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Hochschulforscher fordert Uni-Anstellungen wie in USA  
  Mit dem Universitätsgesetz 2002 werden an Österreichs hohen Schulen leistungsfördernde Strukturen nach internationalem Vorbild geschaffen. Allein in dienstrechtlicher Hinsicht habe man ein antiquiertes ständisches System beibehalten, kritisiert der Hochschulforscher Hans Pechar. Er schlägt im Rahmen eines Gastbeitrages vor, dass man stattdessen die in den USA übliche Anstellungsform - die so genannte "tenure" - einführt. Letztere biete den Forschern mehr Sicherheit als es in Österreich der Fall sei.  
Österreichs Universitäten brauchen einen tenure track
Von Hans Pechar

Das UG 2002 bringt für die Dienstverhältnisse des akademischen Personals einschneidende Veränderungen.

In den Grundzügen sind diese Änderungen im Gesetz festgelegt, aber die Details werden im Rahmen von Kollektivverträgen geregelt, die derzeit zwischen der Gewerkschaft und dem Dachverband der Universitäten verhandelt werden.

Während die Genese des Gesetzes von einer breiten und lebhaften Diskussion begleitet wurde, stoßen die Kollektivverträge auf wenig öffentliches Interesse. Warum eigentlich? Der Gestaltungsspielraum dieser Verträge ist enorm. Einige Mängel des UG 2002 könnten dabei korrigiert werden.
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Neuerung: Ende des Beamtenstatus
Die wichtigste Neuerung ist zweifellos das Ende des Beamtenstatus für neu eingestelltes akademisches Personal. Die Mehrheit der Hochschullehrer, v.a. der Mittelbau, lehnt diese Änderung vehement ab. Dieser Widerstand ist primär durch die Durchlöcherung des Kündigungsschutzes motiviert.
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"Kündigungsschutz light"
Das UG 2002 bietet mit Paragraph 113 einen "Kündigungsschutz light": Es untersagt die "Motivkündigung" auf Grund der in Forschung/Lehre vertretenen Auffassungen oder Methoden.

Wie weit es möglich ist, mit dieser Bestimmung die akademische Freiheit wirkungsvoll zu schützen, wird sich in arbeitsrechtlichen Verfahren zeigen.

Aber es gibt darüber hinausgehende legitime Sicherheitsbedürfnisse, die im UG 2002 nicht berücksichtigt werden. Diese Lücke könnte der Kollektivvertrag schließen. Sollte das geschehen? Was spricht für erweiterten Kündigungsschutz?
US-Unis bieten hohe Job-Sicherheit
Wer von der Leistungs- und Wettbewerbsorientierung des US-amerikanischen Hochschulsystems schwärmt und zugleich den Kündigungsschutz als eine Art sozialer Hängematte verächtlich macht, übersieht, dass die amerikanische tenure eine dem österreichischen Beamtenstatus durchaus vergleichbare Sicherheit bietet.

Sie beschränkt sich keineswegs auf das Verbot der Motivkündigung. Warum? Weil sie nicht nur die akademische Freiheit schützt, sondern auch den ökonomischen Besonderheiten der Grundlagenforschung gerecht wird.
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"Tenure track": Akademisches Anstellungsverhältnis
Das wissenschaftliche Personal an Forschungsuniversitäten durchläuft nicht nur eine sehr lange (und entsprechend teure) sondern zugleich extrem spezialisierte Ausbildung, was seine Mobilität am Arbeitsmarkt erheblich einschränkt. Ab einem gewissen Spezialisierungsgrad kann man das erworbene Humankapital adäquat nur noch an Universitäten oder vergleichbaren Forschungseinrichtungen einsetzen. Das ist eine überaus riskante Investition, aber die tenure federt dieses Risiko ab.
->   Definition von tenure track bei forum.leo.org
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Personalentwicklung soll nicht zum Bumerang werden
Das akademische Personal (und nicht das Management) steuern - via Berufungskommission - die Auswahl weiteren Personals. In keinem anderen Beruf ist der Einfluss auf die Zusammensetzung der peers (Fachkollegen) so groß.

Damit die mit der Personalauswahl betrauten Personen im künftigen Kollegen nicht primär einen den eigenen Arbeitsplatz gefährdenden Konkurrenten sehen, müssen sie das Gefühl der Sicherheit haben.

