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Kleingaragen, Kleinhandel und Kleinbürgerlichkeit  
  Das Verschwinden des Kleinhandels, dichte Bebauung und immer mehr private Parkplätze verändern das Stadtbild in Wien - besonders betroffen ist die "Erdgeschoßzone". Die Stadtsoziologin Angelika Psenner setzt sich mit dieser Entwicklung am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften auseinander. In einem Gastbeitrag führt sie aus, was Kleingaragen, Kleinhandel und Kleinbürgerlichkeit miteinander zu tun haben.  
Wiens Erdgeschoßzone und öffentlicher Raum

Von Angelika Psenner

Der Forschungsbeitrag widmet sich dem wechselseitigen Verhältnis von öffentlichem Straßenraum und - zumindest aus rechtlicher Sicht - privatem Raum der Erdgeschoßzone.

Untersuchungsgegenstand sind dabei die Wohnbezirke der Kernstadt Wien (2.-9. Bez.), die eine besonders eigenwillige stadtsystemische Entwicklung aufweisen, welche in engem Zusammenhang mit der genannten Thematik zu lesen ist: Das Erdgeschoß wird dabei in seiner ursprünglichen Nutzungsstruktur aufgelöst.

Es kommt zu Leerständen von Wohnungen und Gassenlokalen, die als Lagerräume genutzt und in Folge zu Kleingaragen umgebaut werden.
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Vortrag am IFK
Angelika Psenner hält am Montag, 28. Juni 2004, um 18.00 Uhr ihren Vortrag unter dem Titel "Kleingaragen, Kleinhandel, Kleinbürgerlichkeit: Wiens Erdgeschoßzone und öffentlicher Raum" am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK
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Mehr privater, weniger öffentlicher Parkraum
Aufgrund der gegebenen baulichen Struktur der Grundrisse alter Zinshäuser gestaltet sich die Ausformung stützfreier Großräume kompliziert, sodass in den meisten Fällen nur wenige Stellplätze geschaffen werden. Im Gegenzug wird der öffentliche Parkraum durch den Einbau des Garagentores zusätzlich dezimiert.
Abtrennung von der städtischen Öffentlichkeit
Die Fenster - die ursprünglich die Verbindung zwischen öffentlich und privat herstellten, die zur Interaktion einluden und damit das Erdgeschoßlokal, sofern dies mit der Nutzung kompatibel war, zum halböffentlichen Raum machte - diese Fenster werden nun verspiegelt, mit Plakaten verklebt oder ganz zugemauert, sodass die mit der Straße korrelierenden Räume des Hauses endgültig von der städtischen Öffentlichkeit abgetrennt werden.

Damit verliert der Straßenraum eine Sphäre, die über die rein geometrischen Raumabmessungen weit hinausgeht.

Das ambivalente Nutzungsangebot, das Nebeneinander von gegensätzlichen Möglichkeiten, die Widersprüche und die daraus erwachsende Spannung, die das - wie Häußermann /Siebel es formulieren - "positive Moment" der urbanen Lebensqualität, des Stadtlebens im Allgemeinen ausmachen, wird damit beträchtlich reduziert.
Entwicklung der Wiener Straßenstruktur
Der Siedlungsraum einer Großstadt ist von der Landschaft, in der er zur Entfaltung kommt, wesentlich bestimmt. Auch Wien hat in seiner Entwicklung auf das vorliegende Terrain und die klimatische Situation reagiert.

Das grobmaschige Netz der ins Hinterland führenden und dabei das Gelände nachformenden Straßenzüge wurde jedoch besonders während der Gründerzeit mittels orthogonalen Straßen¬rasters aufgefüllt und verdichtet. So rekurrieren die für die Untersuchung relevanten Straßenräume größtenteils auf die Bauphase ab 1840. Die Einhaltung der damals gültigen Baubestimmungen führte zur aktuellen prekären Nutzungssituation.
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Wenig Licht im Erdgeschoß der Gründerzeit
Mit einer Breite von 15,17 Metern und einer durchschnittlichen Bebauungshöhe von 21 Metern und mehr, weist die Wiener Wohnstraße der Gründerzeit denkbar ungünstige Proportionen auf und führt zu einer unzulänglichen Belichtung des Erdgeschosses. Die damals zulässige 85prozentige Verbauung des Grundstücks wirkt zusätzlich negativ, sodass heute eine Wohnnutzung der Erdgeschoßzone im dicht verbauten Gebiet nicht mehr vorgesehen ist.
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Dichte Bebauung, Kleinhandelsterben ...
Das Schaufenster oder generell das aktiv genützte Fenster in Passantenhöhe wird in Gebieten abseits der florierenden Einkaufstraßen oder der City rar. Denn das aufgrund der engen Straßenschluchten, der hohen und dichten Bebauung, der ungünstigen Belichtungssituation und dem fortschreitenden Kleinhandelsterben schwer bespielbare Erdgeschoß bleibt zunehmend ungenutzt.
... führt zu immer mehr Leerständen
Die Leerstände der Erdgeschoßlokale in Rand- und Nebenlage werden auf bis zu 5.000 geschätzt. Dabei sind zwei Drittel dieser Lokale nicht wirklich frei verfügbar, da sie einer Subnutzung dienen (zumeist als Lager) oder aufgrund von Miet- oder Erbstreitigkeiten nicht benutzbar sind.

