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Wie Menschen mit auffälligen Namen umgehen  
  Es gibt Menschen, die heißen "Bierfreund", "'Twtzsch'" oder "Frauenschläger". Wie sie mit ihren "auffälligen Familiennamen" umgehen, die oft genug Anlass für Scherze oder Häme ihrer Umwelt sind, hat nun eine deutsche Linguistin untersucht.  
Am Anfang wollte Daniela Ohrmann ''kuriose Familiennamen'' thematisieren. Dann jedoch stieß sie auf die Verbindung zwischen der Form, dem Gebrauch und der Wirkung von Namen. Es entstand die Magisterarbeit über auffällige Familiennamen in Leipzig.
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Die Magisterarbeit ist unter dem Titel ''Auffällige Familiennamen unter besonderer Berücksichtigung namenpragmatischer Aspekte'' in Leipzig 2003 erschienen.
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Blinder Fleck der Linguistik
Die Linguistin vom Institut für Slavistik weist in einer Aussendung der Uni Leipzig auf einen blinden Fleck ihres Faches, der Onomastik, hin: ''Auffällige Familiennamen - vor allem ihr Gebrauch und ihre Wirkung - haben in der namenkundlichen Literatur bisher wenig Beachtung gefunden.''

Einen Schritt ist Daniela Ohrmann mit ihrer Magisterarbeit in das weithin unbekannte Terrain der Namenphysiognomie vorgedrungen.
Auffälligkeit erklärt sich aus Netz der Bedeutungen
Aus der onomastischen Analyse ergibt sich: Auffällige Namen sind mit allgemein verbreiteten Assoziationen und Konnotationen verknüpft. So lassen ungewöhnliche Familiennamen zwar zumeist und zuerst durch ihre sprachliche Form aufmerken, ihre Auffälligkeit aber erklärt sich letztlich aus dem Netz von Bedeutungen, in das sie eingebunden sind.

Dazu gehören für Daniela Ohrmann schließlich auch jene Familiennamen, die allein für den Namenträger (und ggf. das persönliche Umfeld) negativ besetzt sind.
Von unaussprechlich bis derb
Die Auffälligkeit eines Namens kann unterschiedlichste Gründe haben: Familiennamen wie ''Twtzsch'' und ''Schmderer'' sind schier unaussprechlich, ''Kleine Hillmann'' und ''Joachimmeyer'' ziemlich irritierend, ''Gutenmorgen'' oder ''Durst'' lassen stutzen und ''Bierfreund'' oder ''Sorgenfrei'' schmunzeln, ''Kotz'' oder ''Penner'' werden als derb empfunden, ''Frauenschläger'' und ''Stechemesser'' müssen gar mit Ablehnung rechnen.
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"Frauenschläger" schlägt keine Frauen
Wie widersinnig letzteres sein kann, illustriert die 26-jährige Namenkundlerin an zwei Exempeln. ''Frauenschläger'' ist ihr ''Paradebeispiel für eine völlig falsche Interpretation''. Der Name, der sich in Deutschland etwa 30 Mal findet, meint weder einen arglistigen noch einen bösen Kerl; es ist die mittelalterliche Bezeichnung für einen Holzfäller, der in einem Waldstück arbeitet, das wiederum im Besitz eines Nonnenklosters ist - der Mann schlägt also für Frauen Holz.

Ebenso muss man für ''Kleine Hillmann'' in die Historie zurückgehen. ''Eine alte Form aus dem Westfälischen'', erläutert Daniela Ohrmann - und bedauert das Verschwinden solcher Formen. ''Als Namenforscherin ist das Ändern eines solchen Namens für mich ein Verlust.''
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Methode: Untersuchung von Namensänderung
Die Auffälligkeit der auffälligen Namen beruht zunächst auf einem ''gewissen Aufmerken'' beim Gegenüber, so Ohrmann. In welcher Art und Weise sich dieses äußert, hat Daniela Ohrmann anhand von Anträgen auf Namensänderung untersucht, die Menschen mit einem mehr oder minder eigenwilligen Familiennamen beantragen können.

In Leipzig haben sich zwischen 1994 und 2002 insgesamt 480 Menschen zu diesem Schritt entschlossen, das Rechtsamt der Stadt stimmte 457 Mal einem neuen Familiennamen zu.
Kategorisierung der Motive
Auch wenn zu jedem Antrag eine individuelle Stellungnahme vorliegt, so lässt sich die Auffälligkeit - als Beweggrund für den Antrag - kategorisieren. Der Fundus bewilligter Anträge zeigt mehrheitlich hauptsächlich familiäre Gründe für die Namensänderung.
Am wichtigsten: Zeichen der Zusammengehörigkeit
326 Mal geht es - zumeist auf Grund einer Scheidung - um die Namensgleichheit innerhalb einer Familie, die aus Sicht der Antragsteller schlichtweg ''von großer Bedeutung ist''. Für ihre Kinder möchten die Väter und Mütter ''ein Sicherheitsgefühl'' dokumentieren sowie ''ein greifbares und unmissverständliches Zeichen der Zusammengehörigkeit'' setzen, oder sie wollen ''psychischen Konflikten des Kindes rechtzeitig entgegenwirken'' bzw. ''den seelischen Stress beenden''.

Im Vergleich spielen psychische Belange eine quantitativ nachgeordnete Rolle - in rund zehn Fällen wurden die Anträge hauptsächlich mit der Belastung durch Spott und Häme begründet, die ein anstößiger, zweideutiger oder lächerlicher Name mit sich bringt.
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Prägende Erfahrungen
Eine Antragstellerin schildert die Erfahrung, ''dass - egal welche persönliche Leistung man bringt, egal, welche Ausstrahlung, welchen Charakter man besitzt - es sekundär ist, sobald der Familienname bekannt ist''. Über Demütigungen berichtet ein anderer: ''... die Leute lachen über meinen Namen, lachen mich aus, provozieren mich usw.''
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Weitere Motive: Distanzierung von Gewalt ...
Aber auch das Streben, sich von einem sexuellen Missbrauch sowie extremer physischer Gewalt in der Kindheit zu distanzieren oder eine eigene Identität frei von innerfamiliären Konflikten aufzubauen, kennzeichnet diese Kategorie.
... und bessere Eingliederungschancen
Innerhalb der Gruppe ''Integration von Spätaussiedlern oder (eingebürgerten) Ausländern'' stechen die Russlanddeutschen mit 75 von 80 bewilligten Änderungen heraus. ''Man stößt auf Ablehnung oder Misstrauen, sobald man seinen (russischen) Namen nennt'', beschreibt ein Antragsteller.

Ein zweiter hofft auf ''eine unauffällige Eingliederung in die Gesellschaft und damit in unsere neue Heimat''. Ein dritter wiederum stellt fest: ''Kollegen stolpern jedes Mal über meinen Namen, jeder spricht ihn auf seine Weise aus.'' Schließlich können auch wirtschaftliche Erwägungen eine Namenänderung begründen.

Mit Blick auf die Wahrung der Kontinuität von Inhaber- und Firmennamen wurden diese Begründung in den von Daniela Ohrmann untersuchten Fällen aber lediglich zwei Mal als Nebenargument genannt.
->   Institut für Slavistik, Uni Leipzig
 
 
 
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01.01.2010