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Neuer Materiezustand: Erstes fermionisches Kondensat hergestellt  
  Neuer Erfolg bei der Manipulation der Materie: US-Amerikanische Forscher stellten erstmals ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat aus Teilchen her, die sich von Rechts wegen gar nicht so verhalten dürften. Die Physiker verwendeten dafür Kalium-Atome, die der Klasse der Fermionen zugerechnet werden. Daher wird der neue Zustand auch "fermionisches Kondensat" genannt.  
Wie eine Arbeitsgruppe um Deborah S. Jin von der University of Colorado in einer aktuellen Publikation berichtet, gelang dieses Kunststück, indem man die Atome bei extrem tiefen Temperaturen paarweise in einem Magnetfeld anordnete, sie jedoch nicht zur endgültigen Molekülbindung kommen ließ.
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Die Studie "Observation of Resonance Condensation of Fermionic Atom Pairs" von C. A. Regal, M. Greiner und D. S. Jin erschien in der Fachzeitschrift " Physical Review Letters (Band 92, 040403, Ausgabe vom 30.1.04).
->   Zum Original-Abstract
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Manipulation der Natur: Immer extremer
Immer rasanter geht der wissenschaftliche Wettlauf um die Herstellung neuer und noch extremerer Materiezustände. Von der Vorhersage der Existenz äußerst eigentümlicher Teilchenkollektive im Jahr 1924 dauerte es sieben Jahrzehnte, bis diese im Laborversuch bestätigt wurde.

Diese erste Realisierung eines - heute so genannten - Bose-Einstein-Kondensats (BEC) im Jahr 1995 wurde sechs Jahre später mit dem Nobelpreis belohnt. Seit damals überschlugen sich jedoch förmlich die Ereignisse.
->   Physik-Nobelpreis 2001 für Bose-Einstein-Kondensat (9.10.01)
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Das Bose-Einstein-Kondensat
Die Physiker Albert Einstein und Satyendra Bose berechneten im Jahr 1924, dass gewisse Teilchentypen - so genannte Bosonen - einen Zustand einnehmen könnten, in dem alle die selbe (niedrigst mögliche) Energie aufweisen. In diesem Zustand können die Wellenfunktionen der Teilchen "verschmelzen", sodass ihre physikalischen Eigenschaften nicht mehr unterscheidbar sind. Das heißt, die einzelnen Atome verhalten sich dann so, als ob sie zu einem großen "Superatom" gehörten.
->   Bose-Einstein-Kondensat bei Wikipedia
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Seit 1995 überschlagen sich die Ereignisse
Mehrmals jährlich berichteten internationale Forschergruppen seit dem Durchbruch im Jahr 1995 von Erfolgen in weiteren Experimenten.

Neuartige Atomarten, Aggregatszustände oder Teilchenanordnungen - die Materie wurde seitdem in allen erdenklichen Konformationen in den atomaren Gleichschritt des BEC gezwungen.
Meilenstein: BEC aus Molekülen
Die seitdem bedeutendste Wegmarke wurde wohl gegen Ende des letzten Jahres überschritten. Damals gelang es zwei Forscherteams ein Kondensat aus Molekülen - anstatt wie bisher aus Atomen - herzustellen.

In der vordersten Position dieses akademischen Rennens befindet sich auch eine österreichische Arbeitsgruppe. Experimentalphysiker um Rudolf Grimm von der Uni Innsbruck realisierten im November 2003 ein aus Lithium-Molekülen bestehendes BEC.
->   Erstes Bose-Einstein-Kondensat aus Molekülen erzeugt (13.11.03)
Problem: Fermionen fröhnen dem Individualismus
Dabei galt es, eine natürliche Hürde zu umgehen: Die verwendeten Lithium-Atome werden zur Klasse der Fermionen (also Teilchen mit halbzahligem Spin) gerechnet.

Deren Verhalten wird durch eine spezielle Statistik beschrieben, die genau jenen eigentümlichen atomaren Gleichschritt verbietet, den Bose und Einstein im Jahr 1924 vorhergesagt haben. Denn: Das Phänomen gilt nur für die Teilchen, die zur Klasse der Bosonen (d.h. solche mit ganzzahligem Spin) gehören.
Der Trick mit dem Spin
Finden sich allerdings zwei Teilchen mit halbzahligem Spin zusammen und bilden ein Molekül, dann ergibt das nach Adam Riese eine ganze Spinzahl - und schon steht der Kondensatbildung nichts mehr im Wege.

Genau das machten Grimm und seine Mitarbeiter, und zwar mit durchschlagendem Erfolg.

Eine ähnliche Strategie verfolgte auch eine zweite Arbeitsgruppe, der ebenfalls das erwähnte molekulare Kunststück gelang. Deborah S. Jin und ihre Mitarbeiter verwendeten für ihr Experiment im November 2003 allerdings Kalium-40-Atome.
Physikalisches Oxymoron: "Fermionisches Kondensat"
Nun sorgen die US-Amerikaner erneut für Aufregung: Sie realisierten ein "fermionisches Kondensat". Da Fermionen zu solch einem Verhalten definitionsgemäß gar nicht imstande sind, stellt dieser Begriff eigentlich einen Widerspruch in sich dar.

Tatsächlich machten die Physiker aus Colorado folgendes: Sie kühlten 500.000 Kalium-Atome auf die Extremtemperatur von 50 Nanokelvin ab und zwangen sie mithilfe eines speziellen Magnetfeldes in eine paarweise Anordnung.
Paare ohne Molekülbindung
Das Magnetfeld wurde jedoch so kurzfristig angelegt, dass die Atompaare keine echte Bindung eingehen konnten. So behielten die Teilchen des Gases ihren fermionischen Charakter weitgehend bei und bildeten trotzdem eine charakteristische Kondensatwolke.

Tieftemperatur-Physiker Charles Adams von der University of Durham bezeichnet dieses Experiment gegenüber dem Onlinedienst der Zeitschrift "Nature" als "großen Durchbruch". Die Autoren erhoffen sich von dem nun realisierten Zustand neue Erkenntnisse zum Thema Supraleitung und Superfluidität.
->   "Nature Science Update"
->   Website von Deborah Jin (Univ. Colorado)
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01.01.2010