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Warum die Politik die Nähe des Sports sucht  
  Lance Armstrong hat Sportgeschichte geschrieben: Er ist der erste Mann, der die Tour de France sechs Mal gewinnen konnte. Ob auch George W. Bush das Rennen um die US-Präsidentschaft macht, ist noch offen. Gewiss ist, dass er zur Erlangung seines Ziels u.a. die Nähe des Sports sucht, um von dessen "Glaubwürdigkeit" und nationaler Symbolkraft zu profitieren. Warum das nicht nur in den USA eine beliebte Strategie ist, untersucht der Politikwissenschaftler Georg Spitaler von der Uni Wien in einem Gastbeitrag.  
Politische Sportfans - nicht nur im Weißen Haus
Von Georg Spitaler

Amerikanischer Präsidentschaftswahlkampf 2004: Während Lance Armstrong gerade seinem sechsten Tour-de-France Sieg entgegenfährt, beantwortet George W. Bush an Bord der Air Force One zwischen zwei Wahlkampfstationen Fragen der Journalisten. "Er wird gewinnen und ich werde gewinnen. Um diese zwei Rennen muss man sich keine Sorgen mehr machen".

Es war nicht das erste Mal, dass Präsident Bush eine Verbindung mit seinem texanischen Landsmann Armstrong beschwor. Bereits im August 2001 empfing er den Radchampion öffentlichkeitswirksam im Weißen Haus, um ihm zu seinem damals dritten Toursieg zu gratulieren.
Volkstümlichkeit und Authentizität
Die sportlichen Bezugnahmen George W. Bushs beschränken sich nicht auf dieses eine Beispiel. Vielmehr gehört seine öffentliche Darstellung als 'sportlicher' und sportinteressierter Präsident zu seiner Inszenierung als volkstümlicher Politiker und 'authentischer' politischer Repräsentant.
Glaubwürdige Sportler, inszenierte Politiker
In Europa wird eine solche bewusste Nähe zum Sport oft mit den antipolitischen Strategien populistischer Parteien in Verbindung gebracht. Doch auch im politischen System der USA ist die politische Bezugnahme auf sportliche Popularkultur scheinbar nahezu unerlässlich. Auch hier existieren dieselben gegensätzlichen medialen Darstellungen von sportlichen und politischen RepräsentantInnen.

Gelten Sportstars meist als 'glaubwürdig' und beliebt, sieht sich die Politik dem Vorwurf der Inszenierung ausgesetzt. Die Leidenschaften und positiven Imagewerte des Sports stellen ein wichtiges Reservoire für jene Politiker dar, die eine 'populare' Verbindung zum Wahlvolk suchen.
Symbolische Vereinigung der Nation
Nur selten erreichen PolitikerInnen denselben Grad an Identifikation mit ihrem 'Publikum' wie die beliebten RepräsentantInnen des Sports. Wo politische Vorgänge und Abläufe gerade durch ihre 'verborgenen' Aspekte oft undurchschaubar bleiben, sind die Taten der Sportstars vordergründig nachvollziehbar.

Wo das politische Feld durch Interessen und Konflikte gespalten wird, können die Repräsentanten im Sport die Nation symbolisch vereinen.
Vorstellung von 'unpolitischem Sport'
Anders als die meisten PolitikerInnen werden SportlerInnen oft genug mit dem Signum der Authentizität bzw. der 'authentischen Vertretung' belegt. Gefahr birgt in dieser Hinsicht nur der Verdacht des Dopings, der gerade im Radsport breiter diskutiert wird als in anderen Sportarten.

Eine der Voraussetzungen dieser unterschiedlichen medialen Bilder liegt in der Vorstellung vom 'unpolitischen Sport'. Wohl auch deshalb bleiben die politischen Wortmeldungen oder nachsportlichen politischen Karrieren prominenter AthletInnen - wie jene des 'Körper-Politikers' Arnold Schwarzenegger - eher selten.
Ausnahmesportler Armstrong: "Mitte-links"
Lance Armstrong ist allerdings auch in dieser Hinsicht ein Ausnahmesportler: So bezeichnete er George W. Bush zwar als Freund und beschrieb ihn als persönlich sympathischen und zugänglichen Menschen, in politischen Fragen definierte sich der Irak-Krieg-Gegner in einem Times-Interview allerdings als "Mitte-links".
Überschneidungen von Politik und Sport
Neben dem Einsatz von Sportmetaphern wie jener vom politischen Rennen nützte der politische Kandidat George W. Bush noch eine Reihe von anderen Überschneidungen zwischen politischer und sportlicher Sphäre.

Dazu zählen etwa symbolische Auftritte in den Arenen des Sports: Zeitgleich mit Jörg Haiders Kärntner Landtagswahlkampf 2004, der bekanntlich mit dem Slogan 'Pole Position für Kärnten' geführt wurde, startete Präsident Bush seine Kampagne zur Wiederwahl mit einem Besuch der nordamerikanischen NASCAR-Serie in Daytona, Florida: Wiederum eingeflogen mit der Präsidentenmaschine Air Force One, eröffnete Bush, dessen Vater bereits als Meister der sportlichen 'Kabinen-Sprache' gegolten hatte, das traditionelle Rennen vor 200.000 BesucherInnen.
Republikanische NASCAR-Dads
Die medialen Beobachter waren sich einig, dass die demokratischen Herausforderer hier auf verlorenem Posten gestanden hätten, galten doch die vor allem aus dem Süden der USA stammenden, in erster Linie weißen, männlichen NASCAR-Fans in der Sprache der Meinungsforschung vorwiegend als Bush-WählerInnen. Solche 'NASCAR-Dads' sprachen im Fernseh-Interview von ihrem Präsidenten als "down to earth guy".
Sportliche Vereinspräsidenten und öffentliche Läufer
Ähnlich wie der Kärntner Landeshauptmann Haider (FC Kärnten) betätigte sich George W. Bush schon als Gouverneur von Texas auch als sportlicher Vereinspräsident: Bei seinem Major League Baseball-Team der Texas Rangers machte er es sich dabei zur Angewohnheit, nicht in der 'owner's box', sondern unter den 'einfachen Fans' zu sitzen.

