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Symposion zum Februar 1934 im Parlament  
  Vor 70 Jahren standen sich in Österreich Christlichsoziale und Sozialdemokraten in einem Bürgerkrieg gegenüber. Dieser Ereignisse vom Februar 1934 wurde am Donnerstag im Parlament gedacht: Im Rahmen eines Symposions referierten Historiker zu unterschiedlichen Fragestellungen. Dabei ging es - weitgehend -harmonisch zu, die rot-schwarze Harmonie stand im Vordergrund.  
Am 12. Februar 1934 fiel der Startschuss für einen vier Tage währenden Aufstand der Sozialdemokraten gegen das autoritäre Regime des christlichsozialen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß.
Misslungener Verzweiflungsschlag der Sozialdemokraten
 
Bild: APA/DÖW

Das Archivbild vom Februar 1934 zeigt Polizeieinheiten vor dem Karl-Marx-Hof in Wien. Im riesigen Gemeindebau hatten sich Schutzbündler verschanzt. Es kam zu blutigen Kämpfen.

Für die Sozialdemokraten war der Februar-Aufstand ein letzter Verzweiflungsschlag ohne Aussicht auf Erfolg. Ihr bewaffneter Flügel, der Schutzbund, war bereits kurz nach der Ausschaltung des Parlaments durch Dollfuß verboten worden, ihre letzte Machtbastion - das "Rote Wien" - wurde von der Regierung finanziell ausgehungert

Der Generalstreik misslang und der Schutzbund war der Übermacht aus Bundesheer, Polizei und faschistischen Heimwehren nicht gewachsen.
->   Auswahl von Fotos zu den Februarkämpfen in Wien (DÖW)
Gedenken an die Februarkämpfe im Parlament
Am Donnerstag wurde nun im Parlament auf Einladung der Nationalratspräsidenten Andreas Khol (ÖVP) und Heinz Fischer (SPÖ) der Februarkämpfe gedacht: Khol und Fischer betonten beide die Notwendigkeit, aus der Geschichte zu lernen.

Für Khol sollte daher "die Ursachenforschung und nicht die Schuldigensuche" im Mittelpunkt stehen. Fischer warnte vor einer tendenziellen Verschiebung von der Konsensdemokratie in Richtung Konfliktdemokratie.
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Mehr Hintergrund zu diesem Thema in science.ORF.at
70 Jahre Februarkämpfe: "Unvermeidliche Logik des März 1933" (11.2.04)
Otto Urban: März 1933 - Beginn des Austrofaschismus (5.2.03)
ORF.at: Offene Wunden 70 Jahre danach (12.2.04)
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Khol: "Wunden bis heute nicht verheilt"
"Vor 70 Jahren standen sich Österreicher mit Waffen gegenüber. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt", so Khol. Das Symposion solle nicht dazu dienen, die Schuldfrage zu klären, die These von der geteilten Schuld zu vertiefen oder zu analysieren, wer angefangen hat.

"Das führt nicht weiter. Damit wird weder das Trauma beseitigt noch die Bitterkeit gemildert", so der Nationalratspräsident. Es gehe darum, "aus der Geschichte zur Gestaltung der Zukunft zu lernen". Das "Nie mehr wieder" sollte heute als Gemeinsamkeit im Mittelpunkt stehen.
Die Frage nach der politischen Verantwortung
Der Zweite Nationalratspräsident und SPÖ-Präsidentschaftskandidat Fischer betonte, bei der Betrachtung der Ereignisse von 1934 sollte nicht "alle Schuld nur auf einer Seite" gesucht werden. Die Formel von der "geteilten Schuld" sei ihm, Fischer, jedoch auch "zu simpel und zu flach".

Für Fischer ist die "Story der Zweiten Republik nur zu verstehen als Lehre aus der Ersten Republik". Die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP nach 1945 hätte es nicht gegeben, wenn diese nicht als "Antithese zu den mörderischen Ereignisse" von 1934 verstanden worden wäre.
Symposion: Rot-Schwarze Harmonie im Vordergrund
Weitgehend harmonisch ist schließlich das Symposion des Parlaments über den Bürgerkrieg im Februar 1934 abgelaufen.

Nur einmal regte sich im Publikum Widerspruch, als der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber seine Interpretation der Ereignisse vorbrachte: Die Regierung Dollfuß habe mit der Abschaffung der Demokratie 1933/34 versucht, angesichts des drohenden Wahlsieges der Nazis die "Notbremse" zu ziehen.

