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Ökokatastrophe Aralsee: DNA-Schäden bei Bevölkerung  
  Einst das viertgrößte Binnengewässer der Welt, ist der Aralsee heute auf weniger als ein Zehntel dezimiert: Es gilt als größtes Umweltverbrechen des Sowjetregimes - seit Jahrzehnten trocknet der See aus, weil das Wasser der Zuflüsse zur Bewässerung von gigantischen Landwirtschaftsprojekten abgeleitet wurde. Die Verlandung hat zudem massive Folgen für die Gesundheit der dort lebenden Menschen - und zeigt sich mittlerweile selbst im Genom der Betroffenen.  
Der Genetiker Spencer Wells von der National Geographic Society untersuchte DNA-Proben von Bewohnern des Gebietes um den Aralsee und fand tatsächlich weit verbreitete genetische Schäden in ihrem Erbgut.

Noch immer leben in der desolaten Region um den See Hunderttausende Menschen.
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Fakten zur Aralsee-Katastrophe
Der Aralsee schrumpft - und hat sich mittlerweile zwischen 100 und 150 Kilometer von seinen ursprünglichen Ufern zurück gezogen. Seit 1966 sind etwa 42.000 Quadratkilometer Salzwüste entstanden. Durch den steigenden Salzgehalt der Seen ist die Fischereiwirtschaft völlig kollabiert, während in früheren Jahren rund 44.000 Tonnen Fisch pro Jahr gefangen wurden. Rund um den See findet sich die höchste Kindersterblichkeitsrate der gesamten ehemaligen Sowjetunion.
->   Infos zum Aralsee (Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum)
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"Musterbeispiel" einer Öko-Katastrophe
Der Aralsee gilt geradezu als das "Musterbeispiel" einer menschgemachten ökologischen Katastrophe.

Ursprünglich war der See, der heute im Norden zu Kasachstan und im Süden zu Usbekistan gehört, mit fast 64.000 Quadratkilometern das viertgrößte Binnenmeer - gespeist durch zwei mächtige Flüsse.

Zum einen brachte der Syr-Darja, der seine Quellen in den 3.000 Kilometer entfernten Bergen des Tienschan an der Grenze zu China hat, Zufluss an Frischwasser. Zum anderen lieferte der im Hindukusch Afghanistans entspringende Amu-Darja nassen Nachschub.
Chronologie eines Umweltdesasters
Bild: EPA
Doch Anfang der 1960er Jahre wurde in Moskau beschlossen, entlang der beiden Ströme gigantische Bewässerungssysteme zu bauen. Das Wasser wurde umgeleitet, um in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan riesige Monokulturen - vor allem Baumwolle - zu versorgen.

Damit aber hatte man die Wasserzufuhr des Aralsees abgedreht - der in Folge immer stärker austrocknete. Der in Mittelasien gelegene See ist längst in zwei Teile zerfallen, heute gibt es einen kleineren nördlichen Teil sowie den südlichen Aralsee.

Die NASA-Aufnahme rechts vom August 2001 zeigt den mittlerweile zweigeteilten Aralsee.
Massive Folgen für die Gesundheit
Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung sind massiv: So sind etwa Atemwegserkrankungen wie Asthma und Allergien der Bronchien weit verbreitet. Denn das Wasser schwindet und lässt Salze sowie giftige Pestizide und Chemikalien aus der Landwirtschaft zurück.

Der Wind wirbelt den trockenen Boden und damit diese Rückstände auf und trägt die Giftstoffe kilometerweit. Der Salzgehalt im Restwasser des Sees steigt derweil immer weiter an, das Wasser verdunstet immer schneller.

Der Salzstaub aus dem Seebett und die landwirtschaftlichen Giftstoffe gelten als verantwortlich für die hohen Erkrankungszahlen der Region: Blutarmut und vor allem Krebs gehören neben den Atemwegserkrankungen dazu.
Graubraune Salzwüste statt Seeboden
 
Bild: EPA

Nach Verschwinden des Wassers bleiben graubraune Einöden zurück, die einst den Seeboden bildeten. Frühere Hafenstädte liegen heute in Salzwüsten.

