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Evolutionsbiologe Ernst Mayr wird 100 Jahre alt  
  Der Doyen der Evolutionsbiologie, Ernst Mayr, feiert am 5. Juli seinen 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass wirft er im Fachmagazin "Science" einen Blick zurück auf die wechselvolle Geschichte seines Faches. Wie er berichtet, war diese Disziplin in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens in isolierte Fachbereiche getrennt und von heftigen inneren Kontroversen geprägt. Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch gelang eine wissenschaftliche Synthese, die eine einheitliche Sicht der Evolution gestattete.  
Mayr, mitunter als "Architekt der Synthetischen Theorie" der 1940er Jahre bezeichnet, betonte zeitlebens, dass man das ungeheure Ausmaß der natürlichen Biodiversität in der Theorienbildung berücksichtigen müsse.

Dementsprechend liegt der wichtigste wissenschaftliche Beitrag des Zoologen aus Harvard im Bereich der Artbildung - jener Prozess, der als Quelle der Vielfalt des Lebendigen gilt.
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Der Artikel "80 Years of Watching the Evolutionary Scenery" von E. Mayr erschien im Fachmagazin "Science" (Band 305, Seiten 46-47,Ausgabe vom 2.7.04, doi:10.1126/science.1100561).
->   Der Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Acht Jahrzehnte in der Forschung
Kaum einem Wissenschaftler ist es vergönnt, die Entwicklung seines Faches über mehr als acht Jahrzehnte an vorderster Front zu verfolgen.

Mayr, der am 5. Juli 100 Jahre alt wird, ist seit seiner Studienzeit im Berlin der 1920er Jahre im Bereich der Evolutionsbiologie tätig und gilt noch heute als Autorität auf diesem Gebiet. Dass er für seinen Rückblick in "Science" einen ziemlich weiten Zeithorizont wählt, versteht sich daher von selbst.
->   Weitere Infos und Links zu Ernst Mayr bei Wikipedia
Kontroversielle Frühzeit des Darwinismus
Die Evolutionsbiologie war, so Mayer, sei ihrem Anbeginn zu Darwins Zeiten von heftigen Kontroversen geprägt. Allerdings nicht - wie man vermute möchte - durch Konflikt mit dem Schreckgespenst des Kreationismus, sondern vielmehr wegen innerdisziplinärer Zwistigkeiten.

Ein Grund dafür ist, dass die Evolutionstheorie genau genommen keine einzelne Theorie darstellt, sondern als ein Bündel verschiedener Hypothesen auftritt. Da sind zunächst die These des Artenwandels und die Idee der gemeinsamen Abstammung aller Arten.

Diese erfreuten sich schon bei den frühen Darwinisten allgemeiner Akzeptanz. Die anderen Grundmotive des modernen Darwinismus - graduelle Evolution, Vervielfachung von Arten und die Wirkung der natürlichen Selektion - wurden erst nach einigen Umwegen in das Lehrgebäude integriert.
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Sendungshinweis
Auch die Ö1-Radiosendung "Dimensionen" widmet sich Ernst Mayrs wissenschaftlichem Werk. Sendungstitel: "Der Darwin des 20. Jahrhunderts". Sendungstermin: Montag, 5. Juli 2004 um 19:05 Uhr.
->   Radio Österreich 1
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Der Weg zur modernen Populationsgenetik
So vertraten etwa nicht wenige Forscher zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Ansicht, dass Arten durch Mutationen auf durchwegs sprunghafte Weise entstehen sollten.

Diese - retrospektiv als "Saltationismus" bezeichnete - Lehre wurde dann von einer Gruppe von US-amerikanischen Fliegengenetikern um T.H. Morgan von der Columbia University widerlegt.

Das schuf wiederum die Basis für die goldenen Ära der Populationsgenetik, in der diese Disziplin durch Pionierleistungen dreier Personen auf ein solides mathematisches Fundament gestellt wurde: R.A. Fisher, J.B.S. Haldane und Sewall Wright.
->   Evolution of Evolutionary Theory (Univ. of Texas)
Auf der Suche nach den Ursachen der Vielfalt
Mayer betont, dass die Evolutionsbiologie auch während dieser Phase eine gespaltene Disziplin blieb. Neben den an Anpassungsprozessen in Populationen interessierten Theoretikern gab es auch eine Gruppe von Forschern, die sich mit Ursprung und Geschichte der Biodiversität beschäftigten.

