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Immer noch aktuell: Zum 200. Todestag Immanuel Kants  
  Das Denken von Immanuel Kant erweist sich auch zu seinem 200. Todestag (12.2.) als höchst aktuell. Der vermeintlich abstrakte Philosoph plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit sich und mit anderen Menschen. Er warnt vor der gewalttätigen Einmischung eines Staates in die Regierung eines anderen Staates. Und den religiösen Fanatismus bezeichnet er als "bloßen Religionswahn" und "Fetischdienst".  
Kein naiver Philosoph
Kant war - im Gegensatz zu vielen seiner philosophischen Kollegen - nicht naiv. Er teilte die Auffassung des englischen Philosophen Thomas Hobbes, dass der Mensch mit einer Wolfsnatur ausgestattet sei. Er sah den Menschen als ein Tier, "das einen Herrn über sich braucht."
Selbstdenken
Gegen Fanatismus, Unvernunft, Dogmatismus oder Autoritätsgläubigkeit empfahl Kant ein Rezept: Das Selbstdenken. "Selbstdenken heißt" - so formulierte er - "den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst suchen". Seine gesamte philosophische Arbeit kann als Aufforderung zum Selbstdenken verstanden werden.
Mut zur Mündigkeit
Kant forderte das Individuum auf, sich aus dem Zustand der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Unter Unmündigkeit verstand er die kritiklose Aneignung von politischen Programmen oder den religiösen Aberglauben. Die Voraussetzung für Mündigkeit ist der Mut, "sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen".
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Kant-Symposion
Anlässlich seines 200. Todestages findet vom 4. bis 6. März in Wien das internationale Symposium "Immanuel Kant: Recht / Geschichte / Religion" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften statt.
->   Mehr über das Symposion (ÖAW)
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Lebte und arbeitete in Königsberg
Bild: dpa
Immanuel Kant wurde als Sohn eines streng pietistischen Riemermeisters am 22. April 1724 in Königsberg in ärmlichen Verhältnissen geboren. Nach jahrelanger Tätigkeit als Hauslehrer erhielt er 1755 eine Privatdozentur an der Universität Königsberg.

Als Privatdozent hatte Kant ein weites Betätigungsfeld. Er hielt Vorlesungen über Metaphysik, Moralphilosophie, Mathematik, Anthropologie, Geografie und Pädagogik. Die Professur, die Kant 1770 erhielt, ermöglichte es ihm, sein gesellschaftliches Leben zu erweitern.

Königsberg ist auch der Entstehungsort seiner philosophischen Hauptwerke. Die "Kritik der reinen Vernunft" - Produkt einer fast zehnjährigen Arbeit - erschien 1781, wurde vorerst kaum beachtet und stieß auf Unverständnis. 1788 publizierte Kant die "Kritik der praktischen Vernunft"; 1790 folgte die "Kritik der Urteilskraft". Seine letzten Jahre zeichneten sich durch einen Verfall seiner körperlichen Kräfte aus. Am 12. Februar 1804 verstarb Kant, angeblich mit den Worten "Es ist gut".
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Literatur zur Biografie
Steffen Dietzsch. Immanuel Kant,. Eine Biografie, Reclam Leipzig
Manfred Geier: Kants Welt. Rowohlt
Manfred Kühn: Kant. Eine Biografie. C.H. Beck
->   Mehr zur Kant-Biografie von Manfred Kühn (oe1.ORF.at)
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Zentrale Fragen Kants
Im Mittelpunkt der Philosophie Immanuel Kants steht die Frage "Was ist der Mensch?" Der Mensch stellt sich grundsätzlich drei Fragen: "Was kann ich wissen?", "Was soll ich tun?", "Was darf ich hoffen?". Diese drei Fragen, die für theoretische Vernunft, Ethik und Ästhetik stehen, behandelt er in seinen drei Kritiken.
"Kritik der reinen Vernunft" oder "Was kann ich wissen?"
In der "Kritik der reinen Vernunft" befasst sich Kant vorerst mit den philosophiegeschichtlichen Voraussetzungen, die seinem kritischen Denken vorausgehen. Er wendet sich gegen den Rationalismus, der ein reines Denken propagiert, aber auch gegen den Empirismus, für den bloß die sinnlichen Erfahrungen zählen.
Kopernikanische Wende
Die kritische Prüfung der beiden philosophischen Strömungen führt Kant zu einem Denkmodell, das als "Kopernikanische Wende" die Geschichte der Philosophie entscheidend veränderte. Der zentrale Gedanke lautet: "Der Verstand schöpft seine Gesetze - a priori - nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor".