Alarmierend ist etwa die Erkrankungsrate einer ganz speziellen Krebsform: Speiseröhrenkrebs. Sie ist die höchste weltweit. Rund 80 Prozent der Krebspatienten um den Aralsee sind davon betroffen.

Um die Ursachen für die desolate gesundheitliche Situation der Bevölkerung zu klären, hat der Genetiker Spencer Wells nun das Erbgut der Menschen untersucht - und mit Proben einer Kontrollgruppe verglichen.
Deutlich mehr Schädigungen der DNA
Das Ergebnis: In der DNA der Menschen rund um den Aralsee finden sich deutlich mehr genetische Schäden als bei der Kontrollgruppe, wie BBC Online berichtet.

Die Studie konzentrierte sich auf eine Substanz namens 8-Hydroxydeoxyguanosin, kurz 8-OHdG. Diese wurde als so genannter Marker verwendet, um den Umfang der DNA-Schäden festzustellen.

Die Mutationsrate war demnach um mehr als das Dreifache erhöht. Und bei Mitarbeitern aus der Landwirtschaft war diese noch einmal deutlich größer, was auf einen starken Einfluss der für die Baumwollfelder verwendeten giftigen Chemikalien hindeutet.
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Mutationen möglicherweise auch vererbbar
Nach Angaben von Spencer Wells könnten die Folgen zudem äußerst lange wirksam sein: Nicht nur jene Untersuchten sind demnach von einem erhöhten Krebsrisiko betroffenen, selbst ihre Kinder und Enkel könnten betroffen sein. In weiteren Studien soll geklärt werden, ob die bei den Erwachsenen gefundenen Mutationen möglicherweise vererbt werden.
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Doppelter Einfluss auf den Menschen
Der Biologe Saparbey Kazahbaev hat die vergangenen 30 Jahre in der Region verbracht. Heute leidet er selbst an Speiseröhrenkrebs. Wie er erklärt, haben die giftigen Salze einen doppelten Einfluss auf die Menschen:

Zum einen gelangen sie durch die Luft in das Atemsystem, zum anderen fließen sie über die Pflanzen und Tiere in die Nahrungskette ein. Als Folge sind die Krebsstationen der Krankenhäuser heillos überfüllt.
Aralsee trocknet schneller aus als gedacht
Und die Situation wird nicht besser: Der südlich gelegene größere Teil des Sees könnte Forschern zufolge schon in 15 Jahren völlig ausgetrocknet sein - Jahrzehnte eher als bisher angenommen.

Ein Moskauer Forschungsteam um Peter Zawialow vom Schirschow-Institut für Ozeanologie korrigierte im Jahr 2003 mit seinen neuen Untersuchungen - veröffentlicht in den "Geophysical Research Letters" - Zahlen, die Anfang der neunziger Jahre ermittelt worden waren.

So war der vormals 65 Meter tiefe Salzwasser-See im Jahr 2002 nur noch 30,5 Meter tief - vor zehn Jahren hatte man noch schlimmstenfalls 34 Meter vorausgesagt.
Großprojekt geplant: Staudämme für den Norden
Ein Großprojekt könnte allerdings zumindest einen Teil dessen retten, was vom Aralsee überhaupt noch zu retten ist. Staudämme sollen den kleineren nördlichen Teil bewahren. Dem südlichen Teil des Sees wird der geplante 12,7 Kilometer lange Betondamm zugleich den letzten Todesstoß versetzen.
->   National Geographic Society
->   State of Environment of the Aral Sea Basin
->   NASA Earth Observatory: Aral Sea
->   ORF.at: Staudämme gegen Verlandung des Aralsees
 
 
 
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01.01.2010