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Studie: Österreich zählt zu Modernisierungsgewinnern  
  "Modernisierungsverlierer" sind eher als Schlagwort in der politischen Debatte bekannt, denn als Ausdruck empirischer Beobachtung. Eine internationale Vergleichsstudie hat dies nun geändert: Ihr zufolge zählt Österreich zu jenen Ländern mit den meisten Modernisierungsgewinnern, während in Osteuropa die meisten Verlierer zu Hause sind. Und: Während die Verlierer im Westen politisch eher nach rechts tendieren, orientieren sich osteuropäische Verlierer nach links, so Studienautor Markus Hadler vom Grazer Institut für Soziologie in einem Gastbeitrag.  
Modernisierungsverlierer und -gewinner
Von Markus Hadler

Der Begriff der "Modernisierungsverlierer" war und ist in den politischen Diskussionen der letzten Jahre allgegenwärtig. Je nachdem, wer gerade etwas zu verlieren bzw. verloren hat, wird einmal jene und einmal diese Bevölkerungsgruppe als Verlierer genannt. Unhinterfragt bleibt dabei zumeist, wie die "Verlierer" und "Gewinner" ihre eigene Lage wahrnehmen. Noch seltener wird hinterfragt, wie hoch die Anteile an Verlierern und Gewinnern in verschiedenen Ländern sind.

In diesem Beitrag wird deshalb versucht, die Kategorisierung "Modernisierungsverlierer" präziser zu erfassen und anhand der subjektiven Einordnung im politischen Links-rechts-Schema auch auf ihre Auswirkung auf individuelle Einstellungen hin zu überprüfen.

Zusätzlich wird versucht, im internationalen Vergleich die Anteile der Verlierer und Gewinner in den einzelnen Staaten zu erheben und mit der wirtschaftlichen Entwicklung und den politischen Maßnahmen in Verbindung zu bringen.
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Datenbasis: Umfrage zu sozialer Ungleichheit von 1999
Die Studie basiert auf der ISSP-Umfrage zur sozialen Ungleichheit aus dem Jahr 1999. An dieser Erhebung nahmen 30 Länder teil; insgesamt besteht das International Social Survey Programme derzeit aus 39 Ländern. Im Rahmen dieses Programms werden jedes Jahr repräsentative Umfragen in den einzelnen Ländern durchgeführt und in regelmäßigen Abständen wiederholt. Die Themen variieren von Jahr zu Jahr und umfassen Bereiche wie Familie, Arbeit, Umwelt usw.
->   ISSP
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Die Definition der vier Gruppen ...
Für die Definition der Verlierer und Gewinner werden sowohl strukturelle Merkmale der Individuen (Einkommen, Berufsposition und dergleichen) als auch deren subjektive Wahrnehmungen (eigene soziale Position, Auf- bzw. Abstieg) herangezogen und zu folgenden vier Gruppen kombiniert:

1. Absolute Verlierer sind nur solche Individuen, die strukturellen Risiken ausgesetzt sind und gleichzeitig subjektiv depriviert sind, d. h. also z.B. einen starken sozialen Abstieg wahrnehmen. Jene, die einen subjektiven sozialen Aufstieg wahrnehmen, aber (noch immer) strukturellen Risiken ausgesetzt sind, werden hingegen als 2. vermeintliche Verlierer bezeichnet. Vermeintlich deshalb, weil sie zwar nach alltagssprachlicher Diktion als Verlierer gelten, subjektiv aber eine Verbesserung ihrer eigenen Lage wahrnehmen.
... von Verlierern und Gewinnern
Umgekehrt verhält es sich bei den strukturell privilegierten Individuen. Jene, die hier subjektiv depriviert sind, aber nach objektiven strukturellen Kriterien (noch immer) bevorzugt sind, würden nach alltagssprachlicher Diktion nicht zu den Verlierern zählen. Gewinner sind sie aber ebenso wenig. Deshalb wird diese Gruppe als 3. vermeintliche Gewinner bezeichnet. Eine weitere Gruppe sind 4. die absoluten Gewinner. Diese umfasst nur jene Individuen, die strukturell und subjektiv privilegiert sind.
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Vier Ländergruppen
Die miteinbezogenen Länder können nach den Anteilen der vier oben genannten Gruppen ebenfalls in vier Ländergruppen unterteilt werden. In Ländergruppe 1 dominieren die absoluten Gewinner und in Gruppe 2 die vermeintlichen Gewinner. In etwa der Hälfte der erfassten 30 Staaten sind die absoluten Verlierer die dominante Gruppe.

