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Komplexe Entwicklung des Immunsystems  
  Wenn es um jene Attribute geht, die die Gruppe der Säugetiere - zumindest in den Augen von Biologen - so besonders machen, dann wird in der Regel vor allem das hoch entwickelte Immunsystem angeführt. Doch eine neue Studie deutet nun darauf hin, dass die Säuger - und damit auch der Mensch - diesbezüglich gar nicht so einzigartig sind, wie man bislang geglaubt hat.  
Forscher um Max D. Cooper von der University of Alabama haben beim Neunauge - einem fischähnlichen Vertreter der Wirbeltiere - eine Art adaptives Immunsystem entdeckt, dessen Bausteine ganz anders funktionieren als die bei Säugetieren bekannten Antikörper.

Diese Entdeckung öffnet den Immunologen eine völlig neue Welt. Denn zuvor hatte man angenommen, dass es nur eine Methode der adaptiven körpereigenen Abwehr gab - und zwar "unsere".
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Die Studie "Somatic diversification of variable lymphocyte receptors in the agnathan sea lamprey" ist das Cover-Thema des aktuellen "Nature", Bd. 430, Seiten 174-180, Ausgabe vom 8. Juli 2004 (doi:10.1038/nature02740).
->   Abstract der Studie in "Nature"
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Äußerst flexibel: Adaptives Immunsystem
Säugetiere - und damit auch der Mensch - verfügen neben einer angeborenen und im Laufe des Lebens unveränderbaren Abwehrmechanismus auch über ein so genanntes adaptives Immunsystem:

Diese körpereigene Abwehr ist enorm flexibel, wenn es um Reaktionen auf all die möglichen Gefahren aus der Umwelt geht, die dem Organismus zu Leibe rücken wollen. Denn sie kann ganz individuell auf Eindringlinge wie Viren oder Bakterien reagieren, indem sie spezielle Antikörper produziert.
Pathogene werden zur Zielscheibe
Die Eiweißstoffe - so genannte Immunglobuline - binden an die körperfremden Substanzen und machen sie so zur Zielscheibe für andere Zellen des Immunsystems. Die solchermaßen kommunizierte Parole lautet: Die Komplexe aus Antikörper und Pathogen müssen zerstört werden.
Neunauge im Blickpunkt der Forscher
Der genaue Ursprung jenes hoch entwickelten Abwehrmechanismus liegt allerdings nach wie vor im Dunkel der evolutionären Geschichte verborgen. Um ihn aufzuklären, forschen Wissenschaftler bereits seit einigen Jahren am Neunauge.

Dieser fischähnliche (zur Gruppe der Rundmäuler gehörende) Vertreter der Wirbeltiere gilt als letztes lebendes Relikt von Arten, die vor mehr als 400 Millionen Jahren gelebt haben.

Und da das Neunauge (Petromyzon marinus) somit als sehr entfernter "früher Verwandter" des Menschen gelten kann, hoffte man, Hinweise auf die Entstehung des adaptiven Immunsystems zu finden.
->   Mehr Informationen zu Neunaugen (wikipedia.org)
Primitive Vorstufe der Körperabwehr?
Genauer gesagt: Die Forscher erwarteten eigentlich, eine Art primitive Vorstufe bei den Neunaugen zu entdecken. Schließlich zeigen die Tiere zumindest einige Charakteristika eines adaptiven Immunsystems - etwa Abstoßungsreaktionen gegen Hauttransplantate.
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Von Wirbeltieren mit und ohne Kiefer
Wie fast alle Wirbeltiere verfügt der Mensch über einen Kiefer. Die frühen kieferlosen Formen jedoch sind fast komplett ausgestorben. Eine Ausnahme ist eben das Neunauge. Als die ältesten Vertreter von Wirbeltieren mit Kiefer gelten wiederum die Haie. Und bei ihnen findet sich bereits gut ausgereift das ominöse adaptive Immunsystem.
->   Mehr zu Wirbeltieren (wikipedia.org)
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Keine Antikörper zu finden
Hinweise auf die Produktion von Antikörpern konnten hingegen trotz aller Anstrengung beim Neunauge nicht gefunden werden. Die Forscher um Max Cooper fragten sich also, ob diese altertümlichen Vertebraten fremde Moleküle vielleicht auf bislang unbekannte Art und Weise attackieren könnten.

Um diese These zu testen, injizierten sie Neunaugenlarven einen Cocktail aus Antigen-Molekülen und verglichen anschließend die solchermaßen "geimpften" Tiere mit unbehandelten Artgenossen.
Gen-Sequenz für Pathogen-Protein
Das Ergebnis der Studie: Die den Pathogenen ausgesetzten Tiere produzierten tatsächlich bis zu 13 mal mehr Kopien einer genetischen Sequenz, die laut den Wissenschaftlern ein an die fremden Substanzen bindendes Protein generiert.

Dieser Eiweißstoff ist jedoch gänzlich anders als die von Säugetieren wie dem Menschen bekannten Antikörper.

Mit anderen Worten: Auch bei Neunaugen finden sich Mechanismen, um Antigene zu erkennen. Nur bedienen sich die Wirbeltiere dabei ganz anderer grundlegender Bausteine.
Wohl keine geradlinige Entwicklung
Die Resultate zeigen, dass sich das Immunsystem nicht geradlingig aus einem primitiveren System entwickelt haben kann - die Ursprünge unserer Körperabwehr sind vielmehr sehr viel komplexer.
->   University of Alabama at Birmingham
->   Alles zum Stichwort Immunsystem in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010