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Sinn des Schlafens: Lernen oder Energie tanken?  
  Dass der Mensch schlafen muss, wird für gewöhnlich durch zwei Hypothesen erklärt: Eine verortet die Funktion des Schlafes im Bereich des Energiestoffwechsels im Gehirn. Eine andere betrachtet Schlaf als unverzichtbaren Teil von Lernvorgängen. Eine Studie von US-Forschern legt nun nahe, dass vor allem letzteres zutrifft: Schlafen festigt Lerninhalte durch die Regulation synaptischer Verbindungen.  
Wie ein Team um Reto Huber von der University of Wisconsin berichtet, spielt dabei vor allem die - im EEG sichtbare - langsamwellige Aktivität von Nervenzellen eine entscheidende Rolle. Sie zeigt nicht nur das Bedürfnis nach Schlaf an, ihr Ausmaß spiegelt auch jene molekularen Vorgänge an den Synapsen wider, die dem Lernen zugrunde liegen.
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Die Studie "Local sleep and learning" von Reto Huber et al. erschien im Fachmagazin "Nature" (Band 430, S. 78-81, Ausgabe vom 1.7.04).
->   Zum Originalartikel (kostenpflichtig)
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Leben heißt (auch) Schlafen
Schlaf ist, wie jeder aus persönlicher Erfahrung weiß, ein homöostatisches Phänomen. Je länger man wach ist, desto größer wird das Schlafbedürfnis. Missachtet man diese natürliche Neigung, dann stellen sich körperliche Verfallserscheinungen ein: verminderte kognitive Fähigkeiten, Störungen des Immun-, Nerven- und Immunsystems sowie - im Extremfall - sogar der Tod. Mit anderen Worten, Leben ist ohne Schlaf nicht dauerhaft möglich.
->   Lexikalisches zum Schlaf bei Wikipedia
Schlaf: Aufladen der "Batterien"
Interessanterweise kann man bis heute nicht mit letzter Sicherheit sagen, warum das so ist. Zwei prominente Hypothesen wurden bis dato angeboten:

Die eine geht davon aus, dass im Schlaf Energiedefizite ausgeglichen werden. Hier konzentriert man sich vor allem auf den so genannten Non-REM-Schlaf, also jener, der nicht von schnellen Augenbewegungen begleitet wird.

Diese Phase zeichne sich, so die Hypothese, durch einen besonders niedrigen Energieverbrauch aus, wodurch der biochemische "Treibstoff" in den Nervenzellen regeneriert werden könne.
Lernen: "Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf"
Die zweite Hypothese betrachtet Schlaf als Teil des Lernens. Neurowissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang allgemein von "neuronaler Plastizität", d.h. Vorgänge, bei denen funktionelle Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt, andere hingegen gelockert werden.

Bisherige Studien wiesen nach, dass sowohl REM- als auch Non-REM-Schlaf einen positiven Effekt auf Lernprozesse haben.
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Langsamwellige Aktivität zeigt Schlafbedürfnis an
Während der Non-REM-Periode tritt ein besonderes Erregungsmuster von Nervenzellen auf, das per EEG sichtbar gemacht werden kann und als langsamwellige Aktivität ("slow wave activity", kurz: SWA) bezeichnet wird. Der Anteil der SWA-Signale ist besonders zu Beginn des Schlafes hoch und sinkt dann bis zum Aufwachen auf sein Minimalniveau. Daher werden die Signale mitunter als Maß für die Menge an synaptischen Umbauten - aber auch als Maß für die notwendige Energieregeneration interpretiert.
->   Näheres zum Abfall der SWA-Signale (Uni Zürich)
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Unterscheidung zwischen Hypothesen nicht einfach
Wie Ilana Hairston und Robert Knight von der University of California in einem Begleitkommentar ausführen, ist es gar nicht einfach, zwischen den Vorhersagen der beiden Hypothesen zu unterscheiden.

Denn beide prognostizieren, dass genau in jenen Hirnregionen langsame Hirnstromwellen auftreten, die im Wachzustand besonders beansprucht wurden. Denn: Lernen ist ein energiezehrender Prozess, der sich außerdem durch Veränderung der Neuronenverbindungen manifestiert.

Allerdings sagt nur die Lern-Hypothese voraus, dass solche Aktivitätsmuster zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten führt, was wiederum im Experiment überprüft werden kann. Genau das haben nun Reto Huber und Mitarbeiter getan.
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Der Versuch
Für die Studie mussten zwölf Probanden am Computer einen Bildschirmzeiger (Cursor) per Maus auf einen Zielpunkt hinbewegen. Ohne ihr Wissen verfälschte der Computer die Bewegungsrichtung des Bildschirmzeigers leicht, so dass die Probanden dies mit einer veränderten Bewegung kompensieren mussten.
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Hirnstromwellen zeigen lokale Lerneffekte an
 
Bild: Nature

Huber und sein Team zeichneten dann die Hirnstromaktivitäten der schlafenden Probanden auf. Ergebnis: "Wir sahen größere langsame Hirnstromwellen in der vom Test beanspruchten Hirnregion - und nur dort", kommentiert Huber die Studie.

Der entscheidende Punkt an diesem Ergebnis ist also, dass der Schlaf tatsächliche lokale Wirkungen entfaltet, genau so, wie es von den Hypothesen vorausgesagt wurde.

Für die Lern-Hypothese spricht indes, dass Probanden, die den Test am Besten meisterten, während der Nacht besonders hohe langsamwellige Aktivität zeigten.
Warum schläft das ganze Hirn?
Wie Ilana Hairston und Robert Knight betonen, müsse nun geklärt werden, warum sich notwendigerweise das ganze Gehirn in einem Schlafzustand befindet und nicht etwa nur jene Regionen, die besonders durch Lernvorgänge beansprucht wurden.
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Literaturtipp
Der Begleitartikel "Neurobiology: Sleep on it" von Ilana Hairston und Robert Knight erschien im Fachmagazin "Nature" (Band 430, S. 27 - 28, Ausgabe vom 1.7.04).
->   Zum Originalartikel (kostenpflichtig)
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Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Halbaffen halten Winterschlaf - bei gößter Hitze (24.6.04)
->   Lernen im Traum: Forschung bringt Licht ins Dunkel (12.5.04)
->   Studie: Die Gene sind auch im Schlaf aktiv (17.2.04)
->   Gedächtnis: Schlafen für die grauen Zellen (19.1.04)
->   Das Stichwort Schlaf im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010