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Tierisches Serum für Zellkulturen: Suche nach Alternativen  
  Zwischen 100 und 150 Millionen Versuchstiere sterben jährlich weltweit - meist in der medizinischen Forschung. Gegner fordern die verstärkte Forschung an Alternativen - beispielsweise Versuche an Zellkulturen. Doch für deren Nährlösung wird wieder tierisches Serum benötigt, das meist von Kälberföten gewonnen wird. Österreichische Forscher beschreiben nun in einem Gastbeitrag die Suche des wissenschaftlichen Tierschutzes nach Alternativen.  
Von Udo Losert, Erwin Falkner und Walter Pfaller - unter Mitarbeit von Susanne Krejsa

Der Einsatz von Zell-/Gewebekulturen kann die Anzahl von Versuchstieren in vielen Bereichen verringern bzw. zusätzliche Informationen erbringen; jedoch führt die gebräuchliche Definition zu falschen Schlüssen:

Danach dienen "Zell- und Gewebekulturen der Erhaltung und Vermehrung von einzelnen Zellen oder isolierten Geweben mit künstlichen Nährmedien unter sterilen Bedingungen." Die nahe liegende Bewertung von Zellkulturen als 'besser', 'humaner' oder 'moralischer' ist oft sachlich falsch - denn auch sie benötigen meist von lebenden Organismen gewonnene Materialien.
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Dokumentiert seit Beginn des 20. Jahrhunderts
Die Verwendung von Gewebe-/Zellkulturen ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentiert: Harrison glückte 1907 die In-vitro-Kultivierung von Gewebe aus einer Kaulquappen-Nervenfaser in Froschlymphe. Innerhalb weniger Stunden sprossen neue Nervenzellen.
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Isolierte Zellen müssen einiges aushalten
Aus Geweben isolierte Zellen in vitro sind nicht nur eine anerkannte Methode der biomedizinischen Forschung, sondern haben bereits große klinische Relevanz in der Zell- und Stammzelltherapie sowie im "Tissue Engineering" bei Patienten erlangt.

Dazu müssen die Zellen einiges aushalten: Gelagert bei -196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff werden sie ins Labor geliefert, vorsichtig aufgetaut und in speziellen Kulturgefäßen ausgesät.

Täglich sind Kontrollen von Aussehen und Wachstum erforderlich. Regelmäßig erfolgen Ernte und Aufteilung in neue Kulturgefäße, damit sie nicht zu dicht wachsen, sich zu sehr verändern oder aufhören sich zu teilen.
Vermehrung in körpersimulierenden Inkubatoren
Isolierte Zellen benötigen eine Umgebung in vitro, die Wachstum/Differenzierung ermöglicht. Die Vermehrung der Zellen erfolgt daher in hinsichtlich Temperatur, Feuchtigkeit und pH-Wert körpersimulierenden Inkubatoren.
Nährmedium mit tierischem Serum
Nährstoffe müssen zur Verfügung gestellt, Abfallstoffe neutralisiert bzw. gebunden werden. Körpersimulierend ist daher auch das Nährmedium: Es enthält als Grundlage unter anderem Zucker, Salze, Spurenelemente, Vitamine und standardmäßig ein komplexes tierisches Serum, das z.B. wichtige Wachstumsfaktoren enthält.

Seit den Fünfzigerjahren werden kommerzielle hergestellte Kulturmedien verwendet und aus produktionstechnischen Gründen sowie mangels Alternativen mit bis zu 20 Prozent Serum - meist fötalem Kälberserum - angereichert.
Wissenschaftlicher Tierschutz sucht Alternativen
Die Menge an produziertem Rinderserum wird weltweit auf über 500.000 Liter pro Jahr geschätzt; beste Qualität stammt aus veterinärmedizinischen Gründen aus Neuseeeland und Australien.

Gewonnen wird fötales Kälberserum von Rinderföten durch Herzpunktur (um die Kontaminationsgefahr möglichst gering zu halten) bzw. durch Nabelschnurpunktion oder über die V. jugularis meist ohne Anästhesie bei der Schlachtung des Muttertieres.

