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Schlüsselprotein der Blutgerinnung entdeckt  
  Die Blutgerinnung ist ein hochkomplizierter Prozess. Stockt der "Lebenssaft" zu schnell, drohen Gefäßverschluss und Schlaganfall, gerinnt er dagegen zu langsam, können die Betroffenen verbluten. Seit Jahren haben Forscher weltweit vergeblich nach einem spezifischen Eiweißstoff gefahndet, das etwa dafür verantwortlich ist, dass lebenswichtige Medikamente zur Blutverdünnung bei manchen Menschen nicht wirken. Deutsche Forscher haben jenes Schlüsselprotein nun entdeckt.  
Ein Team von deutschen Forschergruppen unter Federführung von Wissenschaftlern des Biozentrums der Universität Würzburg stellt die Ergebnisse nun im Fachmagazin "Nature" vor, dem diese Entdeckung immerhin die Titelgeschichte wert war.
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Der Artikel "Mutations in VKORC1 cause warfarin resistance and multiple coagulation factor deficiency type 2" ist erschienen in "Nature", Bd. 427, Seiten 537 - 541, Ausgabe vom 5. Februar 2004 (doi:10.1038/nature02214).
->   Abstract des Artikels in "Nature"
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Der komplizierte Prozess der Blutgerinnung
Die Blutgerinnung ist ein hochkomplizierter Prozess, an dem ein gutes Dutzend Gerinnungsfaktoren und enzymatische Schaltkreise beteiligt sind. Zur Entfaltung ihrer vollen Aktivität benötigen gleich mehrere Gerinnungsfaktoren das Vitamin K, das der Mensch mit der Nahrung zu sich nimmt.

Wenn allerdings die Aufnahme von Vitamin K im Magen-Darm-Trakt gestört ist, gerät auch die Blutgerinnung durcheinander. Erfüllt das Vitamin K seine Funktion beispielsweise bei einer Lebererkrankung nicht mehr richtig, besteht ebenfalls ein erhöhtes Blutungsrisiko.

Es gibt aber auch seltene Erbkrankheiten, bei denen die von Vitamin K abhängigen Gerinnungsfaktoren von Geburt an vermindert sind. Früher starben die betroffenen Kinder kurz nach der Geburt an Gehirnblutungen. Heute werden sie meist durch eine rechtzeitige Behandlung gerettet.
Gendefekt aufgeklärt: Unbekanntes Protein gefunden
Bild: Simone Rost
Das rote Geflecht rund um die dunkleren, ovalen Zellkerne enthält auch das neu entdeckte VKOR-Protein. Die grüne Farbe zeigt ein anderes Protein an, das gleichmäßig in der Zelle verteilt ist.
Jenen Gendefekt, der in diesen Familien zur erhöhten Blutungsneigung führt, haben die Forscher jetzt aufgeklärt. Die Wissenschaftler sind nach jahrelanger biologischer Detektivarbeit auf ein bisher unbekanntes Protein gestoßen, das eine zentrale Rolle im Vitamin-K-Stoffwechsel spielt.

Es handelt sich um eine Hauptkomponente des seit langem gesuchten Proteinkomplexes Vitamin-K-Epoxid-Reduktase (VKOR). Dessen Aufgabe besteht darin, verbrauchtes, inaktives Vitamin K wieder in seine aktive Form zu überführen.

Ist diese Umwandlung durch Mutationen im VKOR-Gen gestört, kommt es unweigerlich zur Blutungsneigung. Das ist der Fall bei den Familien, welche die Würzburger Wissenschaftler untersucht haben.
Wirkmechanismus eines Medikamentes aufgeklärt
Den Forschern gelang es damit gleichzeitig, den Wirkungsmechanismus eines in der Medizin sehr häufig eingesetzten Medikaments zur Blutverflüssigung aufzuklären.

Weit mehr als 100.000 Menschen werden allein in Deutschland nach Herzklappenoperationen, Gefäßverschlüssen oder Schlaganfällen mit diesen Arzneien behandelt. Dabei kommt häufig Marcumar zum Einsatz.
Gefährliche "Resistenzen" gegenüber Marcumar
Bei einigen Menschen reicht das Medikament - in der gängigen Dosierung - allerdings nicht aus, um die gewünschte Blutverflüssigung zu erzielen.

Diese seltenen, gegenüber Marcumar unempfindlichen Patienten wurden als "Marcumar-resistent" bezeichnet, ohne dass man die Ursache dieser Unempfindlichkeit kannte. In den USA und England wird anstelle von Marcumar das verwandte Medikament Warfarin eingesetzt, weswegen man dort von der "Warfarin-Resistenz" spricht.

Verantwortlich dafür ist einmal mehr das neu entdeckte VKOR-Gen bzw. Mutationen in dem Erbfaktor. Allerdings betreffen die Veränderungen bei diesen Patienten nur jeweils eine der beiden Kopien des VKOR-Gens, während in den Familien mit erhöhter Blutungsneigung beide Kopien mutiert sind.
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Forschungen geben Ausblick auf therapeutische Zukunft
Diese Erkenntnisse eröffnen wichtige Perspektiven für die klinisch-therapeutische Forschung. Denn obwohl Marcumar ein seit langem bewährtes Medikament zur Blutverdünnung ist, kommt es bei seiner Anwendung immer wieder zu Problemen: Eine Unterdosierung verdünnt das Blut nicht genügend, eine Überdosierung führt zu einer lebensgefährlichen Blutverdünnung. Daher muss die Dosierung sehr genau eingehalten und ständig kontrolliert werden. Zudem können Lebererkrankungen und Ernährungsprobleme die Wirkung des Medikaments verändern.

"Die Entdeckung des für die Blutgerinnung zentralen VKOR-Gens sollte zur Entwicklung von Blutgerinnungs-Medikamenten führen, deren Wirkung, Handhabung und Dosierung spezifischer, einfacher und genauer als die von Marcumar sein wird", erklärt etwa Johannes Oldenburg, einer der beteiligten Forscher, in einer Aussendung der Universität Würzburg.
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Nebenaspekt zur Schädlingsbekämpfung
Ein interessanter Nebenaspekt der Arbeiten betrifft die Schädlingsbekämpfung: Die starke Vermehrung von Ratten führt weltweit zu großen Ernteschäden und, vor allem in Kalifornien, immer wieder zum Auftreten der Pest.

Warfarin und ähnliche Präparate werden daher - in den USA, aber auch in Europa - als sehr effektive Nagergifte eingesetzt: Sie lassen die Tiere innerlich verbluten. Verwendet man die Mittel häufig, treten allerdings immer wieder resistente Rattenstämme auf, deren Blutgerinnung gegenüber Warfarin unempfindlich geworden ist.
Auch resistente Ratten tragen VKOR-Genmutation
Die Forscher untersuchten also auch das VKOR-Gen von Warfarin-resistenten Ratten. Dabei zeigte sich, dass diese Tiere, genauso wie Marcumar- bzw. Warfarin-unempfindliche Menschen, Mutationen in diesem Gen tragen.
->   Biozentrum der Universität Würzburg
->   Mehr zum Stichwort Blut im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010