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Gehirn-Operationen durchs Nadelöhr  
  Neurochirurgen stehen bei Operationen am Gehirn vor dem Problem, dass die Schädeldecke in weiten Bereichen geöffnet werden müsste. Durch die Entwicklung einer speziellen Operationsmethode - die so genannte Stereotaxie - ist das nicht mehr notwendig. Sie ermöglicht Eingriffe durch lediglich millimetergroße Bohrlöcher. Der Wiener Neurochirurg Francois Alesch stellt in einem Gastbeitrag für science.ORF.at die letzten Entwicklungen auf diesem Gebiet zusammen.  
Anlass dafür ist der 16. Kongress der Europäischen Gesellschaft für Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie, der vom 23. bis 26. Juni im Wiener MuseumsQuartier stattfand.

400 Wissenschaftler aus der ganzen Welt tauschten in über 250 Vorträgen ihre Erfahrungen in diesem sehr speziellen Bereich der Neurowissenschaften aus.
->   Zum Kongress
Stereotaktische und funktionelle Neurochirurgie
Francois Alesch

Das Wesen der Stereotaxie liegt darin, tiefe Bereiche des Gehirns ohne größere Eröffnung des Schädels zu erreichen, und dort gezielt Operationen durchzuführen. Meist sind die Bohrlöcher, über welche spezielle Instrumente vorgeschoben werden, nur wenige Millimeter groß.

Die genaue Lage der Zielregion wird vorher, ähnlich wie bei einem Navigationssystem, berechnet, um dann über genau festgelegte Distanzen und Winkel erreicht zu werden.

In der Regel werden diese Operationen am wachen Patienten durchgeführt. Eine lokale Betäubung reicht aus, um die Patienten während des gesamten Eingriffs schmerzfrei zu halten.
Operationen am wachen Patienten
Die Tatsache, dass diese Operationen am wachen Patienten erfolgen können, ermöglicht Eingriffe, bei denen Funktionen des Gehirns gezielt beeinflusst werden.

Dies kann entweder durch gezielte elektrische, thermische oder chemische Ausschaltung mittels dünner Sonden ("ablative" Verfahren) oder durch Stimulation über implantierbare Elektroden ("augmentative" Verfahren) erfolgen.

Meist wird die Stimulation bevorzugt, da diese reversibel ist und deren Wirkung an die jeweiligen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden kann.
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Zittern behandelbar
Wohl am meisten bekannt ist die Ausschaltung des Zitterns (Tremors) durch gezielte Blockierung überaktiver Kerne in der grauen Substanz des Gehirns (Thalamus, Subthalamus, Globus pallidus).
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Anwendungen: Parkinson, Tics...
Daneben gibt es eine ganze Reihe anderer Symptome und Krankheiten, welche von dieser Behandlung profitieren. Bei Morbus Parkinson kann nicht nur der Tremor erfolgreich stereotaktisch behandelt werden, auch die Bewegungsarmut und die Steifigkeit sprechen gut darauf an.

Gut sind die Ergebnisse auch bei der Dystonie und bei verschiedenen selteneren Bewegungsstörungen.
Weniger etabliert aber Erfolg versprechend ist die stereotaktische Technik in der Behandlung von Tics und Zwängen. Dieses Thema stellte bei dem Kongress einen Schwerpunkt dar.
...Schmerzen
Auch Schmerzen wie sie zum Beispiel nach Zerstörung von Nerven- oder Hirngewebe auftreten können, können stereotaktisch behandelt werden. Neuerdings werden auch gute Ergebnisse bei der Behandlung des Cluster Kopfschmerzes berichtet.

Neben den funktionellen Eingriffen ermöglicht die stereotaktische Technik auch eine problemlose Entnahme von Gewebsproben (z.B. bei Tumoren) oder das Entleeren von Zysten. Auch Medikamente (z.B. Chemotherapeutika) können so gezielt injiziert werden.
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Zukunft: Neurotransplantation
Eine wichtige Rolle wird die Stereotaxie in Zukunft auch bei der Neurotransplantation und Neuroprotektion spielen. Dank gentechnischer Verfahren wird es möglich sein, Zellen herzustellen, welche abgestorbene Nervenzellen des Gehirns ersetzen und die verbliebenen unterstützen sollen.
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Zellersatz stoppt Parkinson
Bekanntlich ist ja zum Beispiel die Parkinson-Krankheit das Ergebnis eines solchen Zelltodes. Gelingt es die abgestorbenen Zellen zu ersetzen, so verschwinden auch die Symptome und somit die Krankheit.

Auch spezielle Substanzen, so genannte neurotrophe Faktoren können injiziert werden: Die tragen zu einer Neubildung und Erholung der Nervenzellen bei, man spricht dann auch von Neuroprotektion.
Kapseln überlisten Immunabwehr
Bisher war ein entscheidendes Problem bei der Neurotransplantation immer die körpereigene Immunabwehr.

Patienten, welche derartige Therapien erhielten, mussten zeitlebens spezielle Medikamente einnehmen, um diese Abwehr zu schwächen und so den transplantierten Zellen ein Überleben zu sichern.

Ein neuartiges Verfahren, nämlich das Einschließen der Zellen in spezielle Kapseln (so genannte Sphäramine) scheint dieses Problem gelöst zu haben. Auch diese Technik wurde beim Kongress diskutiert.
Dem Gehirn "beim Funktionieren zuschauen"
Die stereotaktische Technik ist durch den Einsatz moderner bildgebender Verfahren wie die Kernspintomographie nicht nur zielsicherer geworden, sondern hat auch durch die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gelernt, die komplexen Vorgänge im Gehirn besser zu verstehen.

Besonders die funktionelle Kernspintomographie, die mit Hilfe von sehr leistungsfähigen Computern es erlaubt, dem Gehirn sozusagen "beim Funktionieren zuzuschauen", wird in Zukunft der Stereotaxie weitere Bereiche eröffnen. Immer gemäß dem Prinzip der minimal invasiven Technik.
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Zum Autor
François Alesch arbeitet an der Universitätsklinik für Neurochirurgie des AKH-Wien.
->   Universitätsklinik für Neurochirurgie
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01.01.2010