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Neandertaler behielten ihrer Gene für sich  
  Warum die Neandertaler vor rund 30.000 Jahren ausstarben, ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Zuvor lebten sie über viele Jahrtausende gemeinsam mit dem Homo sapiens. Ihr Erbgut behielten die Neandertaler dabei allerdings im Wesentlichen für sich. Wie genetische Untersuchungen nun bestätigen konnten, fand keine Vermischung mit dem modernen Menschen statt.  
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat fossile Überreste von Neandertalern und frühen modernen Menschen einer genauen Analyse unterzogen.

Ergebnis der Untersuchung, die in "PLoS Biology" veröffentlicht wurde: Die Neandertaler können keinen großen Beitrag zur genetischen Ausstattung des modernen Menschen geleistet haben.
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Die Studie ist unter dem Titel "No evidence of Neandertal mtDNA contribution to early modern humans" als Vorab-Online-Veröffentlichung in "PloS Biology" (Bd. 2, 16. März 2004, DOI: 10.1371/journal.pbio.0020057) erschienen.
->   Die Originalstudie in "PloS Biology"
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DNA-Spuren in fossilen Knochen
Auf der Suche nach den Ursprüngen des modernen Menschen haben Wissenschaftler bisher fast ausschließlich fossile Funde und deren morphologische Beschaffenheit als Informationsquellen benutzt.

Doch inzwischen kann man mittels moderner molekulargenetischer Techniken auch kleinste Spuren von DNA, die in den Knochenfunden enthalten sind, untersuchen. In diesen alten DNA-Sequenzen finden die Forscher mehr und mehr Informationen über unsere evolutionäre Vergangenheit.
Theorie gemeinsamer Nachkommen
Bild: Andre Langaney
Auf Grund morphologischer Untersuchungen an Fossilien wurde etwa die Theorie aufgestellt, wonach der frühe moderne Mensch und der Neandertaler gemeinsame Nachkommen gezeugt haben könnten, da beide Populationen zeitweise nebeneinander lebten.

Jetzt hat das Forscherteam unter der Leitung von Svante Pääbo die vom Umfang her bis dato größte Probe von Überresten sowohl von Neandertalern als auch von frühen modernen Menschen analysiert. Das Ergebnis zeigt nach Angaben der Forscher, dass die Neandertaler keinen großen genetischen Beitrag zum frühen modernen Menschen geleistet haben können.

Rechts im Bild: Schädel eines Neandertalers, Fundort: La Chapelle (Frankreich).
Problem: Verunreinigung von Neandertaler-Proben
Das Problem: Fossiles Material enthält oftmals auch DNA-Spuren heute lebender Menschen, durch deren Hände der Fund gegangen ist. Wenn also eine Neandertaler-Probe eine "echte" bzw. endogene DNA-Sequenz enthält, die der eines frühen Menschen ähnelt, liegt die Vermutung nahe, dass die Probe verunreinigt ist.

Als Pääbo und Kollegen gezielt in ihren fossilen Proben nach moderner DNA suchten, fanden sie diese tatsächlich in jeder Probe wieder - beim Neandertaler, bei frühmenschlichen Fossilien und sogar in den Zähnen von sechs Höhlenbären.
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Mitochondriale DNA zur Abstammungsbestimmung
Um die Evolution des Menschen zu rekonstruieren, nutzen die meisten Molekularanthropologen im Übrigen das in den so genannten Mitochondrien enthaltene Erbgut. Denn im Unterschied zur Zellkern-DNA wird die mitochondriale DNA (mtDNA) ausschließlich mütterlicherseits an die Nachkommenschaft weitergegeben, zeigt uns also ein einfaches Bild unserer "mütterlichen" Geschichte. Selbst die 33 "Urmütter" der Menschheit will ein britischer Genetiker auf diese Weise bestimmt haben.
->   Mehr dazu: Artikel vom 31. Mai 2001
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Suche nach originärer Neandertaler-DNA
Um dieses Problem zu umgehen, haben die Forscher daher nicht nach menschlicher, sondern ausschließlich nach Neandertaler-DNA gesucht, um Hinweise auf eine Mischung beider Populationen zu finden.

Die mtDNA des modernen Menschen kann man wiederum leicht von jenen mtDNA-Sequenzen unterscheiden, die in vier zuvor bereits sequenzierten Neandertaler-Proben vorkommen.

Daher haben die Forscher in weiteren Neandertaler-Fossilien und in frühmenschlichen Überresten nach mtDNA gesucht, die jenen ersten Neandertaler-Proben ähnelt.
Neue Technik misst Aminosäuregehalt der Proben
Da es weltweit nur wenige dieser wertvollen Fossilien gibt, sie also ein seltener "Rohstoff" sind, wendete Pääbos Gruppe eine Technik an, die sie in ihren Labors entwickelt hatte:

Der Aminosäuregehalt einer Probe verrät demnach, ob endogene DNA aus dieser Probe für die Untersuchungen zur Verfügung steht. Für den Test benötigt man lediglich zehn Milligramm Knochenmaterial eines fossilen Fundes.

Die Forscher analysierten mit dieser Methode die fossilen Überreste von 24 Neandertalern und 40 frühen modernen Menschen. Mit dem Ergebnis, dass die Proben von vier Neandertalern und fünf frühen modernen Menschen den Aminosäuretest bestanden - also die für eine Untersuchung notwendige Mindestmenge an DNA enthielten.
Probe aufs Exempel in der "Übergangszeit"
Unter diesen Fossilien waren auch Proben, die als "Übergang" zwischen beiden Gruppen eingestuft wurden. Sie stammen von verschiedenen Orten Europas - es ist daher wahrscheinlich, dass Vertreter beider Populationen auch tatsächlich aufeinander getroffen waren.

Auf der Suche nach Neandertaler-mtDNA fanden die Forscher in den Neandertaler-Proben mtDNA-Sequenzen, die beim heutigen Menschen nicht vorkommen, die aber denen sehr ähneln, die in den vier bereits zuvor sequenzierten Neandertaler-Proben gefunden worden waren.

Umgekehrt enthielt keine der fünf frühmenschlichen Proben Neandertaler-ähnliche mtDNA.
Vermischung dennoch nicht ausgeschlossen
In Anbetracht der begrenzten Menge an frühmenschlichem fossilem Material wollen Pääbo und Kollegen zwar nicht ausschließen, dass zwischen beiden Populationen vielleicht doch ein Austausch von genetischem Material stattgefunden hat.

Da aber sogar fossile Proben, die als anatomischer Übergang zwischen modernen Menschen und Neandertalern klassifiziert waren, keinen Hinweis auf einen mtDNA-Austausch gaben, nehmen die Wissenschaftler an, dass Neandertaler allenfalls einen sehr geringen Beitrag zur genetischen Ausstattung des heutigen Menschen geleistet haben.
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Klimaforscher: Kälte ließ Neandertaler aussterben (22.1.04)
->   Kunstfertigkeit der Neandertaler erneut belegt (15.1.04)
->   Ask Your Scientist: Wieviel "Neandertaler" in jedem Menschen steckt (7.10.03)
->   Neandertaler mischten sich nicht mit Menschen (13.5.03)
 
 
 
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01.01.2010