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Asteroid in Sicht: Die Geschichte eines "Fast-Alarms"  
  Es ist ein aus Science-Fiction-Filmen bekanntes Szenario: Ein vergleichsweise großer - und damit gefährlicher - Asteroid rast auf die Erde zu. Vor kurzem hätte eine solche Nachricht fast die Weltöffentlichkeit erreicht - Astronomen standen kurz davor, Alarm zu schlagen. Allerdings beruhten ihre Einschätzungen offenbar auf recht wenig verfügbaren Daten. Nun soll die Vorgehensweise in solchen Fällen überdacht werden.  
Am 13. Jänner standen US-Astronomen dicht davor, Präsident George Bush von der vermeintlichen Gefahr zu unterrichten.

Die Umstände dieses Szenarios beschrieb der Asteroidenforscher Clark Chapman dieser Tage bei der Planetary Defense Conference 2004. Thema der Tagung: Wie kann man die Erde vor verheerenden Asteroideneinschlägen schützen?
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Near Earth Objects werden diskutiert
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde von einem vergleichsweise großen - und damit gefährlichen - Asteroiden getroffen wird, gilt als relativ gering. Jüngsten Berechnungen zufolge findet eine Kollision mit einem Brocken von mehr als einem Kilometer Durchmesser nur etwa alle 600.000 Jahre statt. Dennoch beschäftigen solche Near Earth Objects (NEO) die Wissenschaft. Auf der Konferenz in Kalifornien wurden die möglichen Gefahren ebenso diskutiert wie Technologien und Möglichkeiten, um einen Einschlag abzuwenden.
->   Planetary Defense Conference 2004
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Asteroid "2004 AS1" als Auslöser
Der betreffende Asteroid - mittlerweile auf den Namen "2004 AS1" getauft, ist dabei weniger interessant, als die nunmehr aufgeworfene Diskussion: Wie sollen Forscher im Falle eines möglichen und sehr kurz bevorstehenden Einschlags vorgehen?

Doch zunächst zu den Hintergründen: Wie BBC Online berichtet, wurde der Verursacher der Aufregung zunächst von den zwei Teleskopen des automatisierten Himmelsüberwachungsprogramms LINEAR (Lincoln Near Earth Asteroid Research) entdeckt.
->   LINEAR
Beobachtungsdaten im Internet veröffentlicht
Dort gewonnene Informationen gehen an das Minor Planet Center im US-Bundesstaat Massachusetts. Im konkreten Fall veröffentlichten die dortigen Forscher ihre Daten zu 2004 AS1 im Internet.

Laut BBC Online ging man davon aus, dass das neu entdeckte Himmelsobjekt aufgrund der ersten Beobachtungsdaten innerhalb des folgenden Tages etwa 40 mal heller werden sollte - ein möglicher Hinweis darauf, dass es sich sehr schnell der Erde näherte.

Konkret wurde geschätzt, dass der Asteroid den Planeten innerhalb der kommenden 36 Stunden erreichen würde.
->   Minor Planet Center
Basis: Nur vier Einzelbeobachtungen
Offenbar lagen dieser Einschätzung aber lediglich vier Einzelbeobachtungen zugrunde, die Unsicherheiten waren demnach groß. So war etwa der Orbit des neuen Asteroiden nicht eindeutig feststellbar. Diverse Flugbahnen schienen möglich, die Mehrheit davon hätte für die Erde keinerlei Gefahr bedeutet.
Eine E-Mail sorgt für Aufregung
Doch ein Forscher des Jet Propulsion Laboratory der NASA kam zu einem deutlichen Ergebnis, das er zudem in Form einer E-Mail innerhalb der Astronomengemeinde verbreitete: Demnach schätzte er die Gefahr eines Einschlags in der nördlichen Erdhemisphäre mit 25 Prozent relativ hoch ein.
->   Jet Propulsion Laboratory
Ein Anruf für den Präsidenten
Und zu diesem Zeitpunkt kam die Maschinerie dann auch fast in Gang: Clark Chapman sowie sein Kollege David Morrison, immerhin Vorsitzender der Arbeitsgruppe zu Erdnahen Objekten im Rahmen der International Astronomical Union (IAU), überlegten ganz konkret, US-Präsident George Bush von der drohenden Gefahr zu informieren.
->   Working Group on Near Earth Objects (IAU)
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Das mögliche Szenario: Warnung der Weltöffentlichkeit
Die Folgen hätten laut BBC etwa so aussehen können: Zu dem damaligen Zeitpunkt sei man gerade dabei gewesen, letzten Schliff an eine Rede des Präsidenten zu legen, die er am folgenden Tag im NASA-Hauptquartier halten sollte.

