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Wittgensteinpreis 2004 an den Historiker Walter Pohl  
  Der Historiker und Experte für das Frühmittelalter Walter Pohl bekam am Montag den Wittgenstein-Preis 2004 verliehen, den bedeutendsten und mit 1,5 Millionen Euro höchstdotierten Wissenschaftspreis Österreichs. Weiters wurden fünf Forscher - allesamt Männer - mit den START-Preisen für Nachwuchs-Wissenschaftler ausgezeichnet.  
Sie erhalten in den nächsten sechs Jahren jeweils 200.000 Euro jährlich für ihre wissenschaftlichen Arbeiten.
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Der Wittgenstein-Preis wird seit 1996 jährlich vom Bildungsministerium vergeben. Die Auswahl wird vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) abgewickelt.
->   Mehr über die Geschichte der Preise (27.6.01)
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Über den Tellerrand hinaus schauen
Bild: Starmühler/Schubert
Walter Pohl reist gerne. Ein Glück, dass der Wiener Historiker seiner Leidenschaft berufsbedingt regelmäßig frönen kann. Ja, muss. "Schließlich ist es für einen Geisteswissenschaftler unabdingbar, dass er die Brennweite seines Forschungsfokus immer wieder ändert, um einen anderen Blick auf die Welt und die Dinge dahinter zu bekommen", philosophiert der Wittgensteinpreisträger 2004.

Die Fähigkeit, über den Tellerrand hinaus schauen zu können, nennt der 50-jährige Leiter des Instituts für Mittelalterforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften diese wesentliche Eigenschaft eines Historikers.

Besonders, wenn man sich wie er mit dem Frühmittelalter beschäftigt, jener Epoche zur Zeit der Völkerwanderung, die bislang von Historikern eher stiefmütterlich behandelt worden ist.
Das Frühmittelalter - entscheidende Phase für Europa
"Dabei handelt es sich bei dieser Übergangszeit von der Antike zum Mittelalter um eine für das aktuelle Europa entscheidende Entwicklungsphase: Damals entstanden nicht nur die meisten europäischen Völker, die im Lauf der Zeit zu modernen Nationen wurden, sondern auch die Art, wie man über ihre Bedeutung nachdenkt", so Walter Pohl.

"Probleme wie Integration, Migration, ethnische Zusammengehörigkeit waren schon damals relevant."
Beunruhigende Zeit der Völkerwanderung
Der Historiker interessiert sich dabei vor allem für die ethnischen Prozesse, die mit dem Untergang des Römischen Reichs und der großen Völkerwanderung ihren Anfang nehmen: "Es war eine beunruhigende Welt voller neuer Völker auf der Suche nach Identität, in der viele der besten Köpfe darum bemüht waren, den dramatischen Wandlungen der Lebenswelt Sinn zu geben", führt Pohl aus.
Kritische Hinterfragung nationalistischer Mythen
Der Schritt zurück in die europäische Vergangenheit hat für Pohl einen weiteren Sinn: "Er schärft den Blick für ethnische Prozesse der Gegenwart, erlaubt einen Vergleich ähnlicher Phänomene und der Unterschiede", so der Wissenschaftler.

"Es geht auch darum, ideologischen Schutt wegzuräumen und nationalistische Mythen kritisch zu hinterfragen."
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Wien: Zentrum der Frühmittelalterforschung
Dabei ist methodische Behutsamkeit nötig. Pohl baut dazu auf die "Wiener Schule der Historischen Ethnografie", die von seinem geistigen Vater, dem Historiker Herwig Wolfram, begründet worden ist.

An Nachwuchs mangelt es dem Wittgensteinpreisträger nicht. Studenten aus ganz Europa und den USA suchen in seinem Institut Ausbildung: "Wien ist in Europa längst das Zentrum der Frühmittelalterforschung", so Pohl. Damit dies so bleibt, will der Historiker mit dem höchst dotierten Forschungspreis Österreichs künftig vermehrt junge Forscher aus dem Ausland in sein junges, engagiertes Team holen.
->   Institut für Mittelalterforschung (ÖAW)
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Die fünf START-Preisträger 2004
Insgesamt fünf Forscher erhalten heuer START-Preise: der Jurist Thomas Bachner, der Mathematiker Michael Kunzinger, der Mikroelektroniker Vassil Palankovski, der Chemiker Thomas Prohaska und der Biophysiker Gerhard J. Schütz.
Evolution der "Europäisierung" des Rechts
Bild: Universum Magazin
Der Jurist Thomas Bachner, 36, widmet sich in seinem Projekt einer brisanten Thematik: der europäischen Harmonisierung nationaler Gesellschaftsrechtssysteme im Zuge der "Europäisierung" des Privatrechts.

