News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Auf den Spuren des österreichischen Humboldt  
  Er wird gerne als der "österreichische Alexander von Humboldt" bezeichnet: Im Gegensatz zu seinem weltberühmten deutschen Kollegen hat Thaddäus Haenke (1761-1816) bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ein Grazer Historiker hat sich nun an die Aufarbeitung der wissenschaftsgeschichtlichen Aspekte rund um den ersten "alternativen" Forscher gemacht. Das Ziel: Die Erstellung einer kommentierten Briefedition.  
Trotz Missgeschick auf Chile-Expedition

Romantische Darstellung von Haenke nach V.R. Grüner (1829)
Um ganze zwei Stunden soll Thaddäus Haenke (1761-1816) den spanischen Hafen Cadiz zu spät erreicht haben, um sich im Jahr 1789 der wissenschaftlichen Weltumsegler-Mission des Fregattenkapitäns Alejandro Malaspinas anschließen zu können.

Aber der junge ambitionierte Botaniker und Arzt aus Böhmen hat sich durch dieses "Missgeschick" nicht von seinem großen Traum, einer Forschungsreise nach Amerika, abhalten lassen: Der junge Mann hat sich auf eigene Faust auf den Weg in die Neue Welt gemacht, um schließlich ein Jahr später auf abenteuerliche Weise in Santiago de Chile doch zur Malaspina-Forschungsgruppe, die den Pazifik und seine angrenzen Küstenregionen erkunden sollte, zu stoßen.
Erster "alternativer" Forschungsreisende
Heute gilt der verwegene Expeditionsreisende in der Fachwelt nicht nur als einer der großen landeskundlichen Vorläufer Alexander von Humboldts (1769-1859) in Südamerika, sondern auch als der erste "alternative" Forschungsreisende, der auf seinen Expeditionen - entgegen der gängigen Methoden seiner Kollegen - keinen wissenschaftlichen Raubbau betrieben hat und als der Urvater der modernen interdisziplinären Feldforschung angesehen wird.
In Südamerika weithin bekannt, hierzulande nicht
Während Thaddäus Haenke in Chile, Peru und Bolivien auf Grund seiner regen Forschungstätigkeit und seinem wesentlichen Anteil an der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der südamerikanischen Länder weithin bekannt ist, hat der altösterreichische Forscher hierzulande - im Gegensatz zu seinem weltberühmten deutschen Kollegen - bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Werk in Vergessenheit geraten

Eine der wenigen von Haenke erhaltenen Skizzen: Wandmotiv auf dem Ruinenfeld von Tihuanaco(aus: "Trabajos Científicos y Correspondencia de Tadeo Haenke" von M.V. Ibanez Montoya, Madrid 1992).
Einer der Hauptgründe: Während Humboldt zeit seines Lebens mit hunderten Publikationen aufwarten konnte, sind die zahlreichen, beachtenswerten Werke von Haenke auf Grund politischer Wirren ebenso wie seines plötzlichen Todes in Vergessenheit geraten.

Der Historiker Johann Lubienski hat es sich nun zum Ziel gesetzt, die Reputation des verkannten Genies aufzuwerten und die Wissenschaftsgeschichte rund um Haenke aufzuarbeiten.

Unter der Leitung von Gerhard Drekonja vom Wiener Institut für Geschichte erstellt der Wissenschaftler derzeit die erste kommentierte Edition aller verstreuten Briefe und Berichte des Forschungsreisenden.
Nun Konzentration auf wissenschaftliche Beiträge
"Bislang wurde meist nur Haenkes Biografie behandelt und als Bewertung seiner Entdeckungen und Beobachtungen herangezogen", erklärt Lubienski. "Ich konzentriere mich stattdessen auf seine Reisen und die daraus resultierenden Erkenntnisse für die Wissenschaft."

Damit möchte der Historiker die Entwicklung zum modernen Reisen, zur wissenschaftlichen Feldforschung ebenso wie das Naturbild Haenkes im Kontext der Wandlungen im 18. und 19. Jahrhundert nachzeichnen.
Verknüpfung von Disziplinen
Bei seinem langjährigen Forschungsaufenthalt in Südamerika - letztendlich wurde der Kontinent seine neue Heimat - bemühte sich der als rastloser Sammler, Zeichner und Beschreiber bekannte Haenke um eine umfassende Landesforschung und verknüpfte dazu Disziplinen wie Geografie und Kartografie mit Ethnografie, Botanik oder Pharmazie.
Eine Art frühe Entwicklungshilfe
"Aus den gewonnen Daten und Fakten leitete er dann entwicklungsfördernde Lösungen für die Regionen ab", beschreibt Lubienski den hoch begabten Wissenschaftler. "So sorgte er in den so genannten LaPlata-Staaten, also in den Ländern Chile, Peru und Bolivien, beispielsweise für die erste Pockenimpfung, forcierte die Kupfer- und Glasproduktion oder versorgte die ersten Apotheken und alle Spitäler mit selbst hergestellten Arzneien und Heilkräutern."
Mysteriöser Tod, Karten verschwanden
Sein daraus resultierender berühmter Bericht zur Geografie und Wirtschaft der Region, die "Historia Natural de la Provinica de Cochabamba", galt lange Zeit als sein einziges "offizielles" Werk. "Den Rest seiner regen Publikationstätigkeit wollte Haenke eigentlich nach seiner Rückkehr in Wien herausgeben", so Lubienski.

"Dazu war es auf Grund seines frühen, mysteriösen Todes im Jahr 1816 aber nicht mehr gekommen. Danach verschwanden die meisten seiner Karten, Berichte und Memoranden, die er an seinen Geldgeber nach Spanien geschickt hatte, unbearbeitet in den spanischen Archiven. Dort sind diese erst in den 1960er und 1990er Jahren aufgestöbert worden."
Noch liegt viel Unentdecktes in Archiven
Die bisherigen Forschungsergebnisse von Johann Lubienski können sich sehen lassen: Unter anderem wurde das Material in der mehrteiligen ORF-Dokumentation "Söhne der Wüste" in einem Beitrag über Thaddäus Haenke in der Wüste Atacama verwertet. "Die Forschungsarbeiten sind aber bei weitem noch nicht abgeschlossen", resümiert der Wissenschaftler.

"Ganz im Gegenteil liegt noch viel Unentdecktes und Unerforschtes über Haenke in den Archiven und Bibliotheken Chiles, Boliviens und Perus, das es noch aufzuarbeiten gilt." Im Herbst 2004 will Lubienski seine Forschungsarbeit fortsetzen.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
...
TV-Tipp
Söhne der Wüste - Durch die Atacama. Ein Film von Stephan Koester. ORF 2, Donnerstag, 29. Juli 2004 , 20.15 Uhr
...
->   Thaddäus Haenke
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010