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Erster Weltkrieg als Debakel der Diplomatie  
  Am 28. Juni 1914 war der österreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo ermordet worden: Sah es zunächst nicht nach einem drohenden Weltenbrand aus, begann einen Monat später der bis dahin blutigste Krieg der Menschheitsgeschichte. Nicht der Thronfolgermord löste den Krieg aus, sondern die Risikopolitik der Juli-Krise - gefolgt von einem nationalistischen Taumel in den beteiligten Ländern.  
"Unfall der Geschichte"
"Jeder hat auf seiner Ebene Schuld auf sich geladen", sagt der deutsche Historiker Helmut Grieser. Die Österreicher hätten einen regionalen Krieg gesucht, Berlin, Moskau und Paris einen kontinentalen, den Weltkrieg aber habe keiner gewollt: "Quasi ein Unfall der Geschichte."

Auch andere Historiker kommen zu dem Schluss, dass niemand diesen totalen Krieg herbeigewünscht habe. Zitiert werden oft die Worte des späteren britischen Premiers David Lloyd George: "Die Nationen sind in den Krieg hineingeschlittert."
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Stefan Zweigs Zeugnis: Begeisterung der Bevölkerung
In seinem Buch "Die Welt von Gestern" schildert der Schriftsteller Stefan Zweig die Momente der Mobilmachung in Österreich im August 1914: "Der erste Schrecken über den Krieg, den niemand gewollt, .... war umgeschlagen in einen plötzlichen Enthusiasmus. Aufzüge formte sich in den Straßen, plötzlich loderten überall Fahnen, Bänder und Musik, die jungen Rekruten marschierten im Triumph dahin, und ihre Gesichter waren hell, weil man ihnen zujubelte, ihnen, den kleinen Menschen des Alltags, die sonst niemand beachtet und gefeiert. ... Wie nie fühlten die Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: dass sie zusammengehörten."
->   Mehr zu dem Buch (3sat)
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Fritz Fischer: Deutschlands Griff nach der Weltmacht
Gegen die traditionelle Lehre im Sinn der Einschätzung von Lloyd George wandte sich der 1999 verstorbene Hamburger Historiker Fritz Fischer, der mit seinem Buch "Griff nach der Weltmacht" den entscheidenden Anstoß zu einer Neudiskussion der deutschen Schuld am Kriegsausbruch gab.

Die deutsche Regierung habe einen "erheblichen Anteil" an der Auslösung des Ersten Weltkriegs gehabt, indem sie mit großem Risiko gespielt und die Konfrontation mit England, Frankreich und Russland auf sich genommen habe.
->   Mehr zu Fischers These ... (Zeit.de)
->   ... und zur Kriegsschulddebatte (Wikipedia)
Deutsche Anfangserfolge
Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Anonym: Vereidigung der Truppe durch Kommandant
FML Peter Hofmann in Narajov, Ostgalizien, November 1916
Deutsche, Franzosen, Briten und Österreicher empfanden zu Beginn eine Art Kriegseuphorie. Die Soldaten zogen blumengeschmückt aus den Städten. Die Deutschen überfielen Luxemburg und das neutrale Belgien und hatten zunächst beträchtliche Erfolge. Hunderte Kilometer wälzten sich ihre Truppen nach Frankreich.

Doch im September 1914 wurden sie durch das "Wunder an der Marne" gestoppt. Mit dem "Schlieffen-Plan" wollten die Deutschen Paris weiträumig umfassen. Dafür waren ihre Truppen allerdings von Anfang an zu schwach. Zu Gunsten der Ostfront wurden sie weiter ausgedünnt.
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Nationalistisches Fieber
Stefan Zweig in die "Die Welt von Gestern": "Allmähliche wurde es in diesen ersten Kriegswochen von 1914 unmöglich, mit irgend jemandem ein vernünftiges Gespräch zu führen. Die Friedlichsten, die Gutmütigsten waren von dem Blutdunst wie betrunken. Freunde, die ich immer als entschiedene Individualisten und sogar als geistige Anarchisten gekannt, hatte sich über Nacht in fanatische Patrioten verwandelt und aus Patrioten in unersättliche Annexionisten. ... Kameraden, mit denen ich seit Jahren nie einen Streit gehabt, beschuldigten mich ganz grob, ich sei kein Österreicher mehr; ich solle hinübergehen nach Frankreich oder Belgien. ... Da blieb nur eins: sich in sich selbst zurückziehen und schweigen, solange die andern fieberten und tobten."
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Sterben in den Schützengräben
"Der Krieg war von Anfang an kaum gewinnbar", so Grieser. Berlin habe zu viel Kraft für die Flotte aufgebracht. Das Heer habe 40 Prozent der Rekruten nicht einsetzen können. Diese hätten an der Marne gefehlt. Zwar sehen die Deutschen schon die Silhouette des Eiffelturms, doch die Verteidiger halten stand. Zum ersten Mal in der Geschichte erleben Kämpfer beider Seiten die Schrecken des Stellungskrieges.

Millionen Soldaten standen sich gegenüber, eingegraben, geplagt von Schlamm, Leichengeruch und Trommelfeuer. Millionen Granaten gingen auf die Gräben nieder. Viel mehr Männer starben im Stacheldraht, niedergemäht vom erstmals in großer Zahl eingesetzten Maschinengewehr, das den Krieg prägte. Bei den großen Offensiven starben Zehntausende innerhalb weniger Stunden. Den Frontverlauf änderten sie kaum.
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Ö1-Programmhinweis
Dem Beginn des Ersten Weltkriegs widmet sich auch ein Ö1-Journal-Panorama: Dienstag, 27. Juli 2004, 18:25 Uhr.
->   Mehr dazu
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Bevölkerungen erhob sich gegen Monarchien
Im letzten Kriegsjahr führte eine Offensive die Deutschen noch einmal bis vor Paris. Doch Briten und Amerikaner stärkten die Reihen und den Kampfgeist der Verteidiger. Während jeden Monat 300.000 gut ausgerüstete Männer über den Atlantik kamen, hatten die Deutschen jede Offensivfähigkeit verloren. Ihr Sieg im Osten kam zu spät.

Beendet wurde der Krieg an der durch schreckliche Hungerwinter geschwächten "Heimatfront". Die Matrosen der deutschen Hochseeflotte erhoben sich, ein Funke im Pulverfass. Wie zuvor in St. Petersburg stürzten in Berlin und Wien die Monarchien.

Das Osmanische Reich zerfiel. Die Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain und Trianon beendeten zwar den "Großen Krieg", sie legten zugleich aber die Saat für den Zweiten Weltkrieg.
->   Themenportal 1. Weltkrieg
->   Der Weltkrieg 1914-1918 (Deutsches Historisches Museum Berlin)
->   World War One (BBC)
->   The World War I Document Archive
->   firstworldwar.com
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Österreichische Kriegsfotografie 1914-1918 (14.5.04)
 
 
 
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01.01.2010