kunstliebhaber und Restauratoren: Denn die Mikroorganismen zerstören mit ihren Stoffwechselprodukten und Ablagerungen sukzessive das Gestein und die Oberfläche der Monumente. "Pilze scheiden beispielsweise Biopigmente aus, die Farbveränderungen verursachen können", so die Wissenschaftlerin.

"Die ausgeschiedene organische Säure verätzt die Materialien und löst kalkige Bindemittel." Darüber hinaus üben die Pilze im Inneren vom Gestein Druck aus, der zur mechanischen Absprengung von Gesteinspartikeln führen kann.

Ein Beispiel aus der Studie: An den Figuren des Parlaments besiedelt die schwarze Hefe Aureobasidium pullulans die Spalten und Risse des Marmors und beschleunigt dadurch das Abbrechen von Bruchstücken. Häufigstes und sofort sichtbares Problem: Durch das intensive Wachstum bilden die Pilze schwarze Krusten auf der Oberfläche aus.
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Auch NHM-Skulpturen zeigen schwarze Flecken
"Die Skulpturen des Naturhistorischen Museums weisen beispielsweise derartige schwarze Flecken auf, deren Ursache nach unseren Analysen der Pilzstamm Coniosporium perforans ist", so Sterflinger. "Diese Art wurde erstmalig auf den Marmoren von Delos in Griechenland isoliert und beschrieben. Nach diesen aktuellen Ergebnissen muss dieser aber allgemein als einer der häufigsten gesteinsbesiedelnden Pilze angesehen werden."
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Ursachen der prächtig gedeihenden Ökosysteme
Warum vermehren sich die Mikroorganismen derart gut auf Wiens Gebäuden? "Die Pilze dürften einerseits zuwenig Raumkonkurrenz durch Flechten haben, andererseits bieten die Gesteine durch die Überdüngung mit organischen Luftbestandteilen ideale Wachstumsbedingungen", so Sterflinger.

Interessantes Laborergebnis: Keiner der isolierten Pilzstämme produziert Säure, die die Oberfläche verätzen könnte. Das erklärt auch, warum auf keinem Stein die für biogene Verätzungen typischen Spuren gefunden wurden.
Studie als Grundlage für Restauratoren
Für die Restauratoren bieten die Untersuchungsergebnisse von Sterflinger beziehungsweise die Dokumentation der verschiedenen Pilzstämme und ihrer Verhaltensweisen eine wesentliche Grundlage, um den Mikroorganismen langfristig Herr zu werden und die voranschreitende Beschädigung der historischen Gebäude und Monumente zu bremsen.

"Alle im Rahmen des Projekts isolierten Pilzstämme wurden in der Stammsammlung des Österreichischen Zentrums für Biologische Ressourcen und Angewandte Mykologie an der BOKU konserviert und fast vollständig molekular bestimmt", resümiert die Stipendiatin.

Künftig will Sterflinger noch weitere Gebäude und Monumente unter die Lupe nehmen sowie Strategien zur Vermeidung und Bekämpfung des mikrobiellen Befalls zu entwickeln.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Institut für Angewandte Mikrobiologie der BOKU
->   Universum Magazin
->   Mehr zu Pilzen im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010