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Ästhetischer Genuss: Der Mars als wilde Schönheit  
  Der Mars diente uns Menschen lange als Projektionsfläche für eher Unangenehmes: Benannt nach dem römischen Kriegsgott brachte uns die unwirtliche Gesteinswüste zu Vorstellungen von heimtückischen Marsmännchen oder - wie bei H.G. Wells - gar dem Krieg der Welten. Seit die jüngsten Missionen die bisher genauesten Bilder des Roten Planeten lieferten, sind wir aber von einem anderen Phänomen beeindruckt: dem ästhetischen Genuss seiner wilden Schönheit.  
Das zumindest meint Martin Kemp, Kunsthistoriker von der Universität Oxford. In der aktuellen Ausgabe von "Nature" ist er der Frage nachgegangen, warum das so ist.
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Der Artikel "Science in culture" ist in "Nature" (Bd.427, S. 785, Ausgabe vom 26. Februar 2004) erschienen.
->   Der Artikel in "Nature" (kostenpflichtig)
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"Kunst, Wissenschaft und Schönheit"
 
Bild: ESA

"Es ist eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft, aus Schönheit und Entdeckergeist" zitiert er John Murray, einen der Projektverantwortlichen der europäischen Marsmission von der Open University in Milton Keynes/Großbritannien.

Auslöser für seine Euphorie: die hochaufgelösten Bilder des Grand Canyon auf dem Mars (Valles Marineris; siehe oben).

Warum wir gerade in dieser unfruchtbaren Topographie eines lebensfeindlichen Planeten wie dem Mars den Eindruck von Schönheit empfinden, liegt laut Kemp an sehr irdischen Traditionen.
Romantische Vorstellung von Landschaftsbildern
Genauer gesagt am "Zusammenspiel zwischen unseren konditionierten Antworten auf bestimmte erhabene Landschaften und den Zielen hinter den Bildaufnahmen".

Weniger Kryptisch: Unsere Vorliebe für Landschaftsbilder, die eher Schrecken erregen als Wohlgefühl, stamme aus den Vorstellungen der Romantik im 18 Jahrhundert. So nachzulesen u.a. in der "Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen" von Edmund Burke aus dem Jahr 1757.
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Edmund Burke
Der Publizist und Philosoph Edmund Burke war im 18. Jahrhundert berühmt für seine glänzende Rhetorik. Seine scharfe Kritik an der Französischen Revolution machte ihn zu einem Mitbegründer des politischen Konservatismus.
Mehr über Edmund Burke (Columbia Encyclopedia)
"Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen", (Uni Bielefeld)
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Bizarres wie beim "Letzten Mohikaner"
Ein handfestes Beispiel, bei dem bizarre Landschaften für wohligen Schauer und ästhetisches Vergnügen sorgten, aus der Literatur: James Fenimore Coopers Buch "Der letzte Mohikaner", in dem die weiten wilden - und vermeintlich unentdeckten - Landschaften des nordamerikanischen Kontinents ihren eigenen Charme verströmten.

Cooper setzte seine tragische Geschichte vor mächtigen Gebirgszügen, Hochplateaus und tiefen Tälern in Szene.

Unsere grundlegenden und ganz einfachen Gefühle, so der Kunstgeschichtskenner Kemp, würden in den wilden Topographien eher zum Ausdruck kommen als in den künstlichen Umzäunungen unserer Städte - womit er sich ganz auf die Seite der Romantiker stellt.
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Auch früher war die Natur nicht "unberührt"
Dass romantische Vorstellungen mit der Realität wenig gemein haben, wurde zuletzt durch eine Studie amerikanischer Ökologen offensichtlich. Sie hatten sich im November 2003 der vermeintlich unberührten Natur ihres Kontinents vor der Kolonialisierung durch die Europäer angenommen. Das Ergebnis ihrer Spurensuche: Auch früher war die Natur nicht "unberührt".
->   Mehr dazu in science.ORF.at (24.11.03)
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Zeugnis einer Vergangenheit, die den Planeten formte
Die Rhetorik der Erhabenheit, so Kemp, sei schon lange auch ein integraler Bestandteil der Symbolik von Planeten. Die neuen, vom Mars Express gelieferten Bilder würden nicht nur zu geologischen Analysen führen, die alles bisher gekannte in den Schatten stellen. Sie führen auch zurück zu den Motiven der Landschaftsmalerei im frühen 19. Jahrhundert.

Ein Grund für die Anziehungskraft der erhabenen Landschaften, die von den Malern um 1800 hergestellt wurden, habe in ihrer Zeugenschaft für die Vergangenheit gelegen - eine Vergangenheit, die erst nach langen Prozessen unseren Planeten geformt hat.

Die Visionen der Künstler aus jener Zeit seien sehr ähnlich etwa den Vorstellungen des Geologen Charles Lyell gewesen, der die Ursachen für die Veränderungen der Erdoberfläche in langsam verlaufenden Abläufen der Gesteinsbildung gesehen hatte - und mit seinem Denken das Werk von Charles Darwin entscheidend beeinflusste.
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Charles Lyell
Der Schotte Charles Lyell (1797-1875) zählt zu den bedeutendsten Geologen des 19. Jahrhunderts. Er vertrat in seiner Fachdisziplin die Theorie des Aktualismus, der zu Folge die Ursachen für die Veränderungen der Erdoberfläche in langen Prozessen der Gesteinsbildung (Hitzeeinwirkung, Verwitterung und Erosion) zu finden sind. Die Theorie ersetzte die bis dahin überwiegende Katastrophentheorie.
->   Mehr über Charles Lyell (Uni Wien)
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Gleich für Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler
Ähnlich verhalte es sich angesichts der aktuellen Bilder von der "narbenbedeckten Oberfläche des Roten Planeten". Sie treffen, so Kemp, auf unsere ästhetischen Anlagen - und die seien bei Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern gleich.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Martin Kemp, University of Oxford
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Schönheit definiert sich kulturell (17.11.03)
->   Gen-Pionier Watson: Menschheit wird klug und schön (28.2.03)
->   Schönheit im Wandel der Geschichte (3.10.01)
->   "Mars Express" liefert Bilder von Mars-Vulkan (13.2.04)
 
 
 
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01.01.2010