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Beinahe menschlich: Fruchtfliegen im Flugsimulator  
  Das Gehirn des Menschen ist zu erstaunlichen Leistungen fähig - aber auch wesentlich kleinere Hirne "brauchen sich nicht zu verstecken". Bei der nur zwei Millimeter großen Fruchtfliege zum Beispiel funktioniert die Wiedererkennung optischer Eindrücke wie beim Menschen. Dies erwiesen Experimente, bei denen die Fliegen in einen Flugsimulator gesteckt wurden.  
Reinhard Wolf und Martin Heisenberg vom Biozentrum der Universität Würzburg und Kollegen aus Peking berichten über ihre Studie in der aktuellen Ausgabe von "Science".
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Shiming Tang, Reinhard Wolf, Shuping Xu und Martin Heisenberg präsentieren ihre Versuchsergebnisse unter dem Titel "Visual Pattern Recognition in Drosophila is invariant for Retinal Position" in "Science" (Bd. 305, S. 1020, 13. August 2004).
->   Science
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Die künstliche Welt des Flugsimulators
Bild: Reinhard Wolf
Der Flugsimulator
Die Neurogenetiker haben ihre Untersuchungen mit Hilfe eines ausgeklügelten Flugsimulators angestellt. Das Gerät ist computergesteuert und besteht aus einer zylinderförmigen Arena, deren Wand mit knapp 9.000 Leuchtdioden bestückt ist.

Damit haben die Forscher eine künstliche Umwelt aus verschiedenen Mustern und Farben erschaffen. Inmitten der Arena fixierten sie die Fliege mit einem Drahtbügel und befestigten sie an einem Messgerät (siehe Bild unten). Dieses erfasst ihre Absicht, sich zu bewegen, als physikalisches Drehmoment und speist die Daten in den Computer ein.
Virtual Reality für Fliegen
 
Bild: Reinhard Wolf

Die Software berechnet in Echtzeit, wie sich die Fliege beim gleichen Manöver im Freiflug gedreht hätte - und verschiebt dann die künstliche Umwelt um genau diesen Betrag um die Fliege herum. Das Insekt bekommt so den visuellen Eindruck, tatsächlich die Richtung geändert zu haben.

Die Flugbahn hin zu bestimmten Mustern, die ihm präsentiert werden, kann es nach Angaben der Forscher selbst bestimmen. Auf diese Weise lasse sich zeigen, dass die Fruchtfliege zum Beispiel ein aufrecht stehendes T von einem umgedrehten T unterscheiden kann - jedoch ohne eines der beiden Muster zu bevorzugen.
Drosophila lernt schnell
Wird die Fliege aber mit einem Hitzestrahl aus einem Infrarot-Laser immer dann bestraft, wenn sie zum Beispiel auf ein umgedrehtes T zufliegt, so lerne sie innerhalb von Sekunden, was sie tun kann, um nicht "gegrillt" zu werden: Sie fliegt nur noch auf das stehende T zu.

Nach nur vier Minuten Training vermeidet sie laut den Forschern Flüge in Richtung des umgedrehten T selbst dann, wenn die Hitze nicht mehr eingeschaltet wird. Sie habe also gelernt und kann die Muster wieder erkennen.
Widererkennungsmuster werden gespeichert
Reinhard Wolf folgert daraus, dass Fliegen die gesehene Umwelt nicht wie eine Fotografie im Gedächtnis speichern, sondern bestimmte Merkmale herausziehen, anhand derer sie ein Muster später wieder erkennen können. Das erfordere weniger Speicherplatz im Gehirn.

Insgesamt fünf solche Merkmale haben die Forscher bisher identifiziert: Den Schwerpunkt des Musters, die Neigung von Kanten, Größe, vertikale Dichteverteilung und Farbe.

Das aufrechte und das umgedrehte T unterscheiden die Tiere laut Wolf und Kollegen nicht anhand der Form, sondern durch die unterschiedliche Höhe des Musterschwerpunktes - nur diese Information werde im Insektengehirn gespeichert.
Wie beim Menschen
Mit dem Flugsimulator zeigten die Forscher außerdem, dass die Fliegen dazu fähig sind, ein bestimmtes Muster auch dann wieder zuerkennen, wenn es an einer ganz anderen Stelle im Sehfeld erscheint. "Diese so genannte Positionsinvarianz tritt auch beim Menschen auf", so Heisenberg.

Damit hat sich Drosophila in einem weiteren Bereich als Modell erwiesen, von dem man viel über die entsprechenden Vorgänge beim Menschen lernen kann. Für bestimmte Muskel- oder Nervenkrankheiten gilt das schon seit längerem.
->   Biozentrum der Uni Würzburg, Institut für Genetik und Neurobiologie
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Wie das Gehirn Objekte als Gesichter erkennt (1.4.04)
->   Hirnforscher: Auch Sehen will gelernt sein (17.204)
->   Drosophila: Kleine Geschichte der Laborzoologie (8.5.02)
->   Elektrischer Reiz für Erinnerung notwendig (23.5.01)
 
 
 
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01.01.2010