George W. Bush, der auch als öffentlicher Läufer bekannt ist, "lebt und atmet Sportkultur" - so zumindest der Befund der amerikanischen Politologen Darrell M. West und John Orman.
Buhlen um Sportstars
Im heurigen US-Wahlkampf suchten aber beide Präsidentschaftskandidaten die öffentliche Unterstützung sportlicher Celebrities. Tom Brady, der Quarterback des Superbowl-Siegers New England Patriots, wurde dabei sowohl von John Kerry, als auch George W. Bush umworben.

Kerry selber, der am Beginn seiner Studienzeit im Hockey-Team von St. Paul's aufs Eis lief, versuchte ebenfalls vom sportlichen Mehrwert zu profitieren und stellte seine körperliche Fitness im Rahmen eines Benefiz-Spiels mit ehemaligen NHL-Stars der Boston Bruins unter Beweis.
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Literatur zum Thema:
Walk, Stephan R. (1995): The Footrace Metaphor in American Presidential Race, in: Sociology of Sport Journal 1 (1995) 36-55
West, Darrell M./John Orman (2003): Celebrity Politics, Upper Saddle River, N.J.
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Schon Reagan liebte es sportlich
Institutionalisiert wurden die Besuche prominenter Sportstars im Weißen Haus bereits während der Amtszeit Ronald Reagans. Schon in den frühen Phasen seiner Präsidentschaft gehörte die Teilinszenierung als sportlicher Präsident untrennbar zu seiner Darstellung als starker, maskuliner und moralischer Führer: Hier verband sich die Medienfigur des Schauspielers Reagan mit den Repräsentationen des politischen Vertreters.

Reagan hatte 1940 im Football-Film Knute Rockne All American den Spieler George 'the Gipper' Gipp verkörpert, eine Rolle, auf die er in seinen politischen Reden immer wieder Bezug nahm. Der Ausspruch "Win one for the Gipper" wurde so auch zum politischen Slogan. Im Hinblick auf die Vorstellung von 'authentischer Vertretung' ist es durchaus bezeichnend, dass in den Nachrufen auf den im Juni 2004 verstorbenen Ex-Präsidenten gerade die 'Glaubwürdigkeit' Reagans hervorgehoben wurde, die ihm, trotz - oder wegen - seines früheren Berufs als Schauspieler angehaftet hätte.
Aus "gesellschaftlichem Wettlauf" als Sozial-Vorbild ...
Generell gehörten auch andere Sportmetaphern zur politischen Sprache Ronald Reagans. So beschrieb der Sportsoziologe Stephan Walk, wie die zentrale Metapher des gesellschaftlichen Wettlaufs (Footrace) bzw. die Figur des eigenverantwortlichen Läufers in dieser Zeit zum neuen Vorbild staatlicher Sozial-Politik wurde.

Diese Metapher des footrace war bereits knappe 20 Jahre früher von Präsident Lyndon B. Johnson in die politische Debatte eingeführt worden; damals als Argument für Affirmative Action bzw. die Notwendigkeit, allen BürgerInnen nicht nur die Möglichkeit zu geben, gleichzeitig "an den Start" zu gehen, sondern diese Chancengleichheit auch als "Ergebnis" - am Arbeitsplatz, in der Ausbildung etc. - des gesellschaftlichen Wettkampfs anzustreben.
... zur Betonung von individueller Verantwortung
Im Kontext der Reaganomics wurde diese Metapher entscheidend umformuliert. In einer Reihe von Verweisen auf die Helden des American Football oder das siegreiche amerikanische Eishockey-Team der Olympischen Spiele 1980 definierte Reagan die gemeinsame Anstrengung für ein nationales Ziel, den individuellen Einsatz und das Talent des Einzelnen als Grundlage für sportlichen und gesellschaftlichen Erfolg.

In schwierigen Zeiten müssten sich alle TeilnehmerInnen dieses Rennens auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen - und nicht auf die ordnende staatliche Hand. Nicht die Start- oder die Ziellinie, sondern der Läufer selber, stand so nun im Mittelpunkt der sportlichen Versinnbildlichung.
Gewinnt auch Bush ein weiteres Mal?
Wenn Lance Armstrong am kommenden Wochenende im gelben Trikot in Paris einfährt, wird sein Sieg wohl mit ähnlichen persönlichen Tugenden erklärt werden. Ob auch George W. Bush im Herbst zum zweiten Mal als Sieger durchs Ziel geht, wird sich erst am 2.11.2004 zeigen.
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Georg Spitaler ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und verbrachte das Sommersemester 2004 mit einem Stipendium des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) an der Duke University, N.C.
->   Institut für Politikwissenschaft, Uni Wien
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->   Duke University
->   IFK
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Georg Spitaler: Authentische Skistars, inszenierte Politiker (15.3.03)
 
 
 
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01.01.2010