Dem Ständestaat verdanke die Zweite Republik Sozialpartnerschaft und Konsens-Politik, während Österreich - hätten die Sozialdemokraten im Februar 1934 gesiegt - nach 1945 möglicherweise in die Einflusssphäre der UdSSR geraten wäre, meinte Sandgruber.
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Kopfschütteln in den Reihen der SP-Abgeordneten
Vor allem durch die Reihen der SP-Abgeordnete ging bei diesen Aussagen ein Raunen und Kopfschütteln. Der Zweite Nationalratspräsident Heinz Fischer meinte im Anschluss, es habe ihn bei dieser Passage "elektrisiert". Er verwies darauf, dass zahlreiche autoritäre Regime ihr Vorgehen mit der Behauptung gerechtfertigt hätten, es habe sich dabei um die einzige Alternative gehandelt.
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Vereinzelt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen
Ansonsten verlief die Debatte unaufgeregt, auch wenn vereinzelt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen deutlich wurden: So rückte der Leiter des VP-nahen Vogelsang-Instituts Helmut Wohnout den Kampf der Regierung Dollfuß gegen die Nationalsozialisten in den Vordergrund.
Aufstand von 1934 als "zweite Front"
Ohne damit die Ereignisse des Februar 1934 legitimieren zu wollen, wie Wohnout betonte, stellte er die Frage, ob angesichts des ab Juni 1933 eskalierenden NS-Terrors der sozialdemokratische Aufstand "für maßgebliche Regierungskreise wie die Wiedereröffnung einer zweiten Front gewirkt haben mag".

Damit könne möglicherweise die "Unverhältnismäßigkeit in der Wahl der Mittel" (standrechtliche Hinrichtungen) im Kampf gegen die Sozialdemokraten erklärt werden.
Dollfuß' Strategie des Machterhalts
Der Grazer Zeitgeschichtler Dieter Binder betonte dagegen, dass Dollfuß - anstatt innerhalb der Verfassung gegen die Nationalsozialisten vorzugehen - auf eine "Strategie des Machterhalts" setzte und den starken innenpolitischen Einfluss der von Italien unterstützten faschistischen Heimwehren in Kauf nahm:

"Die Sieger des Februar 1934 waren die Nationalsozialisten, die sich im Abseits gehalten hatten und nun vielfach von der Niederlage der Sozialdemokraten profitierten."
Kein größerer Spielraum gegenüber den Nazis
Binders Kollege Helmut Konrad sieht durch die "Zerschlagung und Kriminalisierung der Arbeiterbewegung" keinen Gewinn an Handlungsspielraum gegenüber dem Deutschen Reich oder den Nationalsozialisten.

Konrad verweist darauf, dass die angebliche Radikalität der Sozialdemokraten um Otto Bauer lediglich eine "Radikalität der Worte" gewesen sei, die das Aufkommen einer starken kommunistischen Bewegung wie in Deutschland verhindern konnte.

Die sozialdemokratischen Parteiführer seien "Schafe im Wolfspelz" gewesen, während das bürgerliche Lager radikale Taten gesetzt habe: Als Beispiele nannte er etwa den Schießbefehl beim Justizpalastbrand 1927 oder die Ausschaltung des Parlaments 1933.
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Weitere Vorträge im Rahmen des Symposions
Als weitere Redner waren beim Symposion die Historiker Wolfgang Neugebauer und Wolfgang Maderthaner mit Vorträgen über NS-Terror und die Wirtschaftslage der Ersten Republik eingeladen. Der deutsche Historiker Dan Diner beschäftigte sich in seinem Eingangs-Referat mit autoritären Tendenzen im Europa der Zwischenkriegszeit. Die Vorbereitung der Tagung hatten das VP-nahe Vogelsang-Institut und der SP-nahe Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung übernommen.
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Kommentare im Anschluss
Fischer lobte im Anschluss an das Symposion das "im wesentlichen" gelungene "Experiment", über eine schmerzhafte Vergangenheit "offen zu sprechen und einander zuzuhören".'

Allerdings betonte der Zweite Nationalratspräsident, er würde sich wünschen, die "menschliche Komponente" bei der historischen Aufarbeitung stärker in den Vordergrund zu rücken.

Damit konnte wiederum Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) wenig anfangen: Man müsse historische Ereignisse in die größeren Zusammenhänge einordnen und analysieren. Persönliche Betroffenheit "respektiere ich, aber ich glaube, weiterführend ist die Ursachenforschung", so Khol.
->   Österreichisches Parlament
->   Dokumente zum 12. Februar 1934 (ZeitgeschichteInformationsSystem)
->   Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)
Weitere Artikel zum Thema (science.ORF.at-Archiv):
->   Siegfried Mattl: Vaterländische Gute-Nacht-Geschichten (21.5.03)
->   Siegfried Mattl: Bedenkliche Naivität vor der Geschichte (23.5.01)
 
 
 
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01.01.2010