News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Gentech-Lebensmittel: Risikoabschätzung im Detail
Gastbeitrag von Albert Karsai, dialog<>gentechnik
 
  Das Problem der Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Lebensmittel ist zu allererst einmal grundsätzlicher Natur: Wie lässt sich das Risikopotential von etwas abschätzen, von dem nur wenige Erfahrungswerte vorliegen?  
Traditionell gibt es grundlegende Auffassungsunterschiede zwischen der EU und den USA: in Amerika betrachtet man gentechnische Methoden nur als Erweiterung herkömmlicher Zuchtverfahren. Die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel stellt daher keinen Ausnahmefall dar und wird wie bei allen anderen Produkten gehandhabt.

In der EU dagegen hat man sich dazu entschlossen, so genanntes "Novel Food" einem eigenen Regulativ zu unterwerfen. Novel Food muss , bevor es innerhalb der EU zugelassen werden kann, einen Prozess der Sicherheitsbewertung durchlaufen.
->   EU-Seite zu Fragen der Lebensmittelsicherheit im Zusammenhang mit GVO
Auch konventionelle Züchtung verändert Erbgut
Grundsätzlich müsste man auch herkömmliche Lebensmittel den gleichen strengen Tests unterwerfen, da konventionelle Züchtungsmethoden ebenfalls unvorhergesehene Folgen haben können (und auch haben).

Die konventionelle Pflanzenzüchtung bedient sich mutagener (erbgutverändernder) Chemikalien und Strahlungen, um Pflanzen mit neuen Eigenschaften zu erhalten. Dabei geschehen zwangsläufig Veränderungen im Pflanzen-Erbgut. Doch beruft man sich in diesem Fall auf die lange Tradition problemlosen Konsums.
...
Beispiel USA: Verzehr ohne dokumentiert Zwischenfälle
Zwar verweisen auch Befürworter der Gentechnik immer wieder auf den jahrelangen Verzehr gentechnisch veränderter Produkte in den USA, ohne dass es zu dokumentierten Zwischenfällen gekommen wäre. Diese Argumentation wird jedoch in Europa für gewöhnlich nicht akzeptiert.
...
Was ist ein Risiko durch GM-Nahrung?
Zunächst einmal ist es erforderlich, den Begriff Risiko zu definieren und mögliche Gefährdungen durch gentechnisch veränderte Lebensmittel zu identifizieren.

Denn Risiko bedeutet den Grad der Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer (identifizierten) Gefährdung kommt. Als Gefährdung kommen beispielsweise toxische (giftige) oder allergene Inhaltsstoffe in Frage. So geht etwa von einem Protein mit potentiell allergener Wirkung kein hohes Risiko aus, wenn es durch die Verdauungssäfte rasch zerlegt wird.
Toxische Eigenschaften, Fremd-DNA, Antibiotikaresistenzen
Bei den möglichen Gefährdungen handelt es sich um toxische und allergene Eigenschaften, die Aufnahme von Fremd-DNA in den menschlichen Körper sowie die Übertragung von Antibiotikaresistenzen auf darmbewohnende Bakterien.

Während die ersten beiden Punkte unumstritten sind, gelten letztere als sehr unwahrscheinlich.
Beispiel Fremd-DNA: Wird komplett verdaut
Jeder Mensch nimmt mit seiner Nahrung täglich bis zu ein Gramm an Fremd-DNA auf. Diese DNA stammt von Tieren, Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Viren. Dennoch gelangt von diesen Genen keines in das menschliche Erbgut, denn dann müsste ja jeder von uns unzählige Gene anderer Lebewesen im Körper tragen.

Der Grund dafür ist die komplette Verdauung der Nahrungs-DNA in ihre Bestandteile. Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Organismen stellen keine Ausnahme dar: Ihre Gene sind für den Körper von anderen Genen nicht unterscheidbar.
Beispiel Antibiotika: Keine klinisch relevanten ín Verwendung
Was die Aufnahme von Antibiotika-Resistenzgenen durch darmbewohnende Bakterien angeht, ist die Sachlage nicht ganz so klar - sie gilt aber als äußerst unwahrscheinlich.

Gentechnisch veränderte Pflanzen enthielten in der Vergangenheit immer Resistenzgene gegen bestimmte Antibiotika, damit Wissenschaftler erfolgreich transformierte Pflanzen leichter selektionieren können (so genannte Selektionsmarker). Würden Bakterien diese Gene in ihr Erbgut integrieren, wären sie in Folge resistent gegen das jeweilige Antibiotika.

Dies würde wiederum im Rahmen einer klinischen Therapie Probleme schaffen. Auch wenn es als sehr unwahrscheinlich gilt, dass intakte Gene den Verdauungsvorgang überstehen und in den Darm gelangen, hat die EU ein Verbot gegen die Verwendung klinisch relevanter Antibiotika als Selektionsmarker erlassen.
Toxische und allergene Eigenschaften sind möglich
Weitaus realistischer als die beiden erstgenannten Szenarien ist das Vorliegen von toxischen oder allergenen Eigenschaften des neuen Lebensmittels.
...
Tests auf potenzielle Gefährdung - Ansatz für Kritik
Aus der Menge des gebildeten Proteins, dessen struktureller Ähnlichkeit mit bekannten Toxinen und Allergenen sowie der Durchführung von In-vitro-Versuchen im Labor (akute Toxizität, Säurestabilität) versucht man die potenzielle Gefährdung abzuleiten. An dieser Vorgangsweise setzt auch die Kritik vieler Experten an, die umfangreichere Versuche am ganzen Lebensmittel fordern (z.B. chronische Toxizität, Allergietests). Eine Schwierigkeit bei dieser Vorgangsweise resultiert allerdings aus der Menge des untersuchten Lebensmittels, die man z.B. für Toxizitäts-Tests an Versuchstiere verabreichen müsste. Dabei handelt es sich um Mengen, die die normale Nahrungsaufnahme des Körpers bei weitem übersteigen.
...
Keine genauen Vorschriften zur Sicherheitsbewertung ...
Derzeit gibt es noch keine einheitlichen, detaillierten EU-Vorschriften, welche Versuche im Rahmen der Sicherheitsbewertung von Novel Food durchzuführen sind - ein Umstand, der von Konsumentenschützern und NGOs auch heftig kritisiert wird.
... aber Kennzeichnungspflicht im EU-Recht
Ein breiter Konsens über die Standardisierung dieser Versuche wird wohl eine Grundvoraussetzung sein, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel von den Konsumenten angenommen werden (eine andere Grundvoraussetzung, nämlich eine genaue Kennzeichnung von Novel Food, ist hingegen bereits ins EU-Recht umgesetzt).
->   Mehr dazu: Strenge Kennzeichnung von Gentech-Produkten (2.7.03)
...
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in dem übergeordenten Gastbeitrag von Albert Karsai von dialog<>gentechnik zum Thema "Sicherheitsbewertung von Genfood".
->   Der Artikel im Volltext in science.ORF.at
...
->   dialog<>gentechnik
->   Alles zum Stichwort Gentech im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010