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Multiple Sklerose: Doch keine Autoimmunkrankheit?  
  Sucht man nach Schulbeispielen für Autoimmunerkrankungen, dann wird Multiple Sklerose (MS) gewöhnlich an erster Stelle genannt. Erkenntnissen Australischer Forscher zufolge könnte diese Lehrmeinung bald überholt sein. Sie fanden heraus, dass nicht eine fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems Hauptursache der Krankheit sein könnte, sondern womöglich der "Selbstmord" von bestimmten Gehirnzellen.  
Wie Michael H. Barnett und John W. Prineas von der University of Sydney berichten, legt die Autopsie von zwölf verstorbenen MS-Patienten ein Umdenken nahe:

Im Gehirn der Leichen fanden sich kaum Schädigungen der Nerven-Isolierschicht, die sonst als besonders typisch für die Krankheit angesehen wird. Dafür zeigte sich, dass ein großer Teil bestimmter Gehirnzellen den so genannten programmierten Zelltod durchlaufen hatte. Als Auslöser wird ein Virus vermutet.
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Die Studie "Relapsing and remitting multiple sclerosis: Pathology of the newly forming lesion" von Michael H. Barnett und John W. Prineas erschien in der Zeitschrift "Annals of Neurology" (23. Februar 2004; DOI: 10.1002/ana.20016).
->   Zum Original-Abstract
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Symptome und Verlauf sehr variabel
Sie gilt als Krankheit der vielen Gesichter. Die Symptome der Multiplen Sklerose sind äußerst vielfältig und reichen von Sehstörungen über Zittern, Schwindelanfällen und Muskelschwäche bis hin zu Sprachstörungen oder psychischen Veränderungen.

Auch der Verlauf ist nicht einheitlich: Die Krankheit tritt oft in zeitlich weit auseinanderliegenden Schüben auf, nicht selten treten auch Rückbildungen der Symptome auf, ein progressiver Verfall ist jedoch ebenso möglich.
Ursache Autoimmunreraktion?
Größere Übersichtlichkeit schien bis dato bei den der Krankheit zugrundeliegenden physiologischen Ursachen zu herrschen.

Die Lehrmeinung bisher: In den für die Krankheit typischen Entzündungsherden ("Plaques") finden sich oft Antikörper von Immunzellen. Diese sind gegen Bestandteile der so genannten Myelinschicht - eine Isolierschicht der Nerven - gerichtet.

Daraus schließt man, dass die Schädigungen gewisser Gehirnbereiche durch einen Angriff des Immunsystems gegen körpereigene Gewebe ausgelöst wird. Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Autoimmunkrankheit.
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Myelinschicht
Die Myelinschicht oder Markscheide ist eine spiralförmige Umhüllung der so genannten Axone. Letztere sind Nervenfortsätze, die zur Weiterleitung von Nervenimpulsen dienen. Im Zentralnervensystem wird die Myelinschicht von so genannten Oligodendrozyten aufgebaut. Das Myelin ermöglicht eine Steigerung der Nervenleitungsgeschwindigkeit und ist im Nervensystem von allen höheren Wirbeltieren zu finden.
->   Mehr dazu bei gesundheit.de
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MS-Patienten mit intakter Myelinschicht
Untersuchungen zweier Neurowissenschaftler der University of Sydney stellen diese Abfolge von Ursache und Wirkung nun gewissermaßen auf den Kopf. Michael Barnett und John Prineas autopsierten zwölf Personen, die nach einem MS-Schub verstorben waren.

Dabei fanden sie zunächst die typischen Plaque-ähnlichen Gehirnläsionen. Entgegen aller Erwartungen wiesen jedoch sieben der zwölf eine intakte Myelinschicht und kaum Entzündungsherde auf.
Nervenzellen begehen Selbstmord
Noch überraschender war folgende Entdeckung: In den Plaques hatten bis zu 30 Prozent der so genannte Oligodendrozyten (also jene Zellen, die mit dem Aufbau der Myelinschicht befasst sind) Selbstmord begangen. Dabei handelt es sich um den programmierten Zelltod, auch Apoptose genannt.
Virus als Auslöser
Die beiden Forscher entwarfen anhand dieser Beobachtungen ein neues Modell der Multiplen Sklerose, das die Symptomatik der sieben Patienten erklären soll:

Ihrer Meinung nach löste in diesem Fall ein Virus den beobachteten Zelltod der Nervenzellen aus. Das ist noch nichts völlig Neues, da schon bisher virale Einflüsse (z.B. des Epstein-Barr-Virus u.a.) bei MS vermutet wurden.
->   Viren womöglich an Multipler Sklerose beteiligt (25.7.03)
Zelltod löst Immunantwort aus - nicht umgekehrt
Spektakulär ist folgender Schluss: Nach Ansicht von Barnett und John W. Prineas löst der Zelltod eine Immunantwort aus - und nicht etwa die Immunantwort den Zelltod.

Fachkollege Moses Rodriguez von der Mayo Clinic in Rochester, New York, beurteilt die Theorie durchaus positiv. Seiner Ansicht nach könne man damit erklären, warum entzündungshemmende Medikamente oft nicht wirksam sind, während sich mit antiviralen Substanzen ("Interferone") häufig die besten Behandlungserfolge einstellen.
->   University of Sydney
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Studien: Vitamin D gegen Arthritis und MS (13.1.04)
->   Große Zwillingsstudie zu Multipler Sklerose (30.9.04)
->   MS: Frühere Diagnose, bessere Lebensqualität (10.9.04)
->   Multiple Sklerose im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010