Sonst wäre es - aus ihrer individuellen Perspektive - viel rationaler, durch eine eher mittelmäßige Besetzung das eigene Risiko zu reduzieren. Die von der tenure ausgehende Sicherheit stärkt den kollegialen Zusammenhalt und beugt einem egoistischen Protektionismus vor.
Sicherheit und Bewährungsdruck statt Verbeamtung
Anders als die ehemalige Verbeamtung des akademischen Personals in Österreich verknüpft die tenure Sicherheit mit Bewährungsdruck. Sie schwächt nicht die Leistungsfähigkeit der Universität, sondern stärkt sie.

Dazu trägt der Umstand bei, dass die tenure die arbeitsrechtliche Basis für einheitliche Interessen des akademischen Personals ist, das in den USA nicht in ¿Stände¿ gespalten ist.
Akademische Laufbahnen in den USA
Akademische Nachwuchskräfte, die - nach heftiger vorgelagerter Konkurrenz - als assistant professor in den tenure track eintreten, werden, sofern sie sich bewähren, schließlich zum full professor befördert.

Sie müssen sich dazu um keine neue Stelle bewerben (was natürlich voraussetzt, dass eine solche Stelle frei ist), sondern bei erfolgreicher Tätigkeit (und dieser Erfolg ist so definiert, dass ihn die überwiegende Mehrheit erreicht) rücken sie in der Laufbahn vor.
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USA: Kein Konflikt zwischen Professoren und Mittelbau
Daher gibt es in den USA nicht den Interessensgegensatz von Professoren und Mittelbau, der bei uns das hochschulpolitische Klima vergiftet. Das hierarchische Gefälle zwischen Etablierten und Nachwuchs ist an amerikanischen Universitäten wesentlich schwächer als bei uns. Die Hauptkonfliktlinie verläuft nicht zwischen akademischen Ständen, sondern zwischen dem wissenschaftlichen Personal und dem Management der Universitäten.
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Kritikpunkt in Österreich: "unerträglichen Abhängigkeiten"
Die ständischen Hierarchien, an denen auch das UG 2002 nicht gerüttelt hat, unterbinden eine zeitgerechte Selbständigkeit des akademischen Nachwuchses.

Befragt man Österreicher, die an amerikanischen Universitäten Karriere gemacht haben, warum sie ins Ausland gegangen sind, werden fast immer die unerträglichen Abhängigkeiten an vorderster Stelle genannt.

Kein Wunder, denn bis zur Habilitation, die im Durchschnitt um die Mitte vierzig erfolgt, zählt man hier zu Lande zum Nachwuchs. In den USA tritt man um gute zehn Jahre früher in den tenure track ein und erwirbt damit eine unabhängige Position. In diese Zeit fallen häufig die produktivsten Jahre einer wissenschaftlichen Karriere.
Leistungsstruktur modern, Dienstrecht antiquiert
Während das UG 2002 die universitären Leitungsstrukturen dem amerikanischen System annähert (starkes Management, Universitätsrat), hält es dienstrechtlich am antiquierten ständischen System mit seinen unsäglichen "Kurien" fest.

Es gibt aber einen Zusammenhang zwischen der hierarchischen Stufung des wissenschaftlichen Personals und der akademischen Selbstverwaltung durch Kollegialorgane. Letztere funktioniert nur, wenn die Gruppe der in vollem Umfang entscheidungsbefugten Personen klein gehalten wird.

Die korporationsrechtliche Unterscheidung von Professoren und Mittelbau und die damit einhergehende Hierarchie ist in der Logik der Selbstverwaltung begründet.
Kollektivvertrag als Chance zur Korrektur
Diese Selbstverwaltung zu Gunsten eines starken Managements aufzugeben, ohne die Spaltung des akademischen Personals in antagonistische Stände zu beenden, kombiniert die Nachteile beider Systeme.

Der Kollektivvertrag bietet eine Chance zur Korrektur. Beide Verhandlungspartner sollten sich um eine den österreichischen Verhältnissen angepasste Variante eines tenure track bemühen.
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Hochschulpolitisches Forum
Dieser Beitrag wird im Rahmen der Veranstaltung "Hochschulpolitisches Forum" - eine Kooperation von IFF - Abteilung Hochschulforschung (Universität Klagenfurt) mit der Ö1-Wissenschaftsredaktion und dem "Standard" - veröffentlicht.

Veranstaltungsdaten:
Zeit: Donnerstag 25. März 2004, 18.00 Uhr
Ort: ORF KulturCafe, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien, Eintritt frei
->   Mehr dazu: Neue Karrieren im "Unternehmen Universität"
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->   Der Standard
Mehr dazu in science.ORF.at
->   Implementierung des UG 2002 kostete 50 Mio. Euro (4.3.04)
->   Nach VfGH-Urteil: Hochschulen müssen nichts ändern (23.1.04)
->   Das Stichwort Universitätsgesetz im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010