News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Müdigkeit: Eine Sache des Gehirns  
  Selbst gut trainierte Hobbysportler kennen ihn: den Punkt, an dem sich eine bleierne Müdigkeit über den Körper legt, der kaum weitere Anstrengungen erlaubt. Eine natürliche Reaktion erschöpfter Muskeln? Mitnichten, meinen südafrikanische Sportmediziner: Ihnen zufolge nimmt die Ermüdung von Ausdauerathleten nicht in den Muskeln ihren Anfang, sondern im Gehirn.  
Die Theorien von Timothy David Noakes und Alan St. Clair Gibson vom Sports Science Institute of South Africa werden in der aktuellen Ausgabe des "New Scientist" vorgestellt.
...
Der Artikel "Running on empty" ist im "New Scientist" (Ausgabe vom 20. März 2004, S. 42-45) erschienen.
->   "New Scientist"
...
Ermüdung bei Erreichen muskulärer Grenzen ...
Herkömmliche Theorien erklären Erschöpfung in erster Linie mit dem Erreichen physischer Grenzen: Wenn etwa die Energiereserven der Muskeln aufgebraucht sind oder wenn die giftigen Nebenprodukte ihrer Arbeit überhand nehmen.
... oder durch zentralen Regulator?
Ganz anders argumentieren nun Noakes und St. Clair Gibson. Für sie ist Müdigkeit kein Signal, das von überbeanspruchten Muskeln herrührt, sondern ein Gefühl, das im Gehirn beginnt.

Die Sportmediziner nennen ihre Theorie "central governor theory". Der zentrale Regulator sitzt ihnen zufolge im Gehirn und produziert - mit Hilfe physiologischer, bewusster, aber auch unbewusster Informationen - jene Eindrücke, die wir als "Muskelermüdung" empfinden.
Genauer Sitz im Gehirn unklar
Wo sich dieser zentrale Regulator genau befindet, darüber können die Forscher keine definitive Aussage treffen.

EEG-Studien zeigten jedenfalls eine Reihe von beteiligten Gehirnarealen: so der vordere Gehirnlappen, der eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt, der Parietallappen (räumliche Orientierung), aber auch die Sprach- bzw. optischen Zentren.
...
Muskeln brauchen Energie, ATP liefert sie
Wenn Muskeln bewegt werden sollen, benötigen sie Energie. Diese wird im menschlichen Körper durch das "Adenosintriphosphat" (ATP) bereitgestellt, eine Nukleinsäure für die Speicherung und Übertragung freier chemischer Energie. Muskelfasern bestehen aus zwei Arten so genannter Filamente: dicke Myosin- und dünne Actinfilamente, die aus mehreren 100 Molekülen der Muskeleiweiße Myosin bzw. Actin bestehen.

Die Kontraktion des Muskels beruht darauf, dass die beiden Filamentgitter ineinander gleiten. Dabei wird chemische Energie, gespeichert im ATP, in mechanische Arbeit (Muskelarbeit) umgewandelt. Die Kontraktion wird durch Erregungsübertragung von einem Nerv ausgelöst. Dadurch wird ein bis dahin wirkender Hemmstoff zeitweise inaktiviert, sodass ATP zerfallen kann und Energie für die Kontraktionsarbeit freigibt.
->   Mehr dazu in: Kreatin stärkt die Muskeln und den Geist (13.8.03)
...
"Milchsäure-Paradox" und ATP-Werte
Noakes und St. Clair Gibson beweisen ihre These u.a. anhand eines so genannten "Milchsäure-Paradox". Milchsäure entsteht als Nebenprodukt bei körperlicher Anstrengung und wird oft als Ursache von Ermüdung angesehen.

Untersuchungen an Athleten, die in Dekompressionskammern ein Höhentraining simulierten, zeigten laut Noakes aber klar, dass die Ermüdung eintrat, auch wenn die Milchsäure-Niveaus niedrig blieben.

Auch der Umstand, dass selbst die Glykogen- bzw. ATP-Werte von besonders angestrengten Sportlern noch - relativ - hoch seien, spreche für die These, dass das Ermüdungsgefühl auf anderen Wegen zustande kommt.
...
Subjektive Ermüdung trotz körperlicher Ressourcen
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen die Forscher im Rahmen einer anderen Studie - "Reduced neuromuscular activity and force generation during prolonged cycling", die sie 2001 im "American Journal of Physiology (AJP)" (Bd. 281, S. R187, Ausgabe vom Juli 2001) veröffentlichten. Messungen der Aktivität einzelner Muskelfasern bei starker Anstrengung zeigten damals eine subjektive Ermüdung der Sportler, obwohl noch messbare körperliche "Ressourcen" zur Verfügung standen.
->   Die Studie im "AJP"
...
"Relativitätstheorie" bevorstehender Anstrengungen
Weiteres Indiz für die Richtigkeit ihrer These: die auch Hobbysportlern bekannte "Relativitätstheorie" bevorstehender Anstrengungen. Wer sich auf den Weg eines längeren Trainingslaufs macht, für den gestalten sich die ersten Kilometer leichter, als für den, der nur eine kürzere Strecke bewältigen möchte.

Das Regulationsinstrument im Gehirn, so die Forscher, "hebt" sich seine Ermüdungssignale im ersten Fall für später "auf".

Einen Grund für diese Strategie haben sie auch entdeckt. Laut St. Clair Gibson hat der Körper ein Interesse daran, sich einen Energiepolster für etwaige Notfälle zu behalten - dies mache evolutionsbiologisch Sinn.
Intervalltraining fürs Gehirn
Für die Optimierung des Sportlertrainings sei ihre Theorie auch zu gebrauchen, meinen die Forscher. Neuigkeiten können sie zwar keine bieten ("Trainer sind der Wissenschaft oft voraus", so der Physiologe George Brooks von der Berkeley University), aber immerhin die Untermauerung bisheriger Praxis - konkret: des Wertes von Intervalltraining.

So stünden nicht so sehr die physiologischen Veränderungen von Intervalltraining - wie die bessere Aufnahme von Sauerstoff in den Muskelzellen - im Mittelpunkt, sondern der Lerneffekt im Gehirn. Da sich nach jeder Phase mit hoher Belastung wieder eine Ruhepause befindet, würde es bald lernen: "Mehr Anstrengung schadet nicht".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Faculty of Health Sciences, University of Capetown
->   Physiologie des Laufens (WDR)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Muskel-Doping dank Gentechnik (17.2.04)
->   Sportliche Höchstleistungen: Doch nicht so viel trinken? (18.7.03)
->   Forscher entdecken Protein für leistungsfähige Muskeln (14.8.02)
->   Experten warnen vor überflüssigen Nährstoffen (12.3.02)
->   Wenn Zellen Muskeln zeigen (2.4.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010