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Weltausstellungen: Die Welt im Kleinen  
  Einst waren sie die einzigen Großereignisse, die regelmäßig eine Weltöffentlichkeit schufen. Anfang des 21. Jahrhunderts haben Weltausstellungen diese internationale Bedeutung längst verloren. Ein Historiker analysiert nun - gefördert vom FWF - den Einfluss der überstaatlichen Schauen auf den Prozess der Globalisierung.  
Premiere 1851 in London - sechs Mio. Besucher
Paris, New York und Berlin an einem Tag? Was bis zum 1. Mai 1851 für einen Großteil der Londoner Bevölkerung einen unerreichbaren Traum darstellte, wurde mit der Eröffnung der ersten Weltausstellung im neu erbauten Kristallpalast plötzlich Realität.

Das Großereignis boomte: Rund sechs Millionen Menschen besuchten die Londoner Schau, knapp ein halbes Jahrhundert später waren es in Paris bereits 50 Millionen Besucher.
Die Welt, komprimiert an einem Ort
Die Zahlen sprechen für den Erfolg hinter dem Anspruch: die Welt komprimiert in einem Ausstellungsdorf abzubilden und dort ihren virtuellen Besuch zu ermöglichen.

Die Ausstellungen schufen eine Weltöffentlichkeit, die es den Gästen ebenso wie Berichterstattern, gesellschaftlichen Gruppen und Staaten gestattete, einen internationalen Vergleich von Traditionen, Produkten, von politischen Institutionen und sozialen Praktiken anzustellen und miteinander darüber zu reden.
Schaffung globaler Kommunikationsräume ...
Besonders die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts haben zur Schaffung und inhaltlichen Ausgestaltung globaler Kommunikationsräume wesentlich beigetragen - mit dieser These hat sich der Historiker Wolfram Kaiser vom Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte an die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas gemacht.
... zu Wirtschaft, Politik und Sozialem
"Industrialisierung, Ausweitung des internationalen Handels und moderne Verkehrs- und Kommunikationstechnologien haben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstmals einen breiten Diskurs über wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklungsfragen ermöglicht", erläutert der Historiker das vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderte Projekt.

"Die Weltausstellung waren dafür ein willkommenes zentrales Medium. Die Reichweite dieser Themen wurde zudem durch die Ausstellungsbesuche und die umfangreiche internationale Berichterstattung in den Printmedien erhöht."
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Transformation weltgesellschaftlicher Beziehungen
Kaiser beschäftigt sich vor allem mit den direkten und indirekten Auswirkungen der Großereignisse auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So erwiesen sich die Schauen immer wieder als Raum für die Strukturierung und Transformation weltgesellschaftlicher Beziehungen sowie für Zukunftsdiskurse und den internationalen Kulturtransfer. Auch die Aufwertung des internationalen Image war wesentlich.
->   Die Weltausstellungen im 19. Jahrhundert (Uni Innsbruck)
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Beispiel Japan: Modernisierung und West-Anbindung
"Ein sehr gutes Beispiel war Japan, das nach der Restauration der Meji-Dynastie 1867 und dem Beginn der raschen Modernisierung im Land sowohl 1876 in Philadelphia und erneut 1893 in Chicago mit seiner Präsentation brillierte", so Kaiser.

"Japan zielte darauf ab, seine 'formale Einführung in den Westen' zu erreichen, wie das auch Botschafter Gozo Tateno in Chicago formulierte."
Zur Förderung politischer Integration wenig geeignet
Weniger geeignet schienen Weltausstellungen zur Förderung politischer Integration innerhalb des Landes. "So sollte die Schau in Philadelphia auch dazu beitragen, nur ein Jahrzehnt nach Ende des Bürgerkriegs die Unionisten und Südstaatler durch den Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung von 1776 zu versöhnen - was aber kaum erfolgreich war", meint der Historiker.
Beeinflussung internationaler Agenden
Weitaus erfolgreicher waren die Entwicklung und Beeinflussung internationaler Agenden. "Mit der ersten Weltausstellung in London verfolgte Großbritannien vorrangig das Ziel, den Freihandel als weltweites Organisationsprinzip zu propagieren", erklärt Kaiser.

"Die Schau in St.Louis 1904 enthielt sogar eine eigene Abteilung 'Social Economy', in der Fragen der öffentlichen Gesundheit, der Arbeitsbeziehungen und des Versicherungswesens verhandelt wurden."
Heute Bedeutung verloren ...
Im ausgehenden 20. Jahrhundert haben die Weltausstellungen diese herausragende internationale Bedeutung verloren. "Weltöffentlichkeit wird auch durch andere Großereignisse wie die Olympischen Spiele oder die WTO-Konferenz hergestellt", so der Wissenschaftler.
... aber es gibt sie noch immer
"Auf die medialen Vermittlungsinstanzen haben sich radikal verändert. Zur Weltausstellung (EXPO) in Hannover im Jahr 2000 erlaubte das Internet bereits internationale Kommunikation in Echtzeit und die Einrichtung ganz neuer Formen globaler interaktiver Diskussionsforen."

Dennoch gibt es die Weltausstellungen noch immer. Kaiser resümiert mit der Vermutung: "Womöglich kann eine virtuelle Erfahrung das reale Erlebnis einer solchen Welt im Dorf für viele - noch - nicht ersetzen." Die Ergebnisse der Forschungsprojekts sollen demnächst in Buchform publiziert werden.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Zeitgeschichte Informations System, Uni Innsbruck
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
 
 
 
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01.01.2010