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Biologen warnen vor dem "sechsten Massensterben"  
  Mit dem Begriff Massensterben verbindet man einschneidende Ereignisse wie jenen Asteroideneinschlag, der einst das Ende der Dinosaurier eingeleitet haben soll. Forscher gehen davon aus, dass die Erdgeschichte fünf große und eine ganze Reihe kleinerer Katastrophen dieser Art erlebte. Britische Biologen haben nun Vögel, Pflanzen und Schmetterlinge ihres Heimatlandes untersucht. Ihre eindringliche Warnung: Die Erde könnte gerade am Beginn des sechsten großen Massensterben ihrer Geschichte stehen.  
Die Forscher um Jeremy Thomas britischen NERC Centre for Ecology and Hydrology in Dorchester haben die Daten aus insgesamt sechs großen Bestandsaufnahmen von Vögeln, Pflanzen und Schmetterlingen analysiert. Ihre Ergebnisse sind im Fachmagazin "Science" erschienen.
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Die Studie "Comparative Losses of British Butterflies, Birds, and Plants and the Global Extinction Crisis" ist erschienen in "Science", Bd. 303, Seiten 1879 - 1881, Ausgabe vom 19. März 2004. Ein begleitender Artikel "Naturalists' Surveys Show That British Butterflies Are Going, Going ..." von Elizabeth Pennisi beleuchtet die Ergebnisse der Forscher (Seite 1747).
->   Die Originalstudie in "Science" (kostenpflichtig)
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Massensterben: Bis zu 95 Prozent allen Lebens
Bild: © Robert Thompson/Butterfly Conservation
Boloria euphrosyne, starker Rückgang seit den 1970er Jahren.
Wenn innerhalb eines - erdgeschichtlich - vergleichsweise kurzen Zeitraums ein Großteil (zwischen 50 und 95 Prozent) allen Lebens auf der Erde ausstirbt, sprechen Wissenschaftler von einem Massensterben.

Bekanntestes Beispiel: Das Aussterben von Dinosauriern und Co vor etwa 65 Millionen Jahren. Beim bislang größten Massensterben der Erdgeschichte vor rund 250 Millionen Jahren verschwanden gar über 90 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten von der Bildfläche.
Auch ohne Asteroideneinschläge möglich
Über die Ursache(n) jener längst vergangenen Katastrophen, etwa Asteroideneinschläge oder Vulkanausbrüche, wird immer wieder diskutiert. Doch braucht es möglicherweise jene drastischen Szenarien gar nicht.

Immerhin könnte die Erde derzeit am Beginn eines neuen großen Artensterben stehen, wie nun die Untersuchungen von Jeremy Thomas und Kollegen andeuten. Sie sehen gar die Hypothese gestärkt, die vor einem "sechsten großen Massensterben" warnt.
Riesige Bestandsaufnahme zu britischen Arten
Bild: © Martin Warren/Butterfly Conservation
Maculinea arion, in Großbritannien seit 1979 ausgestorben.
Die Besorgnis um wachsendes Artensterben in einzelnen Populationen, regional oder auch global, nehme zu, schreiben die Wissenschaftler in "Science". Eine Schlüsselfrage ist demnach: Lassen sich solche Daten von einer Gruppe von Organismen auf andere Gruppen übertragen?

Die Arbeit der Biologen deckt nun eine immense Bandbreite an Arten ab: Sie analysierten insgesamt sechs großangelegte Bestandsaufnahmen von Pflanzen, Vögeln und Schmetterlingen im gesamten Gebiet der Britischen Inseln - durchgeführt in einem Zeitraum von etwa 20 bis 40 Jahren.
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Die verschiedenen Bestandsaufnahmen im Detail
Die Arbeit der Biologen begann bereits in den 1950er Jahren: Damals organisierten sie eine erste Erhebung zu allen insgesamt 1.254 heimischen Gefäßpflanzenarten der britischen Inseln (1954-1960), rund 27 Jahre später folgte eine zweite (1987-1999). Ähnlich das Vorgehen bei allen 201 heimischen Brutvögeln (1968 - 1972 sowie 1988-1991) und allen 58 heimischen Brutschmetterlingen (1970-1982 sowie 1995-1999). Den immensen Aufwand jener Bestandsaufnahmen kann man sich vorstellen. Tatsächlich waren Tausende Freiwillige nötig, um die erforderlichen Daten zu sammeln.
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Vor allem Schmetterlinge negativ betroffen
Bild: © Tommy Holden/BTO
Der Feldsperling, einst ein häufiger Vogel - seine Populationsgröße hat innerhalb der vergangenen 40 Jahre um 95 Prozent abgenommen.
Ihre Ergebnisse sind ernüchternd: Für alle drei untersuchten Gattungen ließ sich demnach ein recht erheblicher Rückgang feststellen. Überraschenderweise sind aber vor allem die Schmetterlinge von dieser Entwicklung betroffen.

