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Debatte: Öffentliche oder private Wissenschaft?  
  Ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Privatisierung von Wissenschaft und Forschung gibt der kanadische Philosoph James Robert Brown in der neuesten Ausgabe von Science.  
Abhängigkeit der Universität von der Industrie

James Robert Brown ist Professor für Philosophie an der University of Toronto. Sein Buch "Who Rules? A Guide to the Epistemology and Politics of the Science Wars" erscheint 2001 bei Routledge.
Doch was bedeutet die Privatisierung für die Wissenschaft? Zum einen sieht Brown eine zunehmende Abhängigkeit des universitären Betriebs von der Industrie oder von philanthropischen Stiftungen. Das heißt, immer mehr Ressourcen werden in Richtung angewandter oder praxisorientierter Forschung umgelenkt.
Außerdem melden die Auftraggeber Besitzansprüche an den von ihnen finanzierten Forschungsergebnissen an. Oft werden aus diesem Grund Forschungsergebnisse geheimgehalten. Denn die wirtschaftlichen Interessen der Auftraggeber stehen hier dem öffentlichen Interesse an einer für alle nützlichen Wissenschaft entgegen.
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Kündigung bei "falschen" Ergebnissen
Insbesondere vom Standpunkt des öffentlichen Interesses sei die Privatisierung problematisch: Eine an einer kanadischen Universitätsklinik angestellte Wissenschaftlerin stand bei einem Pharmaunternehmen unter Vertrag. Als sie ihre Erkenntnisse veröffentlichte, dass ein bestimmtes Arzneimittel mehr schade als nutze, wurde sie sofort entlassen.
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Schließlich zeichnet die Privatisierung der Versuch aus, die Universität als Wirtschaftsunternehmen zu führen. Sowohl die Industrie als auch Studierende werden als Klienten betrachtet. Die Wissenschaftler hingegen seien Dienstleister, die etwas zu verkaufen haben.
Matching Funds
Viele Universitäten und wissenschaftliche Institutionen haben ein System der "Matching Funds" eingeführt. Koste ein Lehrstuhl beispielsweise 2 Millionen US-Dollar, zahlt der Stifter die Hälfte davon, die andere Hälfte treibt die Universität auf. Doch wo nimmt sie das Geld her?
Um einen Pool aufzubauen, tritt jede Fakultät einen Teil ihres Budgets ab. Bekommt sie dafür einen gesponserten Lehrstuhl zurück? Manche ja, andere nein, sagt Brown. Denn die angewandten Wissenschaften und die, die sich öfters in den Schlagzeilen befinden, können hier recht gut absahnen. Doch die Grundlagenforschung und die Geisteswissenschaften verlieren.
Das System der "Matching Funds" nehme die Entscheidungskraft aus den Händen der Akademiker und lege sie in die der Stifter.
Eine Perspektive setzt sich durch
Politische Entscheidungen sollten, so Brown, auf einer Reihe von Informationsquellen beruhen. Doch die Privatisierung der Forschung bedeutet, dass eine Perspektive ¿ und es ist recht klar, welche ¿ sich durchsetzen wird. Eine von der Öffentlichkeit geförderte Wissenschaft habe zumindest die Chance, mehr als nur einer Interessenslage zu dienen.
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Beispiel:
Bestimmte Finanzinstitutionen spenden eine große Summe Geldes an ein wirtschaftswissenschaftliches Universitätsinstitut, um die "Auswirkungen einer hohen Besteuerung auf die Produktivität" zu erforschen. Die Ergebnisse beeinflussen möglicherweise Regierungsmaßnahmen. Doch in diesem Fall werden nur bestimmte Studienergebnisse vorliegen. Gäbe es eine wohlhabende Stiftung, die sich über das Wohl und Wehe von alleinerziehenden Müttern sorgte, sähen die Ergebnisse ganz anders aus.

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Plädoyer
Um die Forschungsziele vor den erodierenden Auswirkungen der kommerziellen Interessen zu schützen, bedürfe es eines massiven Schutzes durch die Regierung. Das Patentrecht beispielsweise dürfe nicht zur Privatisierung von öffentlichem Gut führen. Forschung an der Universität müsse zu einem Großteil von der öffentlichen Hand getragen werden. Und es sollte die Öffentlichkeit sein ¿ und nicht einzelne Firmen, Wissenschaftler oder gar geheimniskrämerische Regierungen ¿ die die Forschungsergebnisse "besitzen".

Gute Gehälter
Wissenschaftler, so der Philosoph, brauchen gute Gehälter und die notwendigen Ressourcen. Darüber hinaus müsse ihre Arbeit Anerkennung finden. Das sei mehr als genug Motivation für herausragende und erfolgreiche Leistung auf wissenschaftlichem Gebiet.
Brown will die Wissenschaften nicht in einem Elfenbeinturm sehen. Es gehe viel mehr darum, wem gegenüber sie rechenschaftspflichtig sei. Browns Antwort ist klar: der Öffentlichkeit. Ihr sei geschuldet, Wissen für alle zugänglich zu halten.
->   James Robert Brown: Privatizing the University
 
 
 
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01.01.2010