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Ohr kontra Auge: Wie man das Gehirn überlistet  
  Den meisten Menschen wird es im Alltag kaum auffallen - doch tatsächlich setzt man unterschiedlich großes Vertrauen in die verschiedenen Sinne. Geht es etwa um die Lokalisierung einer Lautquelle, so zieht man in der Regel die Augen den Ohren vor. Wissenschaftler haben nun ausprobiert, ob diese Vorliebe des Gehirns auch überlistet werden kann - und wollen genau jenen Effekt mit einem simplen Trick erreicht haben.  
Die beiden Forscher David Alais und David Burr vom Istituto di Neuroscienze del CNR in Italien stellten ihre Ergebnisse zum "umgekehrten Bauchreden", wie sie den beobachteten Effekt tauften, im Fachmagazin "Current Biology" vor.
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Die Studie "The ventriloquist effect results from near-optimal bimodal integration" von David Alais und David Burr ist erschienen in "Current Biology", Bd. 14, Seiten 257 - 262, Ausgabe vom 3. Februar 2004.
->   Abstract des Artikels in "Current Biology"
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Kino oder Fernsehen: Der "Bauchredner-Effekt"
Der Terminus ist natürlich als Anspielung zu verstehen - denn Grundlage der Untersuchung war der altbekannte "Bauchredner-Effekt", dem jeder Mensch beispielsweise beim Fernsehen oder im Kino unterliegt.

Ein Laut oder ein Sprachsignal scheint vom Bildschirm bzw. den dort dargestellten Schauspielern zu kommen, tatsächlich aber dringen die Schallwellen von einer ganz anderen, meist seitlich platzierten Quelle - aus Lautsprechern - an das Ohr der Zuhörer.

Jener Hang zum visuellen Sinn als Referenz für die Lokalisation von Lautsignalen wird auch vom Bauchredner ausgenutzt, daher der Name.
Ursache: Sinne unterschiedlich empfindlich
Die Ursachen vermuten Wissenschaftler in der unterschiedlichen Sensitivität der Sinne. Während die Retina des Auges sehr empfindlich für die Richtung ist, aus der Licht auf sie trifft, reagiert das Ohr gegenüber der Lautrichtung weit weniger sensibel.
Dominiert das Auge immer über das Ohr?
Bislang wurde angenommen, dass jene Präferenz grundsätzlich besteht. Mit anderen Worten: In solchen Situationen sollte das Auge immer über das Ohr dominieren. Doch wie der Online-Nachrichtendienst von "Nature" nun berichtet, ist es Alais und Burr nun gelungen, diese Vorliebe gleichsam auszutricksen.
Das Vertrauen ist ausschlaggebend
Denn: Visuelle und auditorische Signale werden vom Gehirn jeweils gegeneinander "abgewogen", meinen die beiden Forscher. Ein Sinn muss dabei den anderen kompensieren, wenn jener als nicht ganz so vertrauenswürdig eingestuft wird.

"Wovon man stärker überzeugt ist, dem gibt man mehr Gewicht", erläutert David Burr die Ergebnisse des Teams.
Erste Testreihe verglich beide Sinneswahrnehmungen
Die Wissenschaftler verglichen zunächst beide Sinneswahrnehmungen mithilfe eines einfachen Tests: Probanden mussten dabei kleine Bewegungen eines Stimulus bestimmten, dieser betraf einmal die Augen, ein weiteres Mal die Ohren.

Beim visuellen Test ließen die Forscher nacheinander zwei Kreise auf einem Bildschirm aufblitzen, die Testpersonen mussten den etwas weiter zur Linken gelegenen bestimmen. Ebenso wurden kurz hintereinander zwei Töne gespielt, wobei die Probanden erneut den etwas nach links verrutschten bestimmen sollten.

Die Ergebnisse jener Vergleichsstudie fielen ganz wie erwartet aus: Die Probanden schnitten bei der Lokalisierung der Kreise sehr viel besser ab, als bei der korrekten Richtungsbestimmung der Lautsignale.
Testreihe II: Kombination beider Stimuli
Doch nun kam der eigentliche Teil der Untersuchung: Die Forscher kombinierten einfach die visuellen und auditorischen Stimuli - Kreis und Laut erschienen zur gleichen Zeit, gefolgt vom zweiten Paar. Nun mussten die kombinierten Siganle lokalisiert werden.

Was die Probanden allerdings nicht wussten: Lautsignal und Kreisbild transportierten mitunter widersprüchliche Infornmationen. In manchen Fällen war etwa der Kreis leicht nach links versetzt, während der Ton eher von rechts kam.
Beobachtung des "umgekehrten Bauchredens"
Hier zeigte sich nun ein interessantes Muster. Waren die Kreise nämlich kleiner und ihre Ränder klar abgegrenzt, so verließen sich die Versuchsteilnehmer wie gehabt eher auf ihre Augen.

Doch wenn sich die Kreise größer und unschärfer präsentierten, wurden die zuvor vernachlässigten Ohren immer wichtiger. Die Probanden setzten nun stärker auf die Lautsignale, um die beiden Stimuli zu orten.

Jenen Effekt tauften die Wissenschaftler "umgekehrtes Bauchreden" und führen diesen darauf zurück, dass die großen und verschwommenen Kreise als weniger vertrauenswürdig eingestuft werden.
Bestes Ergebnis mit "ausgeglichenen" Stimuli
Wie das Gehirn jenen "Vertrauensvergleich" bewerkstelligt, wissen die Forscher zwar noch nicht.

Doch wenn beide Stimuli perfekt ausgeglichen waren, so arbeiteten nach Angaben von Alais und Burr beide Sinne zusammen - und lieferten ein genaueres Ergebnis zur Lokalisation, als dies nur eine Wahrnehmung ergeben könnte.
->   Istituto di Neuroscienze del CNR
->   "Nature Science Update"
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Der Mensch: Gehör und Geruchssinn ausschlaggebend? (11.12.03)
->   Kopfposition und Akustik: Wie das Gehirn die Sinne integriert (17.12.02)
->   Das Bindungsproblem: Wie entsteht die Welt im Kopf? (17.7.02)
 
 
 
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01.01.2010