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Menschliche Lunge: Perfekt unperfekt  
  Das Atmungsorgan des Menschen - die Lunge - weist eine äußerst komplexe Struktur auf: Der Hauptluftweg oder "Stamm" verzweigt in einer baumähnlichen Struktur in unzählige kleinere Äste, die sich wiederum aufteilen. Diese feinen Verästelungen gehen in die Millionen. Doch Form und Ausdehnung dieser Baumstruktur sind nicht ganz perfekt, betrachtet man die Lunge unter dem Gesichtspunkt eines möglichst effizienten Atmungsvorgangs. Das hat allerdings durchaus seinen Grund, wie nun Forscher berichten: Denn maximale Effizienz könnte hier dazu führen, dass die Lunge insgesamt katastrophal versagt.  
Die Forscher um Benjamin Mauroy vom französischen Centre de Mathematique et de leur Applications der Ecole Normale Superieur de Cachan haben untersucht, wie kompatibel eine physische Optimierung mit der physiologischen Robustheit der Lunge wäre.

Ihre Ergebnisse sind im Fachmagazin "Nature" erschienen. Sie könnten zudem erklären, warum gerade unter Sportlern das Phänomen des "anstrengungsinduzierten Asthma" so weit verbreitet ist.
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Der Artikel "An optimal bronchial tree may be dangerous" ist erschienen in "Nature", Bd. 427, Seiten 633 - 636, Ausgabe vom 12. Februar 2004.
->   Abstract des Artikels in "Nature"
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Atmung: Lebensnotwendig und unbewusst
Der Vorgang ist lebensnotwendig - und läuft doch in aller Regel völlig unbewusst ab: die Atmung. Zentrales Organ hierfür ist die Lunge mit ihren beiden Flügeln, die neben dem Herzen liegen und nach unten hin vom Zwerchfell begrenzt werden.
Komplexes und weitverzweigtes Organ
Soviel zur relativ bekannten "äußeren Struktur" des Organs, im Detail betrachtet stellt sich diese allerdings weitaus komplexer dar. Denn die große Luftröhre, die den Sauerstoff zur Lunge transportiert, gabelt sich auf in die beiden Hauptbronchien, die sich wiederum immer weiter verzweigen in die Bronchiolen.

Ganz am Ende des Systems stehen schließlich kleine von Blutgefäßen umgebene Bläschen - hier findet der eigentliche Gasaustausch statt, der den Körper über die Blutbahn mit Sauerstoff versorgt.

Die Anzahl jener winzigen Zweige, Ästchen und Bläschen des so genannten Bronchialbaums überschreitet eine Million.
->   Mehr zur Anatomie der Lunge (www.medicine-worldwide.de)
Geometrie der Lunge: Kleine Variation, große Wirkung
Form und Ausdehnung der winzigen Verzweigungen in der Lunge helfen dabei, deren Effizienz zu bestimmten, schreiben nun die Wissenschaftler in "Nature". Und schon kleine Variationen dieser Geometrie führen zu großen Variationen im Luftfluss des Atmungsorgans.

Die Forscher machten sich also daran, eine Art "beste Struktur" für die Lunge zu bestimmten - und zwar ausgehend von der Annahme, dass der beste (Bronchial-)Baum ein fraktaler sei. Ihr Hilfsmittel war die Mathematik bzw. die fraktale Geometrie.
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Fraktale: Das Große findet sich im Kleinen
Fraktale sind Gebilde, bei denen sich verschieden große Teilgebilde bei entsprechender Vergrößerung ähneln. Man spricht in diesem Zusammenhang von Selbstähnlichkeit. Bäume und eben auch der hier immer wieder erwähnte Bronchialbaum sind ein Beispiel dafür: Ein Ast ähnelt dem Baum, ein kleiner Zweig wiederum dem größeren Ast usw.
->   Mehr Informationen zu Fraktalen
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Struktur könnte verbessert werden ...
Könnte also der Bronchialbaum in seiner Struktur noch verbessert werden? Er könnte, lautet das Ergebnis der Berechnungen, wenn auch minimal. Die Morphologie dieser Verzweigungen ist demnach sehr nahe daran, maximale Effizienz zu gewährleisten, indem sie die Sauerstoffverteilung mit minimaler Verschwendung sicherstellt. Ganz perfekt ist sie allerdings nicht.
... aber nur auf Kosten der Sicherheit
Eine Verbesserung hätte allerdings einen "kleinen" Schönheitsfehler, wie die Wissenschaftler festgestellt haben. Ein solchermaßen optimiertes Atmungssystem wäre gefährlich sensibel für diverse Veränderungen, auf die es normalerweise höchst flexibel reagieren kann.

Ein Maximum an Effizienz der winzigen Verzweigungen wäre demnach kritisch und könne nicht das einzige Kriterium für die Gestalt des Bronchialbaums sein - denn schon kleinste Veränderungen in der Geometrie könnten sehr große Variationen im Atemfluss hervorrufen.
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Flexible Atmung reagiert automatisch auf Probleme
Für jeden tierischen oder pflanzlichen Organismus ist die Atmung absolut lebensnotwendig. Bei diesem Vorgang wird molekularer Sauerstoff vom Körper aufgenommen und schließlich zwecks Energiegewinnung oxidiert. Das sauerstoffarme Blut gibt dort CO2 ab und nimmt O2 auf, anschließen wird es dem Herzen zugeführt. Und das menschliche Atmungssystem ist dabei so flexibel, dass Veränderungen wie ein gesunkener Sauerstoff-Anteil in der Luft oder eine Erkältung, die die Atemwege blockiert, im Normalfall kein Problem darstellen: Es passt die Atmung einfach automatisch den Umständen an.
->   Die Atemmechanik (www.wissenschaft-online.de)
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Plus an Volumen als "Sicherheitsfaktor"
Das Design der Bronchialbäume müsse vielmehr mit einem Sicherheitsfaktor ausgestattet sein, heißt es in "Nature". Und genau dieser scheint durch die - vom Blickpunkt des Atmungsflusses - nicht ganz optimale Struktur gegeben.

Das Volumen der Verästelungen ist offenbar ein wenig größer, als streng genommen notwendig wäre. Und jenes Plus an Ausdehnung gibt dem Atmungssystem einen gewissen Sicherheitsspielraum, wie die Forscher schreiben.
Warum Sportler gefährdet sind
Und noch eine Schlussfolgerung ziehen die Wissenschaftler: Laut ihren Ergebnissen könnten die kleinen strukturellen Unterschiede bei verschiedenen Menschen ganz erheblich unterschiedliche Atemleistung bedeuten.

Und dies könnte erklären, warum etwa trainierte Hochleistungssportler besonders sensibel für Asthma bzw. das so genannten anstrengungsinduzierte Asthma sind. Ihre Atemwege sind der erhöhten Aufnahme an Sauerstoff nicht ganz gewachsen - eine Verkrampfung ist die Folge.

Dass Spitzensportler trotz solcher Proleme zu Höchstleistungen fähig sind, liegt nach Meinung der Forscher am erwähnten Sicherheitsfaktor. "Ein 'optimaleres' Design des Atembaumes wäre gefährlich", schließt ihr Artikel in "Nature".
->   Centre de Mathematique et de leur Applications
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Protein als Schlüssel-Element des Atmungsgedächtnisses (16.12.03)
->   Auch Insekten haben ein aktives Atemsystem (23.1.03)
->   Atmungsaktive Haut: Sauerstoff direkt aus der Luft (13.2.02)
 
 
 
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01.01.2010