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Jean Paul Sartre: Der Philosoph als Provokateur  
  Jean Paul Sartre gilt als Philosoph der Provokation. Er verstand das menschliche Leben als permanente Revolte gegen jegliche Autorität und verteidigte das Recht des Menschen, das eigene Leben ohne ideologische Anleitung zu führen. Diese Freiheit nahm Sartre auch für sich selbst in Anspruch. Er begnügte sich nicht mit der Rolle eines akademischen Philosophen, sondern verfasste Essays, Romane und Bühnenstücke und agierte als politischer Aktivist für maoistische Splittergruppen. Eine neue Publikation geht den verschiedenen Aspekten des schillernden Denkers nach.  
Schrilles Leben
Bild: dpa
Sartres Leben glich der schrillen Inszenierung eines turbulenten Theaterstücks. Als "heimlicher König" im Reich des Existenzialismus beeinflusste er das Lebensgefühl einer ganzen Generation.

Sein Engagement für eine bessere Gesellschaft bewirkte eine Sympathie für militante Befreiungsbewegungen. Zu seinen Vorbildern zählten Fidel Castro und Che Guevara.
Einführung zu Sartres Denken

Peter Kampits, der am Institut für Philosophie in Wien lehrt, hat nun eine verständliche Einführung in das Denken dieses schillernden Philosophen vorgelegt.

Im Zentrum seiner Analyse steht die Philosophie Sartres; er bezieht sich aber auch auf sein literarisches Werk und seine politischen Äußerungen.
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Peter Kampits: Jean-Paul Sartre. C.H. Beck Verlag
->   Das Buch beim Beck Verlag
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Biografische Stationen
Kampits beschreibt vorerst die Biografie Sartres: Seine Kindheit, die der verzärtelte "Poulou" - so sein Rufname - bei den Großeltern verbrachte; seinen Hass auf das Bürgertum; seine Begegnung mit Simone de Beauvoir, seine Rolle als Vordenker des Existenzialismus; seine Verteidigung des Stalinismus und sein politisches Engagement während der Studentenrevolte im Mai 68.
Riss im Sein
Bild: AFP
Sartre im Mai 1968 an der Sorbonne in Paris
Der grundlegende Gedanke von Sartres Philosophie entfaltet sich - so Kampits - schon während seiner Kindheitsjahre. Er erlebte seine Jugend bei den Großeltern als Gastspiel. Die eigene Existenz war für ihn mit Schuld beladen, die es in Form eines wohlgeordneten Betragen abzutragen galt.

Das eigene Denken und Fühlen wurde hinter der Maske des artigen Kindes versteckt. So kam es zu "einem Riss im Sein", zu einer Divergenz zwischen dem eigentlichen Sein und der Inszenierung für Andere. Die Anderen werden dabei als permanente Bedrohung erlebt, weil sie ja das Selbstsein nicht zulassen. "Die Hölle, das sind die Anderen" heißt es in Sartres Drama "Bei geschlossenen Türen".
->   Mehr zur Biografie Sartres (Nobelpreis 1964)
Das Sein und das Nichts
Dieser Grundgedanke taucht auch in Sartres philosophischem Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" auf, das 1943 erschien. In diesem Werk, das Kampits als "Apologie des Scheiterns" interpretiert, geht Sartre von zwei Seinsweisen aus, die nicht miteinander vermittelt werden können.

In Anlehnung an Hegel spricht er vom "An-sich-sein" und vom "Für-sich-sein". Die Sphäre des "An-sich-seins" verkörpert die Dingwelt; alles nicht menschliche Sein wie Felsen, Bäche oder Steine. Dem gegenüber steht das "Für-sich-sein", die Fähigkeit des Menschen, bewusst über seine eigene Existenz zu verfügen.
Angst
Es ist vor allem die Stimmung der Angst, in der der Mensch das Bewusstsein seiner Freiheit gewinnt. Ähnlich wie bei Sören Kierkegaard und Martin Heidegger ist die Angst eine existenzielle Erfahrung, die das Sein des Menschen in Frage stellt.

In seinem Roman "Der Ekel" beschreibt Sartre dieses Phänomen: "Allein und in der Angst tauche ich gegenüber dem einzigen und ersten Entwurf auf, der mein Sein konstituiert, alle Barrieren, alle Geländer zerbrechen, genichtet durch das Bewusstsein von meiner Freiheit."
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Wichtige Werke von Jean-Paul Sartre
Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays
Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie
Kritik der dialektischen Vernunft
Der Ekel
Die Wörter
Bei geschlossenen Türen
Saint Genet. Komödiant und Märtyrer
Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert, Band 1-5
->   Sartre im Rowohlt Verlag
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Wahl der Existenzform
Der Mensch als "Für-sich-sein" ist aufgerufen, seine Existenzform zu wählen. In der Stimmung der Angst drückt sich die Problematik der Wahl aus. Das Individuum weiß niemals, ob die im Moment getroffene Entscheidung die "richtige" Wahl war.

Der Hauptfeind der authentischen Existenz ist die "mauvaise foi", die Unaufrichtigkeit. Sie erschöpft sich meist in der Reproduktion gesellschaftlicher Normen. Man ist nur dann ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft, wenn man die erwartete Rolle gut spielt. Dagegen setzt Sartre die selbstbestimmte Existenz des Menschen, die sich jedoch bewusst ist, immer nur Entwurf zu sein.
Sartre gegen Sartre
Diese erste "existenzialistische" Phase Sartres steht im Mittelpunkt von Kampits Einführung. Er thematisiert aber auch den Bruch in Sartres Denken, der nach dem 2. Weltkrieg einsetzte. In seinem zweiten Hauptwerk "Kritik der dialektischen Vernunft" verurteile er seine "existenzialistische" Haltung als "kleinbürgerlich" und wandte sich dem dogmatischen Marxismus stalinistischer Prägung zu.
Fazit von Peter Kampits
"Sartre verdient es auch heute noch, als Philosoph ernstgenommen zu werden, als jemand, der unablässig für die Freiheit eintritt, eine Freiheit, die nie ohne Verantwortung sein kann und die ebenso oft hochgehalten wie missachtet wird."

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen
science.ORF.at
->   Mehr zu Sartre (Wikipedia)
->   Sartre Gesellschaft
->   Sartre Online
->   "The Jean-Paul Sartre Cookbook"
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Mehr dazu in den Ö1-Dimensionen am 30. April 2004, 19.05 Uhr, Radio Österreich 1.
->   Ö1
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01.01.2010