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Forscher erzeugen Gentech-Grippeviren im Labor  
  Die in Asien grassierende Geflügelpest hat die Erkrankung wieder in aller Munde gebracht: die Grippe. Weltweit warnten Experten vor der möglichen Entstehung eines für Menschen extrem tödlichen Virenstrangs. Ein solcher gefährlicher Erreger könnte nun früher entstehen, als gedacht - denn offenbar arbeiten Forscher bereits an besonders virulenten gentechnisch erzeugten Strängen. Ihr Ziel sind allerdings Strategien gegen die gefürchteten Pandemie-Auslöser.  
Wie das britische Wissenschaftsmagazin "New Scientist" berichtet, sind mehrere Forscherteams mit der Erzeugung solcher potenziell äußerst aggressiven und gefährlichen Erregerstämme beschäftigt.

Kritiker bezweifeln allerdings den Nutzen dieser Studien und halten die Arbeiten zudem für viel zu gefährlich.
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Der Artikel von Rachel Nowak ist unter dem Titel "Superflu is being brewed in the lab" im "New Scientist", Ausgabe vom 28. Februar 2004, erschienen.
->   "New Scientist"
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Warnungen vor Pandemie immer lauter
Schätzungen der WHO zufolge erkranken jährlich zwischen drei und fünf Millionen Menschen weltweit an Grippe. 250.000 bis 500.000 Todesfälle sind auf die Influenza zurück zu führen.

Die zirkulierenden Viren verändern sich allerdings beständig, im 20. Jahrhundert kam es insgesamt drei mal zu so grundlegenden genetischen Änderungen, dass daraus globale Pandemien entstanden.

Am berüchtigtsten ist die so genannte "Spanische Grippe", die zwischen 1918 und 1919 weltweit mindestens 40 Millionen Menschen getötet haben soll. Und die Warnungen vor einer neuen Pandemie werden immer lauter. Anlass: Die in Asien grassierende Vogelgrippe.
Entscheidendes Merkmal fehlt noch
Dem Virus fehlte allerdings ein entscheidendes Merkmal, um tatsächlich zur vielbeschworenen weltweiten Bedrohung zu werden. Der Erreger war nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Noch nicht, könnte man die Warnungen - beispielsweise der WHO - auch umschreiben.

Befürchtet wird vor allem eine Kreuzung zwischen dem Geflügelpest-Virus H5N1 und menschlichen Grippeviren.

An solchen neuen Erregerstämmen wird laut "New Scientist" allerdings längst gearbeitet. Demnach forschen etwa Wissenschaftler um Jacqueline Katz von den US Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta mit menschlichen (H3N2) sowie Vogelgrippe-Viren (H5N1).
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Tests zur Verbreitung und Virulenz an Frettchen
Getestet wird unter anderem die Fähigkeit der neuen Erreger, sich durch die Luft zu verbreiten und Erkrankungen in Frettchen zu verursachen. Die Anfälligkeit der Tiere gegenüber Grippe scheint sehr ähnlich jener des Menschen zu sein.
->   Centers for Disease Control (CDC)
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Veränderte Virenstämme für weitere Studien
Albert Osterhaus von der Erasmus University in Rotterdam wiederum plant, veränderte Virenstämme an Nagern und Rhesusaffen zu untersuchen. Seinen Angaben zufolge erwägen weitere Forschergruppen ähnliche Experimente.

Osterhaus' Argumentation laut "New Scientist": Könnte man im Rahmen solcher Forschungen zeigen, dass H5N1 eine Pandemie auslösen kann, so ist höchste Vorsicht geboten angesichts der Ereignisse in Asien.

Gelingt es aber den Forschern nicht, das Vogelgrippe-Virus in einen hochansteckenden menschlichen Erreger umzuwandeln, so könnte man beruhigt entspannen.
Kritik: Kann man sich wirklich sicher sein?
Dem hält allerdings Wendy Barclay von der britischen University of Reading entgegen, dass ein negatives Ergebnis in diesem Fall noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein muss: "Wenn es negativ ausfällt, wie kann man dann sicher sein, dass man jede Möglichkeit getestet hat?"

Barclay gibt allerdings zu, dass ein zwischen Menschen übertragbares Virus deutlich machen könnte, wie groß die Bedrohung tatsächlich ist. Interessant ist demnach etwa die Frage, wie viele Mutationen H5N1 für die Anpassung an den Menschen benötigen würde.
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Worst-case-Szenario: Hochaggressives künstliches Virus
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Forscher könnten tatsächlich erfolgreich sein und ein außerordentlich tödliches Virus im Labor erzeugen - dass aber in der Natur vielleicht nie entstanden wäre. Vergleichbares ist etwa in Australien passiert, wo Wissenschaftler versehentlich einen hochaggressiven Mäusepocken-Erreger schufen. Der Virologe Earl Brown von der kanadischen University of Ottawa hält dies zwar für unwahrscheinlich, aber möglich ist es eben doch - siehe Beispiel Mäusepocken.
->   Mehr dazu: Killer-Virus für Mäuse - als Biowaffe? (12.1.01)
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Was wäre, wenn ein Virus dem Labor entkäme?
Und schließlich spukt wohl den meisten Lesern angesichts dieser Forschungen die Frage im Kopf herum, wie es um die Sicherheitsvorkehrungen der betreffenden Forschungslabors beschaffen ist.

Gelänge eines jener noch zu erschaffenden "Pandemie-Viren" versehentlich nach draußen, möchte man sich die Folgen lieber gar nicht ausmalen. Zudem weisen Kritiker auch auf ihre mögliche Verwendung durch Bioterroristen hin.
Einstufung als "Biosafety Level 3Ag"
Laut "New Scientist" ist es tatsächlich so, dass die CDC-Forscher nicht etwa unter der höchsten Sicherheitsstufe (Biosafety Level 4, kurz BSL-4) arbeiten, sondern lediglich mit BSL-3Ag.

Demnach tragen die Mitarbeiter beispielsweise keine Ganzkörperanzüge, schließlich wird der Geflügelpesterreger H5N1 als nicht-ansteckender und behandelbarer Infekt beim Menschen angesehen. Was allerdings nicht notwendigerweise für die neu erzeugten Stämme zutrifft.
Forschungen mit hehrem Ziel
Das hehre Ziel der Forscher ist es jedenfalls, Antworten auf einige entscheidende Fragen zu finden:

Warum können bestimmte tierische Influenza-Viren auch Menschen infizieren? Was macht diese Erreger so tödlich? Und welche Veränderungen könnten daraus von Mensch zu Mensch übertragbare Erkrankungen mit Pandemie-Potenzial (und Millionen Toten weltweit als Folge) machen?
Die nächste Pandemie kommt bestimmt
Im Übrigen sind sich die meisten Experten wenigstens in einem Punkt einig: Die nächste Grippe-Pandemie kommt bestimmt, sagen sie. Das sei lediglich eine Frage der Zeit.
->   Erasmus University Rotterdam
->   University of Reading
->   Fact Sheets der WHO zu Influenza
->   Informationen des Robert-Koch-Instituts zu Grippe
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Wie Vogel-Viren Menschen infizieren können (6.2.04)
->   Experten warnen vor Viren aus dem Tierreich (26.1.04)
->   WHO warnt vor tödlicher Vogelgrippe-Mutation (22.1.04)
->   Globale Grippe-Epidemie: Ist die Welt gewappnet? (27.11.03)
->   Influenza-Epidemie: Bis zu 6.000 Tote in Österreich (17.11.03)
->   Mutation macht Grippeviren zu Killern (7.9.01)
 
 
 
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01.01.2010