News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
UNO-Bericht: "Kulturelle Freiheit" als Entwicklungsfaktor  
  Die ökonomische und soziale Entwicklung von Ländern hängt nicht zuletzt von der kulturellen Vielfalt und dem politischen Umgang mit ihr ab. Diesen Zusammenhang beleuchtet der am Donnerstag erschienene Weltentwicklungsbericht des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP).  
Ihm zufolge überschneidet sich die Ausgrenzung von Menschen wegen ihrer Kultur und Lebensweise oft mit sozialer Benachteiligung. Konkrete Vorschläge der UN-Autoren zur Entwicklung "multikultureller Demokratien": mehrfache Staatsbürgerschaft und ein Recht auf Zweisprachigkeit. "Kulturelle Freiheit" sei aber kein Recht auf die Verletzung von Menschenrechten.
Multikulturelle Herausforderung
"Wenn die Welt die Millenniums-Entwicklungsziele erreichen und letztlich die Armut beseitigen soll, muss sie zuerst erfolgreich die Herausforderung bewältigen, integrative, kulturell vielfältige Gesellschaften zu schaffen", betont UNDP-Administrator Mark Malloch Brown im Vorwort der Veröffentlichung.

Der Herausforderung der kulturellen Vielfalt sollte laut Brown nicht ausschließlich auf politischer und gesetzgeberischer Ebene begegnet werden. "Wenn sich die politische Kultur nicht verändert, hat dies beunruhigende und unübersehbare Konsequenzen", betont Brown.

Die Gleichgültigkeit gegenüber den Sorgen und Nöten marginalisierter Gruppen führe nicht nur zu Ungerechtigkeit, sondern auch "zu echten Problemen für die Zukunft".
...
UNO-Entwicklungsbericht 2004
Alljährlich legt das UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) seinen "Bericht über die menschliche Entwicklung" vor. In der aktuellen Studie werden weltweit "dramatische Fortschritte" aufgezählt, vor allem was die Erhöhung der Lebenserwartung und die Bekämpfung des Analphabetentums in den Entwicklungsländern betrifft. Aber: In 46 Ländern sind die Menschen heute ärmer als 1990. Österreich liegt laut dem UNDP-Bericht nach wie vor im Spitzenfeld der am meisten entwickelten Staaten der Welt.
->   Mehr dazu (15.7.04)
...
Ethnische Identität keine Konkurrenz zum Staat
Es gelte, fünf Mythen zu entlarven, heißt es in dem Bericht. So stünden ethnische Identitäten der Menschen beispielsweise nicht in Konkurrenz zur deren Verbundenheit mit dem Staat.

"Ein Gefühl der Identität und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die über gemeinsame Werte und andere kulturelle Bindungen verfügt, ist für den Einzelnen sehr wichtig. Jedes Individuum kann sich jedoch mit vielen unterschiedlichen Gruppierungen gleichzeitig identifizieren", heißt es in dem Text.
Kulturunterschiede keine Konfliktursache per se
Zum zweiten gebe es "kaum empirische Belege dafür, dass kulturelle Unterschiede und Wertekollisionen per se Ursachen gewaltsamer Auseinandersetzungen" darstellten. Richtig sei jedoch, dass es seit dem Ende des Kalten Krieges zwischen ethnischen Gruppierungen innerhalb eines Staates zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen sei.

Kulturelle Unterschiede allein seien dafür nach Expertenmeinung jedoch nicht der ausschlaggebende Faktor.
"Tradition" kein Grund für Menschenrechtsverletzung
Im Hinblick auf den Umgang mit kulturellen Gebräuchen und Traditionen hält der Bericht fest, dass "Kultur", "Tradition" und "Authentizität" nicht mit "kultureller Freiheit" gleichzusetzen seien: "Sie stellen keine akzeptablen Gründe dar, warum man Praktiken zulassen sollte, die Einzelnen Chancengleichheit versagen und ihre Menschenrechte verletzen."

Wer kulturelles Entgegenkommen fordere, "sollte sich selbst an demokratische Grundsätze und an die Zielsetzung von menschlicher Freiheit und Menschenrechten halten".
Ausgegrenzt wird vielfältig
Ausgrenzung in Bezug auf die Lebensweise überschneidet sich laut dem Bericht häufig mit sozialer, wirtschaftlicher und politischer Benachteiligung. In Serbien-Montenegro hätten beispielsweise 30 Prozent aller Roma-Kinder keine Grundschule besucht.

In Mexiko liege das Einkommen von 81 Prozent der Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen unter der Armutsgrenze - gegenüber 18 Prozent bei der Gesamtbevölkerung.
Spannungsabbau durch föderale Regelungen
Zum Zwecke eines flexibleren Umgangs des Staates mit den Bedürfnissen verschiedener Gruppen befürwortet der Bericht "asymmetrisch föderale Regelungen" wie jene in Spanien, wo beispielsweise den Basken und anderen Volksgruppen in Bereichen wie Bildung, Sprache und Kultur Autonomiebefugnisse eingeräumt würden.

Derartige Systeme hätten in Ländern, in denen es "historisch bedingt separatistische Bewegungen" gebe, nachweislich einen entscheidenden Beitrag zur Auflösung von Spannungen geleistet.
Vorschläge: Mehrfache Staatsbürgerschaft, Zweisprachigkeit
Der UNDP-Bericht gebe "Anlass für viele kontroverse Diskussionen", sagte die Koordinatorin des UNO-Entwicklungsprogrammes (UNDP) in Lettland, Gabriele Köhler, bei der Vorab-Präsentation der Veröffentlichung am Montag in Wien.

So schlage der Bericht etwa eine mehrfache Staatsbürgerschaft vor und plädiere außerdem dafür, Mehrsprachigkeit zu verankern und Zugang zu Bildung in der Muttersprache zu schaffen.

Entsprechende Studien in Lateinamerika zeigten, dass zweisprachiger Unterricht "zu weniger Klassenwiederholungen, geringeren Abbruchquoten und höheren Bildungsabschlüssen indigener Kinder" führe, heißt es dazu in dem Bericht.
Mehr zu den UNDP-Weltentwicklungsberichten in science.ORF.at:
->   2003: Armutszeugnis der weltweiten Entwicklung (8.7.03)
->   2002: Demokratie nimmt zu - Armut auch (24.7.02)
->   2001: Gentechnik gegen den Welthunger? (10.8.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010