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Uni Wien: Titel-Aberkennung aus NS-Zeit nichtig  
  Während der NS-Herrschaft wurden mehr als 200 Absolventen der Universität Wien ihre akademischen Titel aus so genannten "rassischen", politischen bzw. aus damaliger Sicht strafrechtlichen Gründen aberkannt. Vielen davon wurden nach 1945 die zu Unrecht aberkannten Doktorate wieder verliehen. Doch kürzlich ist bei Recherchen im Universitätsarchiv eine bisher unbekannte Liste mit weiteren 32 Fällen aufgetaucht, darunter so prominente Betroffene wie Stefan Zweig und Bruno Bettelheim.  
In einer Gedenkveranstaltung will die Uni Wien nun diese Aberkennung des akademischen Grades für nichtig erklären.
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Gedenkveranstaltung anlässlich der Nichtigerklärung von Aberkennungen akademischer Grade zur Zeit des Nationalsozialismus an der Universität Wien: 31. März 2004, 17.00 Uhr, Universität Wien, Kleiner Festsaal.
->   Mehr über die Veranstaltung (Uni Wien)
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Ohne Staatsbürgerschaft auch kein akademischer Titel
Der Verlust der Staatsbürgerschaft, etwa aus politischen oder "rassischen" Gründen, brachte unter den Nationalsozialisten gleichzeitig auch die Aberkennung des Titels mit sich, weil die Betroffenen "... eines akademischen Grades unwürdig" seien, wie es im Reichsgesetzblatt vom 7. Juni 1939 hieß. Außerdem verlor man seinen Titel, wenn man strafrechtlich verurteilt wurde - eine Bestimmung, die erst 1974 abgeschafft wurde.
Wiederverleihung dauerte Jahre
Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden gesetzliche Grundlagen für die Wiederverleihung "zu Unrecht aberkannter Doktorate" geschaffen. Bis auf wenige positiv erledigte Einzelanträge passierte aber vorerst einmal nichts. Erst zehn Jahre später, also 1955, beschloss der Senat der Uni Wien die Wiederverleihung der zu Unrecht aberkannten Titel für insgesamt 181 Personen.
2002 wurden 32 "neue" Fälle entdeckt
Doch es gab mehr Fälle von Aberkennungen, die bei dieser Wiederverleihung nicht berücksichtigt wurden, wie eine im Jahr 2002 bei Recherchen im Universitätsarchiv entdeckte Liste aus dem Juni 1941 mit weiteren 32 Namen belegt.

Darunter finden sich prominente vertriebene Absolventen der Universität Wien wie der Schriftsteller Stefan Zweig und der Kinderpsychologe und Psychoanalytiker Bruno Bettelheim (beide Dr. phil.), Alfons Rothschild oder der Jurist und Historiker Albert Fuchs, der mit seinem Buch "Geistige Strömungen in Österreich" als einer der ersten die österreichische Kultur- und Geistesgeschichte dokumentiert hat, wie der Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte, Friedrich Stadler, im Gespräch mit der APA erklärte.
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Uni Wien bekennt sich zur Geschichte
"Die heutige Universität Wien bekennt sich ohne Einschränkung zur Mitschuld und Mitverantwortung an diesem inhumanen, unrechtmäßigen und unwürdigen Akt in der NS-Zeit", heißt es in der Einladung zur Gedenkveranstaltung. Der Senat der Uni Wien hat deshalb am 10. April 2003 beschlossen, "generell sämtliche Aberkennungen von akademischen Graden durch die Universität Wien aus politischen Gründen zur Zeit des Nationalsozialismus für nichtig zu erklären und einen entsprechenden Vermerk in den Promotionsprotokollen der Universität Wien vorzunehmen."

Damit solle "die akademische Ehre all jener AkademikerInnen - auch stellvertretend für noch nicht rehabilitierte Personen - wiederhergestellt werden", die im Aufhebungsbeschluss von 1941 genannt seien.
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Aberkennungsgründe: Staatszugehörigkeit, Kerkerstrafe
Bei der neu entdeckten Liste erfolgten die 32 Aberkennungen "wegen Entzugs der deutschen Staatsangehörigkeit" oder wegen "Kerkerstrafen". Bei 31 davon haben die Zeithistoriker eine Rehabilitierung empfohlen.

"Denn das waren bis auf einen, der ein Grenzfall ist, Akte des Widerstands, die heute nicht mehr geahndet würden, bzw. Handlungen, die heute nicht mehr strafrechtlich relevant sind, wie etwa Homosexualität oder Abtreibung", betonte Friedrich Stadler. So sei etwa einem Absolventen der Titel aberkannt worden, weil er wegen Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Tatsächlich habe dieser Mann nur das Scheitern eines Attentates auf Hitler mündlich bedauert, so Stadler.
Weitere Namen können auftauchen
Stadler schließt nicht aus, dass weitere Listen bzw. Namen auftauchen, "jene mit den 32 Namen war ja auch ein Zufallsfund, ausgelöst durch eine Anfrage des Salzburger Historikers Gert Kerschbaumer im Zusammenhang mit Stefan Zweig". Um festzustellen, wie viele Personen tatsächlich von den Aberkennungen betroffen waren, müssten systematisch alle Promotionsprotokolle im Universitätsarchiv durchforstet werden.

"Das wäre in einem Semester durchaus machbar und leistbar", meint Stadler und hofft auf den Auftrag für ein entsprechendes Projekt. Der Zeithistoriker ist sich sicher, dass es auch an anderen österreichischen Universitäten Aberkennungen gegeben hat, seines Wissens nach sei aber die Uni Wien die bisher einzige, die sich dem Thema öffentlich gestellt habe.
->   Universität Wien
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01.01.2010