Objekte werden also nicht als "Dinge an sich" erkannt, sondern durch die strukturelle Beschaffenheit des Subjekts. Die Vernunft kann nur das an der Natur erkennen, was sie vorher in sie hineindenkt.
Wie ist Erkenntnis möglich?
Kant analysiert die sinnliche Wahrnehmung und entdeckt zwei Formen reiner sinnlicher Anschauung. Raum und Zeit. Diese beiden Formen strukturieren die Empfindungen, die dann vom Verstand zu Begriffen geformt werden.

Mittels der Kategorien werden die Begriffe zu Urteilen verbunden, die vom Verstand wie Stempel in die sinnlichen Wahrnehmungen hinein geprägt werden. Diese Erkenntnisweise beschränkt sich jedoch nur auf die Welt der Erscheinungen.
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Programmhinweis: Ö1-Dimensionen
Mehr zu dem Thema in den Ö1-Dimensionen am 11. Februar 2004 um 19.05 Uhr.
->   Ö1
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Die Grenzen der Vernunft
Will die Vernunft etwas über das "Ding an sich", also über das Wesen der Wirklichkeit etwas aussagen, verwickelt er sich in Widersprüche. Die klassischen Probleme der Metaphysik wie Gott, Unsterblichkeit, Seele oder Freiheit entziehen sich dem Geltungsbereich der Vernunft; sie kann keine kompetenten Aussagen über diese metaphysischen Prinzipien liefern.
Kant - der "Alleszermalmer"
"Das 'Ding an sich' - also jene Welt, die oft mit dem Bereich des Transzendenten gleichgesetzt wurde - ist für uns nicht erreichbar. "Der kritische Weg allein ist offen". Für Kants Zeitgenossen war diese Destruktion der metaphysischen Werte ein Schock: ihm wurde vorgeworfen, als "Alleszermalmer" zu agieren.
"Kritik der praktischen Vernunft" oder "Was soll ich tun?"
Kants zweites Hauptwerk "Die Kritik der praktischen Vernunft" geht von der Frage aus: "Was soll ich tun?" Von Jean-Jacques Rousseau wurde er auf die Unzulänglichkeit der Menschen hingewiesen. Deswegen war es für Kant unabdingbar, eine universelle Ethik zu entwickeln, die von den empirischen Unzulänglichkeiten absah. Als oberstes Prinzip der Ethik formulierte Kant den Kategorischen Imperativ.

"Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne".
Kritik am Universalismus
Der universalistische Charakter der Kant'schen Morallehre stieß schon bei den Zeitgenossen auf heftigen Widerstand. Sie wurde als leere Begriffsabstraktion bezeichnet, Friedrich Nietzsche sprach von einem "Hirngespinst", Moritz Schlick bezeichnete "Kants Konstruktion als Verstoß gegen die psychologischen Tatsachen" und die Kantkritiker Hartmut und Gernot Böhme verstiegen sich gar zu der Behauptung, dass "solche Manöver aus Wahnsystemen gut bekannt seien".
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Hartmut Böhme/GernotBöhme: Das Andere der Vernunft, suhrkamp taschenbuch wissenschaft Band 542
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"Kritik der Urteilskraft" oder "Was darf ich hoffen?"
"Was darf ich hoffen?" - Mit dieser Frage beschäftigt sich Kant in der "Kritik der Urteilskraft". In dieser äußerst subtil gearbeiteten Schrift geht es um das Verhältnis des Menschen zur Kunst und zur Schönheit. In der Schönheit des Kunstwerks erfüllt sich ein Glücksverlangen des Menschen, "in dem Empfindung, Lust und Genuss berechtigt und geheiligt sind" (G.W.F.Hegel über die "Kritik der Urteilskraft".)
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Birgit Recki: Ästhetik der Sitten, Klostermann
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Fazit
Das eigene Glücksverlangen beschrieb Immanuel Kant folgendermaßen: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir".

Niki Halmer, Ö1-Dimensionen
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Literaturhinweise:
Immanuel Kant: Werkausgabe in 12 Bände, suhrkamp taschenbuch wissenschaft
Volker Gerhardt: Immanuel Kant. Vernunft und Leben, Reclam Stuttgart.
Gerd Irrlitz: Kant Handbuch. Leben und Werk. J.B.Metzler
Ursula Pia Jauch: Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz, Passagen
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->   Zum 200.Todestag: Neue Werke über Immanuel Kant (19.1.04)
 
 
 
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01.01.2010