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Einheitliche Rechtschreibung begann mit Buchdruck  
  Derzeit wird wieder über die Rechtschreibreform diskutiert. Kritiker fordern eine Rückkehr zur alten Schreibung. Dabei gab es einst ein fröhliches Nebeneinander, erst mit dem Buchdruck änderte sich dies.  
Der romantische Dichter und Denker Novalis hat sich vor rund 200 Jahren viel mit "Filosofie" befasst. Wer heute seine Studienbücher liest, wundert sich über die deutsche Schreibweise mit "f". Sie scheint den altgriechischen Ursprung der "Liebe zur Weisheit" (Philo-Sophia) zu verdecken.

An Weisheit hat es Novalis dabei sicher nicht gemangelt. Ob das auch für die heutigen Rechtschreibreformer gilt, ist umstritten. Sie trauten sich jedenfalls nicht, die erhabene "Philosophie" einzudeutschen - im Unterschied zur "Photographie", die sich jetzt "Fotografie" schreibt.
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Immer kompliziertere Rechtschreibregeln?
"Die Deppen unseres Fachs haben uns da etwas Schlimmes eingebrockt", sagt der Münsteraner Sprachwissenschafter Elmar Neuß. "Ich zweifle am linguistischen Verstand der Beteiligten. Dass wir jetzt 'im Großen und Ganzen' groß schreiben, obwohl es keine Substantive sind, ist Schwachsinn hoch drei." Neuß ist ein Experte für historische Linguistik und meint, dass das neue Regelwerk einer alten Regel folgt, die da lautet: "Die Rechtschreibregeln werden mit jeder neuen Reform immer komplizierter."
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Fröhliches Nebeneinander bis zum Buchdruck
Ursprünglich gab es ein fröhliches Nebeneinander. Bei der Entwicklung des Althochdeutschen im frühen Mittelalter lagen Lautgestalt und Schreibgestalt nahe beieinander. Die Mönche auf der Bodensee-Insel Reichenau folgten dabei einem anderen Dialekt als zum Beispiel die Mönche im Kloster Fulda.

Als Problem wurde das kaum empfunden. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1400-1468) entstand erstmals das Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtschreibung.
Österreichische "Anleitung zur Rechtschreibung"
1774, im selben Jahr, in dem Maria Theresia die "Allgemeine Schulordnung" erließ, erschien in Österreich auch eine "Anleitung zur deutschen Rechtschreibung. Zum Gebrauche der deutschen Schulen in den kaiserlich-königlichen Staaten".

Den Regeln wurde ein "alphabetisches Verzeichniß" von allerdings nur etwa 500 Wörtern angefügt, deren Schreibung Schwierigkeiten machte.
Buchdrucker sorgten für geregelte Schreibung
Bis ins 19. Jahrhundert waren es vor allem die Setzer und Buchdrucker, die für eine geregelte und einigermaßen einheitliche Schreibung sorgten. Eine verbindliche staatliche oder gar internationale Regelung gab es nicht.

Erst mit dem Aufkommen der Nationalstaaten und der verbesserten Schulbildung für breite Bevölkerungsschichten gelangte um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine einheitliche Rechtschreibung auf die politische Agenda.

Privatgelehrte, Sprachwissenschafter und Schulexperten überboten sich in den folgenden Jahren an Vorschlägen und eigenen Wörterbüchern.
Erste internationale Konferenz 1876 in Berlin
Die erste internationale Konferenz zur "Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung" tagte 1876 in Berlin. Sie führte allerdings zu keiner Gesamtlösung.

Die in den einzelnen Ländern üblichen Regelwerke - in Österreich gab es seit 1879 "Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung" - fanden einen starken Konkurrenten in Konrad Duden und seinem Wörterbuch, das 1880 erstmals auf den Markt kam.

Seit damals gibt es auch den Trend zu verschiedenen Schreibvarianten (Doppelformen), unter denen der Benutzer frei wählen kann.
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Zweite Orthographiekonferenz 1901 erfolgreich
Die zweite Orthographiekonferenz fand 1901 ebenfalls in Berlin statt. Das Ergebnis wurde ein Jahr später publiziert und trat am 1. Jänner 1903 auch in Kraft, die Schulen folgten mit dem Schuljahreswechsel am 1. April. Die ausdrückliche Ausrichtung der Konferenz auf Einheitlichkeit hatte aber auch ihren Preis: Einfachheit und Klarheit der Regeln blieben in vielen Bereichen auf der Strecke.
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Ältere Generation will nicht umlernen?
"Das öffentliche Geschrei liegt zum Teil daran, dass diejenigen, die die Rechtschreibung mal anders lernten, nicht umlernen wollen", sagt Neuß. "Auch nach 1901 hat die ältere Generation weiter nach den alten Regeln geschrieben. So etwas wächst sich aus."

Ohnehin diene die Orthografie eigentlich nur der Erleichterung des Lesens - nicht des Sprechens oder Schreibens. Heute sei das Ganze in erster Linie eine Frage des funktionierenden Schulsystems. Außerhalb der Schulen und Verwaltungsämtern kann ja im Prinzip jeder so schreiben wie er will.
Keine Verständigungsprobleme durch Nebeneinander
In früheren Jahrhunderten hat das Nebeneinander kaum jemanden gestört; es trat und tritt ohnehin meist nur an den Rändern der Sprache auf. Die gegenseitige Verständigung leidet nicht darunter. Wer zum Beispiel bei Novalis das Wort "Filosofie" liest, weiß sofort, was damit gemeint ist - obwohl es auch nach den neuen Schreibregeln falsch geschrieben ist.
->   science.ORF.at-Archiv zur Rechtschreibreform
 
 
 
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01.01.2010