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Joghurtbecher für die Biotonne  
  Vielleicht sieht so die Zukunft aus: Gemüse- und Obstverpackungen, Joghurtbecher und vielleicht gar Windeln werden über die Biotonne entsorgt und kompostiert. Der weltweit erste Modellversuch soll nun zehn Monate lang im hessischen Kassel stattfinden.  
Bild: natura
Kompostierbarer Kartoffelbeutel
"Entscheiden Sie mit über ein Stück Zukunft!" fordern Handzettel, die die Bewohner Kassels in diesen Tagen in ihren Briefkästen finden. Bei der vollmundigen Ankündigung geht es um Müll: Ende April beginnt in der nordhessischen Großstadt der weltweit erste
Modellversuch mit kompostierbaren Verpackungen.

Zehn Monate lang sollen die Kasseler ausprobieren, ob Einkaufssackerln oder Joghurtbecher aus biologisch abbaubaren Werkstoffen (BAW) eine Alternative zur herkömmlichen Plastikverpackung sein können. Kritiker zweifeln jedoch am ökologischen Sinn des Projekts.

 
Kompostierbare Apfelverpackung
Bild: natura

BAW sind entweder Naturstoffe (wie Baumwolle, Jute, Flachs u.ä.) oder aber synthetische Werkstoffe die im Herstellungs-, Anwendungs- und Verarbeitungsbereich Kunststoffeigenschaften aufweisen, jedoch mikrobiell abgebaut werden können.

Diese Werkstoffe werden hauptsächlich aus nachwachsenden Rohstoffen (wie Stärke, Cellulose und Zucker) hergestellt. Als Einsatzbereiche für BAWs sind Verpackungsfolien und -körper aller Art, Mulchfolien in der Landwirtschaft, Einweggeschirr und -besteck u.ä. zu nennen.
Kritische Stimmen aus Niedersachsen
Für Kritiker ist die Kompostierung der springende Punkt. In Niedersachsen kam bereits 1999 eine von der Landesregierung eingesetzte Expertenkommission zu dem Schluss, dass eine Entsorgung von BAW-Verpackungen über die Biotonne ökologisch falsch sei.

"Zur Kompostierung muss Energie zugeführt werden, bei der schadstofffreien Verbrennung in einer Müllverbrennungsanlage könnte aber sogar Energie gewonnen werden", begründet Heinz-Ulrich Bertram vom niedersächsischen Umweltministerium die Entscheidung.

Außerdem enthalte Kompost aus BAW keinerlei Nährstoffe. "Genauso gut könnte ich Sand in den Kompost streuen", meint Bertram.
Zu viele Logos verwirren

Das Kasseler 6-Eck-Logo
"Es macht keinen Sinn, die Verbraucher mit immer neuen Logos für die Mülltrennung zu überfordern", so Bertram. Der Industrie gehe es lediglich darum, bei einer Entsorgung über die Biotonne die Gebühren für den grünen Punkt zu sparen.

Susanne Hempen, Referentin für Abfallwirtschaft beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), stimmt seiner Kritik zu: "Nötiger wäre eine grundsätzliche Entscheidung der Politik zu Gunsten von Abfallvermeidung und Mehrwegverpackungen."
Nicht teurer für Verbraucher
Für den Verbraucher sollen die Produkte nicht teurer werden. 37 Millionen Mark (260 Mio. ATS) an Fördermitteln habe die Bundesregierung in die Entwicklung von kompostierbaren Verpackungen aus Kartoffel- oder Maisstärke gesteckt, erklärt Bernd Söntgerath, zuständiger Sachbearbeiter im Ministerium. "Jetzt wollen wir endlich auch praktische Ergebnisse sehen."
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Kosten des Modellversuchs
Den Modellversuch, an dem rund zwanzig Unternehmen der Chemie- und Verpackungsindustrie sowie vier große Handelsketten mitwirken, unterstützt das Bundesministerium für Verbraucherschutz mit 2,2 Millionen Mark (15,5 Mio. ATS). Die gleiche Summe bringt die Industrie auf.
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Hoffen auf Gelingen

Kompostierbare Tragetasche
Das Verbraucherschutzministerium hofft auf ein Gelingen des Modellversuchs. "Wenn der Test erfolgreich läuft, könnten die neuen Verpackungen schon bald flächendeckend in deutschen Supermärkten angeboten werden", sagt Sachbearbeiter Söntgerath.

Außerdem seien weitere Anwendungen denkbar: etwa für Windeln, im Gartenbau oder in der Landwirtschaft. Dass der kompostierbare Joghurtbecher eines Tages sein Pendant aus Plastik gänzlich aus den Kühltheken verdrängt, mag aber auch er nicht glauben.
Erfolg hängt von den Kasselern ab
Entscheidend für den Erfolg des Versuchs seien die Bürger, sagt Projektleiter Martin Lichtl. "Die Kasseler müssen sich nicht nur beim Einkaufen für BAW-Verpackungen entscheiden, sondern sie müssen sie auch richtig entsorgen, nämlich über die Biotonne."

Ob sie dies tun und welche Auswirkungen mögliche "Fehlwürfe" auf die Qualität des Komposts haben, soll eine Forschungsgruppe der Weimarer Bauhaus-Universität wissenschaftlich untersuchen.

Mit einem Informations- und Volksfest auf dem zentralen Friedrichsplatz sollen die Bürger am kommenden Freitag auf ihre Aufgabe eingestimmt werden.

(Joachim F. Tornau/dpa/red)
->   Kasseler BAW-Modellprojekt im Internet
 
 
 
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01.01.2010