News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Bakterieller "Gen-Klau": Erbfaktor für die Anpassung  
  Bakterien gehören zwar zu den absoluten Winzlingen der Natur, dafür allerdings sind die mikroskopisch kleinen Einzeller in ungeheurer Vielzahl und fast überall auf der Erde anzutreffen. Ihre Überlebensstrategien sind dementsprechend ausgefeilt, eine ganz neue Variante hat nun ein europäisches Forscherteam entdeckt: Einige Arten haben offensichtlich ein Abwehr-Gen von ihren Wirtsorganismen, zu denen auch der Mensch gehört, "gestohlen" - und verwenden dieses nun elegant zur Anpassung an die fremden Körper.  
Die Forscher um Toby Gibson vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) entdeckten das Gen eher zufällig im Erbgut der Mikroben, wie sie berichten. Ihre Ergebnisse sind im Open-Access-Journal "Genome Biology" erschienen.
...
Der Artikel erscheint am 26. Mai 2004 online unter dem Titel "Bacterial alpha-2-macroglobulins: colonization factors acquired by horizontal gene transfer from the metazoan genome?" und wird in "Genome Biology", Bd.5 publiziert.
->   Der Artikel im Volltext in genomebiology.com
...
Proteine dienen der Parasiten-Abwehr
Der betreffende Erbgutfaktor ist für die Produktion eines Proteins namens alpha-2-macroglobulin, kurz a2m verantwortlich.

Der Eiweißstoff und seine Verwandten wurden bereits in einer Vielzahl von Tieren untersucht - und immer zeigten die Proteine eine ähnliche Funktion: Sie dienen dem betreffenden Organismus zur Abwehr von Parasiten.
Beispiel TEP bei Mosquitos
Eines dieser Proteine untersuchten die EMBL-Forscherinnen Stephanie Blandin und Elena Levashina im Zuge von Malaria-Forschungen. Denn TEP findet sich in Mosquitos, deren "Lebenswandel" als Blutsauger für einen ständigen Zustrom an unerwünschten Eindringlingen sorgt.

Doch dank TEP wird diesen Invasoren das Leben nicht allzu einfach gemacht: "Diese a2m-artigen Gene stellen eine starke Verteidigungslinie dar", erläutert Blandin ihre Funktion in einer Aussendung. "Sie fangen jene Moleküle ein, welche die Parasiten verwenden, um unsere Zellen anzugreifen."
Unerwartete Entdeckung: Bakterielles a2m-Gen
Um mehr über die Evolution von TEP zu erfahren, wandten sich die beiden Wissenschaftlerinnen schließlich an Toby Gibson - und gemeinsam entdeckte man völlig Unerwartetes: Gesucht wurde nach Genen, die den TEPs gleichen sollten - und entdeckt wurde zur Überraschung aller Beteiligten ein bakterielles a2m-Gen.
Gegen Attacken des Immunsystems
Die EMBL-Forscher gehen davon aus, dass die Bakterien den Erbfaktor verwenden, um sich gegen Attacken des jeweiligen wirtseigenen Immunsystems auf ihre Zellwände zu schützen.

Aktiv wird die bakterielle Abwehr demnach nur dann, wenn der Eindringling - die Mikrobe - durch einen Gegenangriff seines Wirts bedroht wird. Mit anderen Worten: Das Protein dient der Kolonialisierung von Wirtsorganismen wie etwa dem Menschen.
"Gen-Klau" verhalf zu neuer Anpassungsstrategie
Wie aber sind die Mikroben an ihre a2m-Version gelangt? Ein "typisches Verteilungsmuster" konnten die Wissenschaftler laut Aussendung nicht feststellen - denn das Gen fand sich lediglich in Bakterien und Tieren, nicht aber in Pflanzen oder Hefen.

Wie Aidan Budd vom EMBL-Team erläutert, sei dies ein Hinweis darauf, dass die Bakterien es von vielzelligen Organismen gleichsam "gestohlen" hätten. In wissenschaftlicheren Begriffen: Möglicherweise bedienten sich die Mikroben des so genannten horizontalen Gentransfers - dem Austausch genetischer Information zwischen verschiedenen Arten.

"Damit scheint ein Teil des Immunsystems - eine Waffe, die normalerweise gegen sie gerichtet wird - nun den Bakterien dabei zu helfen, in unsere Körper einzudringen", so Budd.
...
Mikrobieller Tauschbasar: Gen wird weitergegeben
Zudem, so heißt es weiter, gehören die mit dem a2m-Gen ausgestatteten Bakterien zu einer Vielzahl von Gruppen, die gar nicht besonders nah miteinander verwandt sind. Nach Angaben von Gibson haben die Wissenschaftler bereits mehr als zehn Fälle identifiziert, in denen der Erbfaktor offensichtlich von einem Bakterium zum nächsten weitergegeben wurde - aller Wahrscheinlichkeit nach erneut via horizontalem Gentransfer. "Dieses Gen", so Gibson recht humorig, "wird wie Sammelkarten auf einem Schulhof herum gereicht."
->   Mehr zum Gentransfer in www.biosicherheit.de
...
Handfeste medizinische Implikationen
Interessant sind die Ergebnisse des Forscherteams aber weniger ob des perfiden bakteriellen "Gen-Klaus". Vielmehr habe die Entdeckung auch klare medizinische Implikationen, betont Forschungsleiter Gibson.

"Die Studie ermöglicht uns einen Einblick in die Art und Weise, wie infektiöse Bakterien funktionieren - Mikroben, die Krankheiten wie Pneumonie, Keuchhusten oder die Pest verursachen, verwenden unsere eigenen Gene gegen uns", erklärt der Experte.
Spezifische Antikörper als Zukunftsvision
Doch mit den neu gewonnenen Informationen könnte man, so hoffen die Forscher, vielleicht Antikörper entwickeln, um dem menschlichen Immunsystem die Möglichkeit zu geben, die Bakterien zu identifizieren und - vor allem - die Aktivität der "gestohlenen" Waffen zu blockieren.

Gerade die Art und Weise der a2m-Funktion macht das Gen demnach besonders attraktiv als potenzielles Impfstoff-Ziel. So könnten a2m-Antikörper den Schutz der Bakterien gegenüber ihrem Wirt eliminieren - und letztlich dazu führen, dass jenes der Immunabwehr seines Wirtsorganismus unterliegt.
->   European Molecular Biology Laboratory (EMBL)
->   EMBL-Forschungen und Forschungsteam um Toby Gibson
Mehr aus der Welt der Bakterien in science.ORF.at:
->   Glaubenskrieg um die Existenz von Nanobakterien (19.5.04)
->   Männermordendes Bakterium: Erbgut entziffert (17.3.04)
->   Immunzellen fangen und töten Bakterien mit "Netzen" (4.3.04)
->   Killer-Bakterium als lebendes Antibiotikum (30.1.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010