"Dazu analysiere ich systematisch die Divergenzen im Zuge dieses bereits seit 30 Jahren laufenden Prozesses - mit Schwerpunkt auf England, Deutschland, Österreich und Polen", erläutert der Wissenschaftler vom Institut für Bürgerliches Recht, Handels- und Wertpapierrecht an der WU Wien.

Der neue Ansatz soll nicht nur ein besseres Verständnis des Prozesses der europäischen Rechtsangleichung ermöglichen, sondern diesen auch zielgerichteter machen.
->   Institut für Bürgerliches Recht, Handels- und Wertpapierrecht
Theorie zur Praxis nichtlinearer Phänomene
Bild: Universum Magazin
Der Mathematiker Michael Kunzinger, 35, leistet mit seiner Forschungsarbeit Pionierarbeit: Der Wissenschaftler vom Institut für Mathematik der Uni Wien strebt die Weiterentwicklung einer Theorie zur "nichtlinearen distributionellen Geometrie" an.

Es geht dabei um das Verständnis von "nichtlinearen singulären Phänomenen" wie beispielsweise seismischen Schockwellen im Erdinneren, die bei geophysikalischen Analysen auftreten.

Geometrisch beschrieben werden derartige Naturphänomene, weil diese Situationen unabhängig von den Beobachtern zugeordneten Raum- und Zeitskalen sind. In die Arbeit werden auch potenzielle Einsatzgebiete wie die Relativitätstheorie einbezogen.
->   Mehr über Michael Kunzinger (Uni Wien)
Simulation elektronischer Bauelemente
Bild: Universum Magazin
Der Mikroelektroniker Vassil Palankovski, 35, beschäftigt sich mit der Simulation der elektronischen Welt moderner Halbleiter. "Die Computermodellierung der elektronischen Eigenschaften dieser Bauelemente ermöglicht der Industrie noch vor der Produktion eine Abschätzung des Materialverhaltens", erklärt der gebürtige Bulgare vom Wiener TU-Institut für Mikroelektronik, der jüngst die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hat.

Das Problem: Die gängige Softwaretechnologie zur Simulation hinkt meist dem aktuellen Stand der industriellen Applikationen hinterher. Ziel ist es, neue Wege zur Computermodellierung derartiger Materialien zu beschreiten und zu erörtern.
->   Institut für Mikroelektronik, TU Wien
Blick in die feine Handschrift der Natur
Bild: Universum Magazin
Der Chemiker Thomas Prohaska, 36, hat sich auf die Spur so genannter Isotope geheftet, um auf deren Basis eine Analysemethode für Lebensmittelwaren, geologische Materialien vom Ursprung der Erde oder prähistorische Skelette zu entwickeln.

"Isotope sind unterschiedlich schwere Atome eines Elements", so der Forscher vom Institut für Chemie der BOKU Wien. "Sie kommen in der Natur je nach Region in unterschiedlichem Verhältnis vor, jeder Rohstoff erhält so eine unverwechselbare Handschrift."

Prohaska will diese Information nun in winzigen Proben lesbar machen. Die Anwendungspalette reicht von forensischen Analysen bis zur Betrugsbekämpfung in der Industrie.
->   Thomas Prohaska (BOKU Wien)
Immunologie unter dem "Nanoskop"
Bild: Universum Magazin
Der Biophysiker Gerhard J. Schütz, 35, erforscht den Nanokosmos des Immunsystems, um daraus neue Analyse- und Messtechnologien zu entwickeln. Ziel ist es, die "Einzelmolekül-Mikroskopie" als ein neues Werkzeug für die Untersuchung von Nanostrukturen und molekularen Dynamiken in lebenden Zellen zu etablieren.

Analyseobjekt des Experten vom Linzer Institut für Biophysik ist ein wichtiger Prozess des Immunsystems: die Formierung der Synapse zur Aktivierung einer T-Zelle. Dabei sollen die Interaktionen zwischen den zuständigen Proteinen direkt im zellulären Kontext bestimmt werden.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
science.ORF.at
->   Single Dye Tracing group (Gerhard Schütz)
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
->   Universum Magazin
->   Ö1 Mittagsjournal-Beitrag (oe1.ORF.at)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Wittgenstein-Preis 2003 an Renée Schroeder (30.6.03)
->   Verleihung der START- und Wittgenstein-Preise 2002 (7.3.02)
->   START- und Wittgenstein-Preise 2001 verliehen (27.6.01)
 
 
 
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01.01.2010