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Streit um die Evolution in den USA  
  Höhere Intelligenz war bei der Schöpfung am Werke, behaupten einige US-amerikanische Wissenschaftler - und stellen damit eine neue, weit beachtete Herausforderung für die Darwin'sche Evolutionstheorie dar.  
Als vor wenigen Wochen Darwins Evolutionstheorie wieder in den Lehrplan der Schulen in Kansas aufgenommen wurde, schien der Kampf der Evolutionisten gegen den bibeltreuen Schöpfungsmythos gewonnen.
Intelligent Design
Doch nun gewinnt eine neue Variante des Kreationismus zunehmend an Einfluss: "Intelligent Design". Das Leben, so die Grundidee, sei zu komplex, als dass es einfach auf dem Wege natürlicher Evolution entstanden sein könnte. Eine Art höhere Intelligenz müsse die Hand im Spiel gehabt haben.

Was die Theorie für viele so glaubhaft macht: Ihre Erfinder und Proponenten sind großteils Naturwissenschaftler und sie halten sich nicht streng an die Schöpfungsgeschichte der Genesis.

Im Gegensatz zu den Kreationisten gehen auch sie davon aus, dass die Erde nicht gerade ein paar tausend, sondern etwa vier Milliarden Jahre alt ist.
Geschaffene Komplexität
Dennoch, die Entstehung abertausender verschiedener komplexer Arten sei nicht einfach nur eine Frage der Zeit. Die hohe Komplexität lebender Organismen liefert für den Biochemiker Michael Behe den "Beweis" für die Design-Theorie, der er mit seinem Buch "Darwin's Black Box. The Biochemical Challenge to Evolution" 1996 die wichtigsten Argument lieferte.
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"Irreducible complexity"
Die Komplexität lebender Organismen kann sich nicht schrittweise entwickelt haben, da sie nicht schrittweise "verkleinert" werden kann. Immunsystem, Blutgerinnung - egal welchen Prozess man untersucht - wenn nur ein einziges Molekül wegfällt, bricht das ganze System zusammen, erklärt Behe in seinem Buch minutiös.
Daher, so seine Schlussfolgerung, kann es sich auch nicht schrittweise entwickelt haben, weil es erst funktioniert, wenn alle Komponenten da sind - die Komplexität ist also nicht zu verringern.
->   Michaels Behe's Kurzfassung seines Buchs
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Hinter der Komplexität steht nicht zufällige Entwicklung, sondern ein Plan. Und wo ein Plan ist, braucht es einen Planer, einen Designer, so die Theorie.

Wer oder was genau dieser Designer ist - Gott, Außerirdische oder eine diffuse kosmische Lebenskraft - lässt Behe offen. Er bezeichnet sich selbst als gläubigen Katholiken.
Glauben an göttliche Schöpfung
Die Anhängerschaft der Design-Theorie speist sich jedoch keineswegs nur aus Katholiken oder fundamental-christlichen Zirkeln - auch diverse esoterische Bewegungen schließen sich ihr an.

Einer Umfrage zufolge glauben 45 Prozent der US-Amerikaner an eine göttliche Schöpfung, der Bedarf nach Erklärungsmustern, die sowohl über die biblische Genesis als auch die reine Naturwissenschaft hinausgehen, scheint groß. Die Design-Theorie scheint für viele diesem Anspruch gerecht zu werden.
Design Theorie macht Schule
Kein Wunder also, dass die Anhänger der Design-Theorie in den vergangenen paar Monaten einige wichtige Etappensiege errungen haben:

- In Kansas sind sie, nach der Niederlage der Kreationisten, zur wichtigsten Anti-Evolutions-Kraft geworden.

- In Michigan gibt es einen Gesetzesantrag, Design-Theorie als gleichberechtigt zur Evolutionstheorie in den Lehrplan aufzunehmen.

- Pennsylvania, wo Kreationisten und Design-Theoretiker zusammenarbeiten, wird demnächst auch die Lehre anderer Theorien von Ursprung und Entsehung der Arten als die Evolutionstheorie zulassen.

- Auch in die Universitäten dringt die Design-Theorie ein: in Yale und Baylor gab es vergangenes Jahr große Konferenzen zum Thema, in der University of California in San Diego gibt es die erste Studentenorganisation, den "Intelligent Design and Evolutionary Awareness (IDEA) Club".
->   IDEA Club
Umstrittene Thesen
Der besondere Reiz der Theorie liegt in ihrer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit, meinen Kritiker. Man müsste die Evolutionstheorie schon recht genau kennen, um Intelligent Design in Frage zu stellen - dann allerdings erweise es sich schlicht als falsch.

Auch komplexe Systeme können sich schrittweise und den Ideen der Evolutionstheorie entsprechend entwickelt haben - indem zum Beispiel die gleichen oder ähnliche Moleküle in geändertem Umfeld immer neue Aufgaben übernehmen.
Gerichtete Entwicklung
Die Annahme der Irreducible Complexity als Beweis für einen höheren Plan funktioniert nur dann, wenn man einen solchen höheren Plan schon a priori als gegeben annimmt. Wenn man davon ausgeht, dass es eine Zielgerichtetheit in der Entstehung der Arten gibt. Die Evolutionstheorie hingegen erklärt die Entstehung komplexer Lebensformen auch ohne teleologische Prinzipien.

Zwar gibt es von der Entstehung allererster Lebensformen bis hin zur heutigen Artenvielfalt vieles, was die Evolutionstheorie (noch) nicht erklären kann. Allerdings ist nicht nur der Wissenschaft kein Dienst getan, wenn alles Unerklärliche diffus "Gott" genannt wird.

Der Theologe Dietrich Boenhoffer etwa meint, dass damit auch Gott das Wasser abgetragen würde. Je weiter Wissenschaft fortschreitet, desto enger würde so die Ecke, in die Gott gedrängt wäre.
Intelligent designte Evolution
Schließlich gibt es noch diejenigen, die einen Kompromiss vorschlagen: es könnte doch stimmen, dass sich alles so entwickelt hat, wie die Evolutionisten behaupten - und dass trotzdem eine göttliche Hand über allem wachen würde.

Eine bestechende Hypothese, die sich unmöglich falsifizieren lässt - und sich damit wohl auch der Wissenschaftlichkeit entzieht.
Mag sein, dass ein Schöpfer, eine Intelligenz welcher Art auch immer hinter allem steht - aber es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, in Glaubensfragen zu entscheiden.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
->   New York Times: Evolutionists Battle New Theory on Creation
Zwei Rezensionen zu Behe¿s Buch
->   Robert Dorrit, Biologe an der Yale University im American Scientist
->   Allen Orr, Evolutionsgenetiker an der Rochster University, im Boston Review
 
 
 
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01.01.2010