Innerhalb von nur 20 Jahren starben demnach zwei Arten völlig aus. Und bei einem Großteil der Falter - mehr als 70 Prozent - stellten die Forscher einen mehr oder minder starken Rückgang fest.

Nicht ganz so dramatisch war die Entwicklung bei den Vögeln (54 Prozent der untersuchten heimischen Arten waren von einem Populationsrückgang betroffen), bei den Pflanzen lauten die Zahlen: 24 Prozent innerhalb von 40 Jahren.
Insekten reagieren besonders schnell
Bild: © Martin Warren/Butterfly Conservation
Leptidea sinapis, lebt in Waldgebieten und ist seit den 1970er Jahren stark zurückgegangen.
Die Forscher warnen nun, dass der festgestellte Rückgang bei den Schmetterlingen ähnliche Bestandsabnahmen bei Vögeln und Pflanzen vorausahnen lasse. "Denn Insektenpopulationen reagieren typischerweise schneller auf ungünstige Umweltveränderungen als langlebigere Organismen."

Und wie die Biologen weiter ausführen, deuten Schätzungen zu diversen anderen britischen Insektenarten darauf hin, dass jene - ähnlich wie die Schmetterlinge - tatsächlich in gleicher Weise an Bestand verlieren.
Ursachen die gleichen wie beim weltweiten Artensterben
Obwohl die Artenvielfalt in Großbritannien gering sei, halten die Forscher die Veränderungen im Übrigen nicht für atypisch: Die Prozesse, die hinter ihren Beobachtungen stehen, sind demnach die gleichen, die weltweit für den Artenrückgang verantwortlich zu machen sind.
Weltweites unbemerktes Insektensterben?
Ihre Schlussfolgerung: Wenn Insekten in den anderen Gebieten der Erde ähnlich empfindlich reagieren, dann sterben derzeit bei den Wirbellosen möglicherweise genauso viele Arten aus, wie man dies bei Pflanzen und Wirbeltieren beobachtet - und zwar ohne dass dies registriert würde.

Das aber, meinen die Wissenschaftler um Jeremy Thomas, unterstützt eine äußerst alarmierende Hypothese, die da lautet: "Die biologische Welt nähert sich dem sechsten großen Massensterben ihrer Geschichte."

Die Ergebnisse zeigen, "dass wir wahrscheinlich das Ausmaß des bevorstehenden Aussterbens unterschätzt haben", kommentiert denn auch der Ökologe Stuart Pimm von der Duke University in North Carolina die Studie.
WWF-Experte sieht keine Anzeichen für Massensterben
Weniger überzeugt gibt sich hingegen der Artenschutzexperte Volker Homes von der Umweltstiftung WWF in Frankfurt am Main. Die Daten aus Großbritannien seien so gut wie vermutlich nirgendwo sonst auf der Welt. Ein katastrophales Artensterben wie in den vergangenen Erdzeitaltern leitet Homes jedoch aus den Ergebnissen nicht ab.

"Diese Ergebnisse überraschen mich überhaupt nicht", kommentiert der WWF-Experte die Studie. "Die Arbeiten sind ein weiterer Baustein für die Legitimierung der Umweltbewegung und der Diskussion, die über den Artenschwund geführt wird."
->   NERC Centre for Ecology and Hydrology
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01.01.2010