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Kreative Prozesse: Die Neurologie der "Aha-Erlebnisse"  
  Man kennt sie vom Brüten über schwierigen Problemen oder Rätseln: die rettenden Gedankenblitze, die plötzlich und unerwartet auftauchen und die lange gesuchte Lösung präsentieren. Selbst Erinnerungen kommen gelegentlich in Form eines solchen "Aha-Erlebnisses" zurück. Doch was passiert im Gehirn, wenn - metaphorisch gesprochen - die Glühbirne plötzlich aufleuchtet? Das haben Forscher nun mithilfe bildgebender Methoden untersucht - und dabei unter anderem den Ursprung der "Aha-Erlebnisse" im Gehirn geortet.  
Die Ergebnisse der Forscher um Mark Jung-Beeman und Edward Bowden vom Cognitive Neuroscience Programme der Northwestern University sind im "Open Access"-Journal "Public Library of Science (PloS) Biology" erschienen.
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Die Studie erscheint unter dem Titel "Neural activity when people solve verbal problems with insight" in "PloS Biology", Bd. 2, 13.4.04 (doi: 10.1371/journal.pbio.0020097). Die "Public Library of Science" folgt der Idee des "open access", alle wissenschaftlichen Publikationen werden für jedermann kostenfrei zugänglich ins Internet gestellt.
->   Die Studie in den "PloS Biology"
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Isaac Newton unter dem Apfelbaum
Für den klassischen Geistesblitz gibt es eine Reihe berühmter (wenn auch wohl erfundener) Beispiele: Isaac Newton etwa soll sinnend unter einem Apfelbaum gesessen sein, als im plötzlich eine der Früchte auf den Kopf fiel. Seinem "Aha-Erlebnis" verdanken wir die Entdeckung der Schwerkraft.
->   Informationen zu Isaac Newton in wikipedia.org
Archimedes' Heureka-Erlebnis: "Ich hab's"
Besonders amüsant auch die Anekdote, die vom bedeutenden Mathematiker Archimedes überliefert ist: Er suchte nach einer Möglichkeit, den Goldgehalt einer Krone zu bestimmen, ohne diese einschmelzen zu müssen.

Das Volumen der kunstvollen Krone ließ sich nicht so einfach berechnen. Doch als Archimedes in seine bis zum Rand gefüllte Badewanne stieg, kam ihm blitzartig die Erkenntnis, wie sich bei dem betreffenden Objekt der Goldgehalt feststellen lassen würde.

Das ausgelaufene Wasser musste dem Volumen von Archimedes (oder eben einer Goldkrone) entsprechen. Diese Erkenntnis brachte Archimedes laut Überlieferung dazu, splitternackt und mit dem Ausruf "Heureka" (Ich hab's) durch die Straßen zu laufen.
->   Informationen zu Archimedes in wikipedia.org
Der plötzliche Geistesblitz im Gehirn
Solche kreativen Momente kennen allerdings die meisten Menschen, wenn auch nicht unbedingt weitreichende Erkenntnisse wie in obigen Beispielen daraus folgen. Im Gegensatz zum methodischen Ansatz der Problemlösung macht es plötzlich Klick - und die Lösung eines Problems steht uns vor den Augen.

Die US-Neurowissenschaftler wollten es nun ganz genau wissen und untersuchten bei einer Reihe von Probanden, was bei einem solchen Geistesblitz im Gehirn vor sich geht. Ihre Theorie: Das neurologische Bild sollte ein anderes sein als bei der normalen Problemlösung.
Kognitive Tests für das "Aha-Erlebnis"
Die Forscher verwendeten zwei unterschiedliche Methoden der Bildgebung, um das Gehirn ihrer Probanden während einer Reihe von kognitiven Tests zu beobachten. Diese waren so gestaltet, dass sie etwa zu 50 Prozent durch einen der erwünschten plötzlichen Geistesblitze gelöst werden sollten.
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"Wortprobleme" als Aufgabe
Die Studienteilnehmer mussten eine Reihe von "Wortproblemen" lösen. So erhielten sie etwa drei Begriffe (fence, card und master), zu denen sie ein Wort finden sollten, das gemeinsam mit den drei anderen ein Kompositum formen würde (die Lösung der genannten Beispiele: post für fence post/Zaunpfahl, postcard/Postkarte sowie postmaster/Postmeister). Die Teilnehmer mussten zudem angeben, ob ihnen die Lösung tatsächlich im Rahmen einer plötzlichen Erkenntnis eingefallen war.
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Wo die Glühbirne im Gehirn aufleuchtet
Demnach zeigte sich den Untersuchungen mittels Kernspintomografie (fMRI) bei den "Aha-Erlebnissen" ein deutlicher Anstieg neuronaler Aktivität in der rechten Gehirnhemisphäre - genauer gesagt: im oberen Bereich des so genannten Gyrus temporalis superior, einer Windung an der Außenfläche des Schläfenlappens.

Während der klassischen Form der Problemlösung zeigte sich dort hingegen kaum Aktivität der Nervenzellen.
Links im Gehirn tut sich nichts
Während der plötzlichen Erkenntnis konnte zudem keinerlei Effekt im Schläfenlappen der linken Hirnhälfte festgestellt werden, wie die Forscher berichten.
Das gedankliche Augen Schließen zur Konzentration
Ein weiteres Ergebnis der Studie, gewonnen mithilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG): Etwa 1,5 Sekunden vor dem jeweiligen Geistesblitz zeigte sich ein Aktivitätsschub niedriger Frequenz oberhalb des rechten posterioren Cortex.

Der Effekt verschwand genau dann, wenn die Neuronen im rechten Schläfenlappen aktiv wurden. Die Wissenschaftler deuten dies als eine Art "Ausblenden" oder Dämpfung visueller Reize - und meinen dies könnte dazu dienen, die zuvor eher schwache Gehirnaktivität zur Problemlösung zu stärken.

Vergleichbar sei dies mit dem Schließen der Augen, wenn man sich auf ein besonders schwieriges Problem konzentriere.
Neue Verbindungen bekannten Wissens
Die Ergebnisse passen laut den Forschern zu früheren Studienergebnissen, die darauf hindeuten, dass der rechte Schläfenlappen wichtig sei, um entfernt verwandte Informationen für das Verstehen komplexer Sprache zusammen zu ziehen.

"Archimedes' Beobachten, dass die Wasserverdrängung für die Berechnung der Dichte genutzt werden konnte, resultierte aus dieser Verbindung von bekannten Konzepten auf neue Weise", erläutert Studienautor Mark Jung-Beeman.

"Das ist die Natur vieler Einsichten, das Erkennen neuer Verbindungen quer durch existierendes Wissen."
Die Antwort kommt scheinbar aus dem Nirgendwo
Bevor man ein Problem wirklich löse, gerate man oft in eine Sackgasse und komme nicht mehr weiter, erläutert Mitautor Edward Bowden die Situation. Man müsse das Problem neu interpretieren und Informationen auf neue Art und Weise integrieren.

"Manchmal tut der Verstand dies unbewusst", so Bowden weiter. "Und dann erscheint plötzlich die Lösung im Bewusstsein. Dem Problemlöser kommt es so vor, als ob die Antwort aus der Luft erschienen wäre - doch sie ist offensichtlich korrekt."
->   Cognitive Neuroscience Programme der Northwestern University
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01.01.2010