News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Gemischter Chimärismus als Zukunftshoffnung  
  Rund 1,5 Millionen Menschen leben heute weltweit mit Spenderorganen. Ein großes Problem der Transplantationsmedizin sind jedoch Abstoßungsreaktionen gegen die fremden Organe, die derzeit noch durch Medikamente unterdrückt werden - mit mehr oder minder schweren Nebenwirkungen. Abhilfe schaffen könnte in Zukunft das Prinzip des so genannten "gemischten Chimärismus". Noch gilt es jedoch einige Hürden zu überwinden, wie Experten beim XX. Internationalen Kongress der Transplantation Society in Wien betonten.  
Die technischen Probleme der Transplantationsmedizin sind weitestgehend gelöst. Das Hauptproblem der Zukunft ist die Immunologie - doch verschiedenste Expertengruppen forschen bereits an neuen Strategien. Dazu gehört auch der "gemischte Chimärismus".

Das Prinzip: Dem Organempfänger werden vor der Transplantation auch Stammzellen des Spenders verabreicht - um auf diese Weise sein Immunsystem dazu zu bringen, auch das eigentlich fremde Organ zu akzeptieren.
...
An der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz nehmen rund 4.000 Fachleute teil. Der Themenkreis reicht von der Organisation des Organspendewesens über chirurgische Techniken und die Immunologie bis hin zu Zell- und Stammzelltransplantation sowie Xenotransplantation und die möglichen Anwendungen der Gentherapie in der Transplantationsmedizin. Die Transplantation Society ist die internationale Vereinigung der Transplantationsmediziner.
->   Homepage des Kongresses (www.transplantation2004.at)
...
Erfolge in Tierversuchen
Eine auf diese Weise hervorgerufene immunologische Toleranz des Empfängers gegenüber dem Organ eines fremden Spenders konnte im Tierversuch bereits erzielt werden.

Doch eine ganze Reihe von Hürden sind noch bis zur breiten Anwendung zu überwinden, auch wenn ein solcher Erfolg prinzipiell möglich erscheint, erklärte etwa der belgische Experte Michel Goldman im Rahmen des Kongresses.
Organabstoßung als großes Problem
Der Hintergrund: Die chronische Organabstoßung ist jenes immunologische Problem, das weiterhin das Langzeitüberleben von Transplantationspatienten bzw. das Funktionieren der Organe einschränkt.

Und die dagegen eingesetzten Medikamente schwächen die körpereigenen Abwehrkräfte, was vermehrt zu Krebs führt.

Außerdem haben die Arzneimittel - sie führten ehemals zum Siegeszug der Transplantationsmedizin - noch weitere Nebenwirkungen. Die so genannten Calzineurin-Inhibitoren (Cylclosporin A) beispielsweise schädigen die Nieren.
...
Details zum "gemischten Chimärismus"
Durch die Verabreichung von ausreichenden Knochenmark-Stammzellen des Organspenders vor der Transplantation an den Empfänger und deren "Einwachsen" in dessen Immunsystem soll via "gemischten Chimärismus" eine Toleranz entstehen. Denn Knochenmark-Zellen tragen die Information, die dem Immunsystem vermittelt, wogegen es nicht reagieren soll. Damit wird verhindert, dass es körpereigenes Gewebe angreift.

Erhält der Patient nun Knochenmark-Stammzellen des Spenders, verhält sich sein Immunsystem im Idealfall auch tolerant gegenüber dem neuen Organ. Im Gegensatz zu der heute notwendigen, lebenslangen medikamentösen Immunsuppression von organtransplantierten Patienten ist das Immunsystem in seiner sonstigen Funktion nicht beeinträchtigt, und kann daher weiterhin gegen Infektionen und Tumore ungehindert reagieren.
...
Erste Versuche am Menschen
Michel Goldman und sein Team am Hopital Erasme in Brüssel erprobten die Strategie erst vor kurzem bei zwei Patienten, die von verwandten Lebendspendern Leberlappen erhalten hatten. Die Empfänger hatten an Leberkrebs gelitten.

Sie wurden zunächst mit Cyclosphosphamid (Zytostatikum) und Antikörpern behandelt. Von den Spendern wurden bestimmte Stammzellen (CD34-positive Zellen) gewonnen und den Empfängern sechs bis acht Wochen vor der Lebertransplantation verabreicht.
Keine Abstoßungsreaktionen
Nach Angaben von Goldmann erhielten beide Patienten nach der Operation zunächst Medikamente zur Verhinderung der Abstoßungsreaktionen. Diese wurden nach 28 bzw. 90 Tagen abgesetzt. Beide hätten keine Abstoßungsreaktion gezeigt.

Der erste starb allerdings 370 Tage nach der Transplantation am Wiederauftreten der bösartigen Erkrankung. Der zweite befindet sich laut dem belgischen Experten auch nach 300 Tagen in einem guten Zustand.
Wiener Forscher: Knochenmark im Blickpunkt
Auch Forscher von der Abteilung für Transplantation am AKH Wien beschäftigt sich mit dem "gemischten Chimärismus", wie der AKH-Mediziner Thomas Wekerle am Montag beim Kongress berichtete.

Doch: "Die herkömmliche Knochenmarktransplantationen (KMT) wie sie z.B. bei der Behandlung von Leukämien angewandt wird, ist zu toxisch um bei Organtransplantationen routinemäßig eingesetzt werden zu können (insbesondere durch die notwendige Bestrahlung des Empfängers)", betonte Wekerle.

Denn das Immunsystem des Empfänger-Organismus muss zunächst vorübergehend so moduliert werden, dass die fremden Stammzellen akzeptiert werden und schließlich überleben können. Eine intensive Strahlentherapie ist bei Transplantationspatienten - mit Ausnahme von Personen mit Blutkrebs - nicht vertretbar. Auch Zytostatika etc. können kaum verwendet werden. Es geht darum, möglichst sanfte Mittel für die Toleranz-Induktion zu finden.
Maßgeschneiderte KMT-Protokolle als Ziel
Daher ist ein wichtiges Ziel der Forschung, neue, maßgeschneiderte KMT-Protokolle zu entwickeln, die so gut verträglich sind, dass sie gefahrlos zur Toleranzinduktion eingesetzt werden könnten. Ein Schritt in diese Richtung ist nach Angaben von Wekerle dem AKH-Forscherteam gelungen:

"Die zusätzliche Behandlung mit bestimmten, klinisch zugelassenen immunsuppressiven Medikamenten (Cortison, Rapamycin, Mycophenolat Mofetil, Anm.) für einen kurzen Zeitraum erlaubt es in einem experimentellen KMT-Protokoll, gemischten Chimärismus und Toleranz mit einer deutlich niedrigeren Dosis an Empfängerbestrahlung und damit mit geringerer Toxizität zu erzielen", so der Experte.

Allerdings werden dafür Knochenmarkmengen benötigt, die klinisch (in der Anwendung beim Menschen) nicht routinemäßig erreichbar sind. Ziel ist es daher auch, diese experimentellen Protokolle so weiter zu entwickeln, dass sie in Zukunft für den Einsatz im klinischen Alltag in Betracht kommen.
->   Eurotransplant
->   ÖBIG-Informationen zu Transplantation
Mehr zum Kongress in science.ORF.at:
->   Organtransplantationen: Lange Wartelisten (6.9.04)
->   Transplantationsmedizin: Große Erfolge, anhaltende Probleme (2.9.04)
->   Alles zum Stichwort Transplantation im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010