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Gehege ohne Grenzen  
  Die Wildtierforschung bekommt dank Biotelemetrie eine völlig neue Dimension. Mit implantierten Mikrosendern kann das Innenleben von Zugvögeln, Winterschläfern oder Käfern erforscht werden: Herzschlag und Körpertemperatur geben Auskunft über Stress und Träume.  
Beobachtung von Murmeltieren
Bild: Photodisc
40 Murmeltiere in den Alpen werden jede Sekunde beobachtet. Ob sie Nahrung suchen, ihr Revier verteidigen oder schlafen - die Wissenschaftler der Veterinärmedizinischen Universität Wien sind immer dabei. Seit drei Jahren erforschen die Wildtierbiologen mit der Technik der Fernmessung das Winterschlafverhalten der Alpenmurmeltiere.

"Wir wissen, dass diese Tiere im Labor nur sehr ungern Winterschlaf halten und ihn auch dauernd unterbrechen", sagt Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie. Die Biologen haben deshalb den Tieren miniaturisierte Sender in die Bauchhöhle implantiert, mit denen sie verfolgen können, in welcher Schlafphase das Tier gerade ist.
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Radiotelemetrie
Die Radiotelemetrie ist die am häufigsten verwendete Technik der Fernmessung. Dafür tragen Tiere einen Miniatursender, der in regelmäßigen Abständen einen kurzen Sendeimpuls abgibt. Die Abstände zwischen den Impulsen sind die Information. Möchte man die Körpertemperatur anzeigen, werden die Abstände der Signale immer kleiner, je wärmer der Körper ist. Aktivität und Inaktivität, Heben und Senken des Kopfes, können so minutiös erfasst werden.
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Überraschende Resultate
Das Ergebnis überraschte die Forscher: Die Alpenmurmeltiere unterbrechen auch im natürlichen Lebensraum regelmäßig den Winterschlaf: alle 12 bis 14 Tage sind sie einen Tag wach, bleiben aber im Bau. "Die Bedeutung dieser Unterbrechungen für den Energiehaushalt des Körpers müssen wir noch näher untersuchen", meint Arnold.
Träumen Vögel?
Schlaf ist ein zentrales Thema der Biotelemetrie. Charles Amlaner von der Indiana State University erforscht seit Jahrzehnten den Schlaf der Tiere, vor allem der Vögel. Man wusste zwar vom Schlaf-Wach-Rhythmus und vom REM-Schlaf, dem rapide eye movement, bei dem schnelle Augenbewegungen Träume anzeigen.

Doch die Forschung brachte völlig neue Erkenntnisse, sagt Amlaner: "Im Unterschied zu Menschen, die sechs bis sieben Wach- und REM-Phasen haben, findet man bei Vögeln hunderte wechselnde Phasen während einer Nacht. Das ist vermutlich nötig, um nach Feinden Ausschau zu halten und ständig flüchten zu können."
Halbschlaf der Vögel
Amlaner hat auch den Schlaf der Zugvögel untersucht. Vögel, die lange Flugstrecken zurücklegen, schließen ein Auge und halten das andere offen. Und dann umgekehrt. "Wir vermuten, dass diese Vögel mit einem Auge navigieren und mit dem anderen die Vorteile des Schlafes, über die wir noch gar nichts wissen, nutzen".
Zugwege dokumentieren
Die neue Zielrichtung der Forschung ist die minutiöse Erfassung der Zugwege. "Wir wollen wissen, wo Störche rasten, in welchen elektrischen Leitungen sie sich verfangen und wo sie sterben", sagt Hans Wolfgang Helb von der Universität Kaiserslautern. Den Störchen werden für diese Untersuchung Sender auf den Rücken geschnallt, die sich mittels Solartechnik ständig neu aufladen.
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Von Radiotracking zu GPS
Viele Wildtiere kann man ohne Biotelemetrie gar nicht erforschen. Denn in den Gehegen zeigen sie kein natürliches Verhalten mehr. Radiotracking - das Verfolgen von Tieren mit Empfangsanlagen - ist der Ursprung der Biotelemetrie. Satellitentechnologie erweitert die Möglichkeiten: mit GPS (Global Positioning System) können Wildtiere geortet werden und ihre Daten am Körper tragen. Der GPS- Einsatz ist allerdings aufgrund der Gerätegröße nur bei Tieren mit einem Körpergewicht von rund 100 Kilogramm möglich. Kleinere Tiere werden mit einfacheren Systemen ausgestattet, die lediglich ein Ortungssignal an eine zweite Empfangsanlage übertragen.
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Käfer mit Antennen
Auch das Verhalten von Insekten wird mittels Biotelemetrie untersucht. Die kleinsten Sender sind 400 Milligramm schwer und belasten z.B. große Käfer nicht. Ausgeklügelte Technik macht es sogar möglich, das Innenleben von Bienen und Hornissen über ganz kurze Zeit zu durchleuchten, schildert Robert Kenard vom National Environment Research Institute in England, der das Buch "A manual for Wildlife Radio Tagging" geschrieben hat.
Erdhörnchen-Schwund
Die Biotelemetrie arbeitet oft mit dem Ziel des Artenschutzes. Ilse Hoffmann vom Institut für Zoologie der Universität Wien stattete Erdhörnchen in Niederösterreich mit Halsbandsendern aus, um herauszufinden, warum sich die Population in den vergangenen Jahren verringerte.

"Mit Beobachtung kommt man da nicht weit", sagt Hoffmann. "Wir mussten feststellen, dass viele Tiere von Katzen, die in den neu errichteten Siedlungen leben, getötet wurden. Viele Tiere sind auch abgewandert, weil ihnen der Wirbel in der Gegend zu groß wurde."
Gestörte Gämsen
Viel Wirbel gibt es auch im Berner Oberland, seit Paragleiter dieses Gebiet entdeckt haben. Das hat natürlich Folgen für die Gämsen. Erich Bächler von der Universität Bern schnallte 24 Gämsen einen Halsbandsender um.

"Wir versuchen herauszufinden, ob die Gämsen ihren Lebensrhythmus ändern und in der Nacht fressen, wenn es ruhig ist. Ob sich das dann negativ auf den Körper der Tiere auswirkt, wissen wir noch nicht".
Schlafen im Gehen
Bei einer Studie an Rothirschen, die die Wiener Wildtierbiologen gerade abgeschlossen haben, ging es auch um Störungen durch den Menschen. Wichtiges Ergebnis: Rothirsche halten auch eine Art Winterschlaf, bei dem sie den Energiebedarf enorm zurückschrauben.

"Rein äußerlich merkt man das gar nicht, die Tiere gehen herum", sagt Walter Arnold. "Aber unsere Arbeit zeigt, wie wichtig es ist, dass die Tiere im Winter ihre Ruhe haben." Wir wüssten von den meisten heimischen Tieren noch viel zu wenig, meint der Leiter der Forschungsstelle. Durch Biotelemetrie zeichnen sich jetzt aber neue Erkenntnisse ab.

Ulrike Schmitzer, Ö1-Wissenschaft
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->   Das Biotelemetrie-Symposium
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01.01.2010