Der Inhalt hätte dann allerdings völlig anders als ursprünglich geplant (Stichwort: bemannte Marsmission) gelautet. Bush hätte demnach die Weltöffentlichkeit informieren können, dass innerhalb der nächsten Tage ein Asteroid die Erde treffen könnte.
->   Mehr zur tatsächlich gehaltenen Bush-Rede (ORF.at; 15.1.04)
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Wenig gesicherte Informationen
Einzig verfügbare Informationen zu diesem Zeitpunkt: Der Himmelsbrocken würde im Bereich der nördlichen Hemisphäre niedergehen. Und sein Durchmesser betrug geschätzte 30 Meter - nicht genug, um ein Massensterben auszulösen, aber ausreichend für beträchtliche lokale Verwüstungen.

Für die wissenschaftliche Beobachtung des Objekts war es während dieser Ereignisse offenbar zu wolkig. Zudem verbreitete sich die Nachricht vom drohenden Einschlag innerhalb von nur wenigen Stunden.
Amateur-Beobachtung: Großalarm abgeblasen
Glücklicherweise gelang kurz nach der ominösen E-Mail einem Amateur-Astronomen dennoch eine klare Aufnahme einer Himmelsregion, in der sich 2004 AS1 hätte befinden müssen, wäre er auf Kollisionskurs mit der Erde gewesen: Der Asteroid war allerdings nicht zu sehen.

Der große Alarm wurde also - nach einigen Stunden Aufregung - abgeblasen. Doch Clark Chapman erklärte in seinem Vortrag auch, dass er ohne die Amateur-Beobachtung die offizielle Warnmaschinerie in Gang gesetzt hätte.
Diskussion um die beste Vorgehensweise
Damit ist 2004 AS1 nun zum Politikum innerhalb der Astronomen-Gemeinde geworden, die sich über die genaue Vorgehensweise in solchen Fällen offensichtlich nicht einigen kann.
Peinlich für die Astronomen
Viele meinen, dass ein Fehlalarm unter diesen Umständen äußerst peinlich für ihre Disziplin gewesen wäre.

"Ich finde es unglaublich, dass dieses Handeln auf Basis von nur vier Beobachtungen erwägt wurde", zitiert die BBC den Wissenschaftler Benny Peiser von der Liverpool John Moores University.

Dies sei nicht genug, um eine vernünftige Flugbahn zu errechnen, argumentiert Peiser. "Es gab keinen Grund in Panik zu verfallen, da die Situation offensichtlich - so oder so - innerhalb ein oder zwei weiterer Stunden geklärt worden wäre."
2004 AS1 flog unbeeindruckt vorbei
Und der Verursacher all jener Aufregung? 2004 AS1 stellte sich als weit größer heraus als zunächst geschätzt. Er brachte es immerhin auf 500 Meter Durchmesser - und passierte die Erde in einer Distanz von etwa 12 Millionen Kilometern, ohne unseren Planeten auch nur im Entferntesten zu gefährden.

Die Ereignisse haben aber vor allem eines gezeigt: Man weiß ganz offensichtlich nicht genau, wie man in einem solchen Fall vorgehen soll. Normalerweise werden große Asteroiden schon sehr früh entdeckt und es bleibt Zeit genug, sich ganz genau über die wirkliche Gefahr klar zu werden.

2004 AS1 jedoch hat die üblichen formalen Prozesse durch sein überraschendes Erscheinen außer Kraft gesetzt. Und zumindest in einem scheinen sich die Astronomen derzeit einig zu sein: dass es notwenig ist, eine Vorgehensweise für ähnliche Vorkommnisse in der Zukunft zu entwickeln.
->   Informationen zu 2004 AS1 (Great Shefford Observatory)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Studie: Große Einschläge weniger häufig als gedacht (14.11.03)
->   Zwei Artikel zu einer möglichen Kollision im Jahr 2014 (September 03)
->   Asteroiden-Einschläge seltener als bisher angenommen (16.7.03)
 
 
 
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01.01.2010