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Anti-Appetit-Hormon: Streit um Wirkung entbrannt  
  Ein vor zwei Jahren als Durchbruch gegen Fettleibigkeit gefeiertes Darmhormon ist möglicherweise wirkungslos. Ernährungswissenschaftler veröffentlichen nun Studienergebnisse, die damalige Erfolgsberichte über das Sättigungshormon PYY(3-36) widerlegen sollen. Die Entdecker der nun bezweifelten Hormonwirkung werten indes diese Resultate - wenig überraschend - als nicht überzeugend.  
Ein internationales Expertenteam unter Führung von Matthias Tschöp vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke testete die Wirkung des Hormons unter Anwendung neuester Methoden der Appetit- und Adipositas-Forschung bei Nagern.

"Überraschenderweise konnte in zahlreichen verschiedenen Versuchsanordnungen keinerlei Hemmung von Futteraufnahme oder Gewichtszunahme nach akuter oder chronischer Applikation festgestellt werden", erklärte das Institut.
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Die Studie mit dem Titel "Physiology: Does gut hormone PYY3-36 decrease food intake in rodents?" von M. Tschöp et al. erschien auf der Website der Fachzeitschrift "Nature" (doi:10.1038/nature02665).
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Fettleibigkeit: Hormon als neues Wundermittel?
PYY(3-36) wurde vor knapp zwei Jahren als Durchbruch in der Adipositas-Forschung gefeiert worden. Weltweit haben damals Wissenschaftler und Öffentlichkeit die Arbeit als Meilenstein auf dem Weg zu einer wirksamen und verträglichen Therapie der Adipositas angesehen.

Weitere Versuche an Menschen schienen die ersten Ergebnisse zu bestätigen. Die New York Times etwa berichtete vor gut einem halben Jahr über einen Nasenspray mit dem Wirkstoff PYY 3-36, der in London an menschlichen Probanden getestet worden sei und deren Appetit gezügelt habe.

Hormon reduziert Appetit um ein Drittel (7.8.02)
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Die ursprüngliche Studie "Gut hormone PYY3-36 physiologically inhibits food intake" von Rachel L. Batterham et al. erschien ebenfalls in "Nature" (Band 418, S.650-4, Ausgabe vom 8.8.02).
->   Zum Original-Abstract
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Neue Studie: Gegenteilige Ergebnisse
Die neue Studie kommt jetzt jedoch zu ganz anderen Resultaten. PYY 3-36 vermochte weder die Nahrungsaufnahme zu zügeln, noch führte es zur Gewichtsreduktion. Im Gegenteil: Vielfach nahmen die Tiere, die PYY 3-36 erhielten, sogar mehr zu als Tiere der Kontrollgruppe.

Man wisse allerdings nicht, woran das liegt, betonen die deutschen Ernährungswissenschaftler.

Die jetzt publizierten Daten seien deshalb überzeugender, weil die Versuche unabhängig voneinander in sieben verschiedenen Universitäts-Laboratorien und fünf Forschungseinrichtungen der pharmazeutischen Industrie durchgeführt wurden, so die Potsdamer Forscher.
->   Mehr zu PYY(3-36) bei Wikipedia
Auf "Sackgasse der Forschung" hinweisen
Die Autoren der aufwendigen Studie hätten eigentlich beabsichtigt, die Forschung zum Therapieprinzip PYY(3-36) voranzutreiben, erklärte das Institut. Sie hätten die negativen Ergebnisse nicht erwartet.

Sie schlössen nicht aus, dass es besondere, in der ersten Publikation nicht beschriebene Bedingungen gebe, unter denen das Hormon die Nahrungsaufnahme hemmt; damit wäre es zum therapeutischen Einsatz aber wenig geeignet.

Mit der Publikation der neuen Daten sollten deshalb Adipositas- und Diabetesforscher weltweit "auf eine potenzielle Sackgasse auf dem schwierigen Weg zu einem wirksamen und sicheren Adipositasmedikament aufmerksam gemacht werden".
Autoren der nun umstrittenen Studie wenig beeindruckt
Die Autoren der nun in Frage gestellten Studie aus dem Jahr 2002 interpretieren die aktuellen Ergebnisse naturgemäß ein wenig anders. Rachel L. Batterham und ihre Kollegen vom Imperial College argumentieren in einer - ebenfalls in Nature veröffentlichten - Replik, dass die neuen Resultate geringe Bedeutung hätten.

Und zwar deswegen, da die Versuchstiere im Rahmen der aktuellen Untersuchung starkem Stress ausgesetzt worden seien. Das weise lediglich darauf hin, dass das Fressverhalten stark von Umweltbedingungen abhänge. Die grundsätzliche Wirksamkeit des Hormons sehen die britischen Forscher indes nicht in Frage gestellt.
->   Deutsches Institut für Ernährungsforschung
->   Das Stichwort Fettleibigkeit im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010