Leere Erdgeschoßlokale ziehen jedoch weder über ihre Funktion noch über ihre Gestaltung Menschen an, sodass sich der Leerstand auch auf die angrenzenden Geschäfte ausbreitet. Die BesucherInnenfrequenz geht zurück, bis die Standortqualität - im Negativszenario - für den gesamten Straßenzug verloren geht.
Gehsteig bestimmt Sozialverhalten
Voraussetzung für die Betrachtung von Schaufenstern oder gar für die Interaktion mit Händlern ist das Vorhandensein von Freiraum. Enge Gehwegsituationen bringen FußgängerInnen dazu, ihren Schritt zu beschleunigen und ihre Aufmerksamkeit auf das Ende dieser als unangenehm und beengt empfundenen Situation zu lenken, sodass eventuell vorhandene Vitrinen und angebotene Waren übersehen werden.

Eine geeignete Gehsteigbreite ist zudem Voraussetzung, um sich in angenehmer Distanz begegnen und sich in Gruppen aufhalten zu können. Social gathering führt außerdem dazu, dass öffentlicher Raum vorteilhaft wahrgenommen wird.
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Wiener Gehsteig rund zwei Meter breit
Die durchschnittliche Gehsteigbreite der Wiener Wohnstraße beträgt 1,70-2 ,30 Meter. Im Vergleich dazu misst der New Yorker side walk mindestens vier Meter.
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Verkehr bestimmt öffentlichen Raum
Der ruhende Verkehr, also die im öffentlichen Raum geparkten Autos, nehmen in den eng bemessenen Wiener Wohnstraßen besonders viel Platz ein.

Die jüngst veröffentlichte Studie der Universität für Bodenkultur zeigt für die kommenden drei Jahrzehnte ein starkes Ansteigen des Stadtverkehrs und damit auch der erforderlichen Parkflächen auf.

Derzeit sind in Wien rund 652.000 Pkw's zugelassen. Die prognostizierten Zuwachsraten von 7.000-8.000 Autos pro Jahr zeigen, dass der Trend zum Autobesitz ungebrochen scheint und lassen vermuten, dass der bestehende (wirtschaftliche und politische) Einfluss der Autolobby weiter ansteigen wird.
Dachgeschoßausbauten führen gesetzesbedingt ...
Der Ausbau der Dachgeschosse zu Wohnungen - die derzeit wichtigste bauliche Veränderung der Stadt - hat auch eine Veränderung des Parterres zur Folge. Denn dabei tritt, so wie bei jedem Neu- oder Zubau, die so genannte Stellplatzverpflichtung in Kraft. Dabei wird der Bauherr verpflichtet, auf seinem Bauplatz Pkw-Stellplätze zu errichten.
... zu mehr Autostellplätzen im Erdgeschoß
Zwar kann diese Verpflichtung unter gewissen Voraussetzungen auch durch die Entrichtung der Ausgleichsabgabe an die Stadt Wien erfüllt werden oder durch eine vertraglich abgesicherte Einstellmöglichkeit im Umkreis von 500 Meter zum Bauplatz. Allein diese Alternative wird selten genützt, in den meisten Fällen kommt es wirklich zum Einbau einer Kleingarage in den ohnedies leer stehenden Erdgeschoßlokalen.

So werden eine große Anzahl kleiner Solitärprojekte durchgeführt, die im Allgemeinen hohe Investkosten verursachen und dabei dem Problem der Parkraumnot nicht effizient entgegenwirken.
Rechtsanspruch auf Baugenehmigung
Eine Kleingarage ist eine bautechnische Causa, das heißt, dass ihre Erstellung keiner Umwidmung bedarf. So hat jeder Bauwerber - also jeder, der in der Lage ist, eine Einreichung bei der Baupolizei zu tätigen - Rechtsanspruch auf Baugenehmigung, wenn hinsichtlich der Bauordnung alle Anforderungen erfüllt werden und wenn ausreichend Parkraum vorgesehen wird, d.h. wenn mehr Stellplätze geschaffen werden, als im Straßenraum durch die Ausformung der Einfahrt verloren gehen.

Aus städtebaulichen Überlegungen kann allenfalls die MA19 (Architektur und Stadtgestaltung) ein Negativgutachten erstellen; jedoch nur, wenn Bedenken hinsichtlich des örtlichen Stadtbildes bestehen. In solchen ausschließlich die Wiener Schutzzonen betreffenden Fällen werden dann zumeist lediglich höhere Ansprüche an die architektonische Gestaltung der Einfahrt gestellt.
Keine stadtplanerischer Gegenstrategie
Tatsache ist, dass aus stadtplanerischer Sicht keine Strategie erarbeitet wird, um die Baubewilligungen für Kleingaragen anhand eines anwendbaren Entwicklungskonzeptes für den öffentlichen Raum der Straße zu lenken.

Damit werden aber auch die baulichen Voraussetzungen für eine vitale Funktionsverflechtung und damit die Entfaltungsmöglichkeit für belebten Stadtraum zerstört.
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Über die Autorin
Angelika Psenner studierte Architektur in Wien und Paris, war Postgraduate in Soziologie am Institut für Höhere Studien in Wien und dissertierte über Städtebau und Soziologie an der TU Wien. 2002 bis 2004 Assistentin am Institut für Baukunst, Bauaufnahme und Architekturtheorie an der TU Wien. 2004 IFK_Research Fellow mit dem Projekt "Strukturwandel der Halböffentlichkeit. Einfluss von Struktur und Nutzung der Erdgeschoßzone auf den städtischen Raum".
->   IFK-Gastbeiträge in science.ORF.at
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01.01.2010