Da sich diese Länder hinsichtlich der Anteile der übrigen Gewinner- und Verlierergruppen stark unterscheiden, wurden sie abermals unterteilt: In Gruppe 3 dominieren die absoluten Verlierer, gleichzeitig haben auch die absoluten Gewinner einen Anteil von über 20 Prozent. Gruppe 4 umfasst hingegen jene Staaten, in denen die absoluten Verlierer dominieren und die absoluten Gewinner weniger als 20 Prozent umfassen.
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Absolute Gewinner in Österreich, Norwegen, Schweiz
Die größten Anteile an absoluten Gewinnern können in Staaten wie z. B. Österreich, Norwegen und der Schweiz gefunden werden. Relativ viele vermeintliche Verlierer finden sich hingegen in Kanada, den USA, aber auch in Schweden.
In die dritte Gruppe mit vielen absoluten Verlierern aber auch einigen Gewinnern fallen Länder wie Großbritannien, Japan oder die Tschechische Republik. Zur Gruppe mit den meisten Verlierern zählen vor allem die osteuropäischen Länder.
Die möglichen Ursachen: Zusammenhang von ...
Weitere Analysen zeigen einen Zusammenhang von Wirtschaftsentwicklung, Sozialausgaben und Arbeitslosenzahlen mit der durchschnittlichen strukturellen und subjektiven Deprivation. Die Auswirkungen negativer Entwicklungen wie z.B. einer schlechten Wirtschaftentwicklung auf die individuelle Deprivation können aber durch höhere Sozialausgaben abgefedert werden.
... Wirtschaftsentwicklung und Sozialausgaben
Deutlich wird dies auch bei direkten Ländervergleichen. Beispielsweise fallen die beiden Nachbarstaaten Schweden und Norwegen in zwei unterschiedliche Ländergruppen. In Schweden, wo zu Beginn der neunziger Jahre einige einschneidende Reformen des Wohlfahrtsstaates durchgeführt wurden, ist der Anteil der absoluten Gewinner kleiner als in Norwegen.

Wenn man die in den 80er und 90er Jahren konservativ-liberal geführten Staaten USA und Großbritannien vergleicht, fällt auf, dass in den USA ein höherer Anteil subjektiv zufrieden ist. Eine Ursache dafür könnte die bessere wirtschaftliche Entwicklung im Vergleich zu Großbritannien sein.
Verlierer im Westen eher rechts, im Osten eher links
Es wurde kurz geprüft, ob die Eigenschaft "Verlierer" bzw. "Gewinner" zu sein auch eine Auswirkung auf Einstellungen hat. Im deutschsprachigen Raum wurden Modernisierungsverlierer immer wieder mit rechten politischen Einstellungen in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund wurde in dieser Untersuchung ebenfalls die subjektive Einordnung im Links-rechts-Schema herangezogen. Es zeigt sich, dass deutliche Unterschiede vorhanden sind.

In den osteuropäischen Ländern haben Verlierer eher politisch linke Einstellungen und im Westen zeigt die Tendenz eher in Richtung rechts. Das bedeutet, dass eine Pauschalbeurteilung aller Modernisierungsverlierer als rechtsgerichtete Personen zu kurz greift und dass zumindest das politische Umfeld und der staatliche Kontext miteinbezogen werden müssen.
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Zum Autor und zur Publikation
Bei dem Text handelt es sich um eine Kurzversion des Artikels "Modernisierungsverlierer und -gewinner. Ihre Anteile, Wahrnehmungen und Einstellungen in einem 30 Staaten umfassenden Vergleich" von Markus Hadler aus der aktuellen Ausgabe der "SWS-Rundschau", die Ende März 2004 erscheint.

Markus Hadler ist Assistent am Institut für Soziologie der Karl Franzens Universität Graz. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Bereichen international vergleichende Sozialforschung, politische Soziologie und Methodik der Sozialforschung.
->   "SWS-Rundschau"
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->   Institut für Soziologie, Universität Graz
 
 
 
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01.01.2010