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Herzinfarkte: Diskussion um Stammzelltherapie  
  Die Bedeutung der Therapie durch Stammzellen nach Herzinfarkten ist unter Mediziner umstritten. US-Forscher sehen in einer aktuellen Studie keine Anzeichen dafür, dass sie sich zu den gewünschten Muskelzellen entwickeln können. Macht nichts, kontern nun heimische Fachleute: Für Patienten gebe es dennoch entscheidende Vorteile.  
Laut Alfred Kocher von der Universitätsklinik für Chirurgie am AKH Wien gehe es einer Reihe von Patienten, die nach Herzinfarkten mit Stammzellen behandelt wurden, deutlich besser.

Entscheidend dafür sei die Bildung neuer Blutgefäße gewesen, so Kocher gegenüber science.ORF.at. Kocher hatte Ende 2001 die Technik erstmals am AKH Wien an einer Patientin angewandt und schon zuvor eine entsprechende Studie in "Nature Medicine" veröffentlicht.
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Die Studie ist unter dem Titel "Neovascularization of ischemic myocardium by human bone-marrow-derived angioblasts prevents cardiomyocyte apoptosis, reduces remodeling and improves cardiac function" in "Nature Medicine" (Bd. 7, S. 430, Ausgabe vom April 2001) erschienen.
->   Die Studie in "Nature Medicine"
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Kritische Studienergebnisse
Zuletzt wurde die Stammzelltherapie kritisiert. Koreanische Mediziner stellten nach einer Behandlung ungewöhnliche Gewebewucherungen bei den Patienten fest - ihre Ergebnisse publizierten sie in "The Lancet" (Bd. 363, S. 751, 12.3.04).
->   Mehr dazu (12.3.04)
Und am Montag kamen zwei in "Nature" veröffentlichte Studien zu weiteren ernüchternden Resultaten. In beiden Untersuchungen wurde mittels Tierversuchen getestet, ob Blut bildende Stammzellen aus adultem Knochenmark im Herz von Mäusen tatsächlich zu neuen Herzmuskelzellen werden.

Laut Leora Balsam von der Stanford Universität und Charles Murry von der Universität von Washington in Seattle übernahmen die aus adultem Knochenmark gewonnenen hämatopoetischen Stammzellen im infarktgeschädigten Herz lebender Mäuse nicht die erhofften Funktionen.
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Die Studien "Haematopoietic stem cells adopt mature haematopoietic fates in ischaemic myocardium" bzw. "Haematopoietic stem cells do not transdifferentiate into cardiac myocytes in myocardial infarcts" erschienen als Online-Vorabpublikation in "Nature" (doi:10.1038/nature02460 bzw. doi:10.1038/nature02446)
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Nicht alle überlebten, viele differenzierten sich nicht aus
Murry und Balsam sowie Kollegen kennzeichneten ihre Stammzellen mit Markierungsstoffen, darunter auch einem grünen fluoreszierenden Eiweiß, und verfolgten ihren Werdegang. Das Team um Murry allein nahm 145 Transplantationen in gesunde und herzkranke Mäuse vor.

Beide Gruppen berichten jetzt, dass zum einen längst nicht alle Stammzellen überlebten. Zum anderen aber differenzierten sich selbst die, welche die Transplantation überstanden, nicht zu Herzmuskelzellen, sondern reiften lediglich zu traditionellen Blutzellen heran.
Leichte Verbesserung der Herzfunktionen
Das Team um Balsam fand bei einigen Mäusen anschließend einige leicht verbesserte Herzfunktionen. Diese seien aber wohl eher auf die Entstehung neuer Blutgefäße im Herz zurückzuführen als, wie erhofft, auf neues Herzmuskelgewebe.
Entscheidend: Bildung neuer Herzgefäße
Genau dies ist laut dem Chirurgen Alfred Kocher vom AKH Wien alles andere als eine Überraschung. Der heilende Effekt der Stammzelltherapie liege eben nicht an der Bildung neuer Muskelzellen, wie dies von einem ihrem Entdecker - dem US-Mediziner Donald Orlic vom New York Medical College - überschätzt wurde, sondern in der Herausbildung neuer Blutgefäße.

Insofern seien die beiden neuen Studien zu begrüßen, da sie ohnehin nur aussprechen, was die meisten Experten bereits wussten.
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Stammzellen und Stammzelltherapie
Stammzellen sind Vorläuferzellen, die noch in die unterschiedlichsten Richtungen (Zelltypen) ausdifferenzieren können - aus denen sich (theoretisch) die unterschiedlichen Gewebe bis hin zu kompletten Organen entwickeln können. In welche Art von Zelle oder Gewebe sich die Stammzellen entwickeln hängt nicht nur von den eigenen Fähigkeiten, sondern auch von den aus ihrer Umgebung ausgehenden Signalen ab.

Unabhängig von ihrem Potenzial können sich aus Stammzellen, die in das Herz eingebracht werden, entsprechend den vom umliegenden Gewebe ausgehenden Signalen nur entweder Herzmuskel-Zellen oder neue Gefäße entwickeln. Für die Therapie wird Knochenmark aus dem Beckenkamm des Herzinfarkt-Patienten entnommen. Dann werden die Stammzellen gereinigt und per Katheter in die Infarkt-Arterie am Herzen injiziert.
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Patienten geht es gut - und besser
Für die Patienten ändere sich dadurch "nicht besonders viel". Jene Patientin, die Ende 2001 als erste am AKH Wien mit einer Stammzelltherapie behandelt worden war, gehe es nach wie vor gut - allerdings sei nur eine sehr "moderate Verbesserung" ihres Gesundheitszustandes zu notieren.

Sechs von acht am Institut für Kardiologie des AKH mit der Stammzelltherapie behandelten Patienten gehe es hingegen "signifikant besser", so Kocher.
->   Stammzelltherapie am Herz: Erste Patientin wohlauf (5.6.02)
"Jubelschreie zu früh"
Erich Wolner, Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie am AKH Wien, mahnt zur Vorsicht. Gegenüber science.ORF.at sprach er von einem "hochinteressanten Forschungsgebiet", das zu einem Durchbruch in der Therapie führen könne, noch sei man davon aber weit entfernt - und "Jubelschreie" in jedem Fall "zu früh".

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Versuch mit Stammzellen an herzkranken Patienten (17.4.02)
->   Punktgenaue Stammzell-Therapie nach Herzinfarkt (18.1.02)
 
 
 
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01.01.2010