Dabei sollte nach neuesten Erkenntnissen darauf geachtet werden, dass sich die Kälberlungen nicht entfalten, die Bedingungen hypoxisch bleiben und somit keine Kortexaktivität mit resultierendem Bewusstsein/Schmerzempfinden eintritt.
Suche nach einem Ersatz
Trotz dieser schmerzlosen Entnahme ist die Gewinnungsmethode vom wissenschaftlichen Tierschutz-Standpunkt aus problematisch, so dass nach Ersatz gesucht wird. Dafür gibt es kein Einheitsrezept sondern Lösungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzzweck des Nährmediums:

Serumgewinnung ist auch von adulten oder neugeborenen Tieren möglich - mit dem Nachteil maternaler Antikörper.

Des Weiteren kann mit Spenderherden gearbeitet werden, denen ein- oder mehrmals Blut abgenommen wird - je stressfreier dies möglich ist, desto geringer ist die Belastung der Seren durch Stresshormone.
Nichttierischer Ersatz hat Nachteile
Neben den von Tieren gewonnenen Mediumadditiven gibt es serumfreie, proteinfreie und chemisch definierte Produkte:

Zum Beispiel pflanzliche Proteinhydrolysate und gentechnisch erzeugte Wachstumsfaktoren. Bei jedem von ihnen sind neue Nachteile auszugleichen, etwa fehlende Adhäsionsfaktoren wie Laminin/Fibronektin, fehlende Schutzstoffe und fehlende Trypsininhibitoren.
Aktualisierte Liste von Alternativen
Das Verdienst des österreichischen wissenschaftlichen Tierschutzes, eine Kooperation des Instituts für Biomedizinische Forschung der Medizinischen Universität Wien (Leitung U.M. Losert) und dem Verein ZET- Zentrum für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen (Leitung W. Pfaller), besteht darin, die ständig wachsende Palette alternativer Medien/Zusätze aufzulisten, laufend zu aktualisieren und hinsichtlich Gewinnungsmethode, Einsatzmöglichkeit, Produzenten etc. zu kommentieren.

Dadurch werden Alternativen zum klassischen fötalen Kälberserum bekannt gemacht und Hersteller ermutigt, weitere Produkte zu entwickeln. Wissenschaftler erhalten eine wertvolle Produktübersicht, mit deren Hilfe sie Alternativmedien anwenden können, ohne die Qualität und Aussagekraft ihrer Forschungen zu gefährden.
Zellkulturen können Tierversuche einsparen
Neben dem bereits klinischen Einsatz von Zellkulturen in der Human- und Veterinärmedizin können Zellkulturen in der Forschung viele Studien an Tieren einsparen, etwa zur Testung potentieller Medikamente oder beim Einschleusen von Genen, um deren Funktion zu analysieren.

Auch Viren und intrazelluläre Bakterien werden mit Hilfe der Zellkultur erforscht. Die Zellkultur stößt allerdings an ihre Grenzen, wenn es darum geht, übergeordnete Vorgänge in Organsystemen oder am Gesamtorganismus zu untersuchen.
->   Institut für Biomedizinische Forschung der Medizinischen Universität Wien
->   Zentrum für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen
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Univ.-Prof. Dr. Udo Losert ist Vorstand des Institutes für Biomedizinische Forschung (IBF) der Medizinischen Universität Wien. Erwin Falkner ist Mikrobiologe am IBF. Univ.-Prof. Dr. Walter Pfaller ist Wissenschaftlicher Leiter von ZET - Zentrum für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen. Dr. Susanne Krejsa ist Wissenschaftsjournalistin in Wien.

Studie zum Thema mit jährlich aktualisiertem Produktführer: Falkner E, Schöffl H., Appl H., Eder C., Macfelda K., Losert U.M., Pfaller W., Serum Free Cell Culture Media - Updated Product Guide 1/2004 (ISBN 3-900131-03-1), Replacement of Sera for Cell Culture Purposes - A Survey (ISBN 3-900131-00-7).
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01.01.2010