Zu dieser Fraktion zählte - und zählt noch immer - Ernst Mayr: Es war die Zunft der Systematiker unter den Biologen, die erkannte, dass der entscheidende Prozess zur Schaffung der natürlichen Vielfalt die so genannte Artbildung darstellt.

Wie Ernst Mayr in seinem Hauptwerk "Animal Species and Evolution" (deutsch: "Artbegriff und Evolution") schreibt, deutete sich das bereits im Titel von Darwins "On the Origin of Species" an. Aber im Grunde habe Darwin kein Buch über die Entstehung der Arten geschrieben, sondern mit seiner Selektionstheorie gezeigt, warum Tiere und Pflanzen keine unwandelbaren Entitäten darstellen.
"Nothing in biology makes sense - except ..."
Die Aufklärung der genauen Mechanismen der Artbildung blieb dann jenen Biologen vorbehalten, die in den 1940er Jahren an Museen und im Freiland forschten. Diese Generation war es schließlich auch, welche die verschiedenen Fächer der Biowissenschaften in ein einheitliches theoretisches Gebäude integrierte.

Zu nennen sind hier neben Mayer vor allem zwei Personen: Zum einen der Russe Theodosius Dobzhansky, der in seinem einflussreichen Buch "Genetics and the Origin of Species" den naturalistisch-beschreibenden Ansatz der Systematiker mit dem mathematischen Modellen der Populationsgenetiker verband.

Ihm verdanken wir auch den berühmten Ausspruch "Nothing in biology makes sense - except in the light of evolution", der zeigt, welche integrative Kraft von Evolutionstheorie ausgeht. Denn: Ohne die Idee der Evolution degeneriert die Biologie zu einer Ansammlung von Daten und Fakten, die sich dem ganzheitlichen Blick entzieht.
->   Mehr zu Theodosius Dobzhansky (Minnesota State University)
Die moderne Synthese
Die so genannte Synthetische Theorie der Evolution wurde dann im Jahr 1942 mit einem Buch von des Briten Julian Huxley inauguriert.

Dessen Titel lautete denn auch ganz programmatisch: "Evolution: The Modern Synthesis". Diese erlangte dann für einige Jahrzehnte den Status einer unangefochtenen Standardinterpretation der Evolution - ganz ähnlich, wie es etwa auch bei der so genannten Kopenhagener Schule im Bereich der Quantenphysik der Fall war.
->   Mehr zur modernen Synthese (Uni Hamburg)
"Noch vieles zu erforschen ..."
Mayrs Darstellung der weiteren Entwicklung endet im Wesentlichen in den 1950er Jahren mit dem berühmten Doppelhelixmodell von James Watson und Francis Crick. Daher bleibt auch die eine oder andere Strömung unerwähnt, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, nicht zuletzt auch durch die fachliche Kritik an der Synthetischen Theorie.

Trotzdem: Mayr hat sich auch mit 100 Jahren jenen aufmerksamen Blick des Naturforschers und -liebhabers erhalten, der sein gesamtes wissenschaftliches Werk prägte. Vor allem im Bereich der einzelligen Lebewesen gebe es seiner Ansicht nach für die folgenden Generationen von Evolutionsbiologen "ganze Welten zu entdecken".

Er betrachtet sein Fach nach wie vor als "endloses Land", in dem noch vieles zu erforschen sei: "Das einzige was ich bedaure, ist, dass ich dann nicht mehr hier sein werde, um die zukünftigen Entwicklungen zu genießen."

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Museum of Comparative Zoology, Harvard University
->   oe1.ORF.at: Ernst Mayr- Das ist Evolution
Mehr dazu in science.ORF.at
->   Inselgröße beeinflusst Immunsystem von Darwinfinken (1.6.04)
->   Fliegen in flagranti: Artbildung genetisch nachgewiesen (4.12.03)
->   Evolutionstheorie vor Darwin (20.10.03)
->   Das Stichwort Evolution im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010