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Identifikation von Arten: Einzelnes Gen als "Strichcode"  
  Die Vielfalt der Natur ist bekanntermaßen fast unüberschaubar groß. Ein Versuch, Ordnung in das Leben auf der Erde zu bringen, ist die biologische Klassifikation. Als wichtigste, klar abgegrenzte Einheit gilt die Art oder Spezies. Die Unterscheidung und Einordnung von Lebewesen ist allerdings mitunter recht aufwendig. Nun melden zwei Forschergruppen, dass ein einziges Gen in den meisten Fällen ausreichen könnte. Es soll als genetischer "Strichcode" jedes Tier zuordnen können und die Entdeckung neuer Arten enorm vereinfachen.  
Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Paul Herbert von der University of Guelph in Kanada führte eine Studie an Vögeln durch. Ein weiteres Team, ebenfalls unter Leitung von Herbert, untersuchte Schmetterlinge.
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Die Studie "Ten species in one: DNA barcoding reveals cryptic species in the neotropical skipper butterfly Astraptes fulgerator" ist in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) erschienen (doi:10.1073_pnas.0406166101). Die zweite Untersuchung ist am 28. September 2004 unter dem Titel "Identification of Birds through DNA Barcodes" im Open-Access-Journal "PLoS Biology" erschienen (doi:10.1371/journal.pbio.0020312).
->   Der PLoS-Artikel im Original (www.plosbiology.org)
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Das Konzept des DNA-Strichcodes
Das Konzept des DNA-Stichcodes ist nicht ganz neu. Basierend auf einem einzigen Gen sollen so Arten identifiziert werden. Proponenten der Methode sehen diese als einfachste Lösung eines alterwürdigen Problems der Biologie.
Erfassung der Artenvielfalt auf der Erde
Es gilt, die Artenvielfalt des Lebens auf der Erde zu erfassen. Bisher wurden bereits rund eine Million Spezies identifiziert, doch es stehen - vor allem im Reich der Insekten - noch so viele Entdeckungen bevor, dass Schätzungen von insgesamt zehn bis hin zu einhundert Millionen Arten ausgehen.

Die Identifikation von Arten ist derzeit allerdings recht aufwändig: Sie basiert auf dem Vergleich von Charakteristika wie Schnabelform oder Farbe eines Flügels. Alternativ verwenden Forscher natürlich längst Erbgutanalysen, dabei wird eine Fülle an genetischem Material verglichen.
650 "Buchstaben" sollen ausreichen
Einfacher ginge es via DNA-Strichcode allemal: Im Mittelpunkt der Technik steht derzeit das zur mitochondrialen DNA gehörende Gen cytochrom c oxidase I, kurz COI. Gerade einmal 650 "Buchstaben" in der genetischen Sequenz von COI werden zur Identifikation der unterschiedlichen Spezies verwendet.
Jeder Art ihr genetisches COI-Etikett?
Wie man bereits weiß, unterscheidet sich gerade COI stark zwischen den verschiedenen Arten. Die Befürworter des DNA-Stichcodes glauben, dass es so variabel ist, dass fast alle Spezies hier einen charakteristischen Code aufweisen.
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Wie definiert sich die Art bzw. Spezies?
Art oder Spezies ist die wichtigste, klar abgrenzbare Verallgemeinerungseinheit der Biologie und somit grundlegend für Systematik, Klassifikation und Taxonomie. Arten sind Gruppen von Individuen, die auf dem Abstammungsverhältnis von Eltern und Nachkommen basieren und in Gestalt, Physiologie und Verhalten soweit übereinstimmen. Bei Lebewesen mit zweigeschlechtlicher Sexualität ist die Fähigkeit, gemeinsam fruchtbare Nachkommen zu erzeugen, ein weiteres entscheidendes Kriterium. Bisher wurde etwa eine Million Tierarten identifiziert. Speziell aufgrund der Artenvielfalt von Insekten könnten es aber auch zehn oder einhundert Millionen sein.
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Von Vögeln und Schmetterlingen
Um zu zeigen, dass die Methode tatsächlich funktioniert, haben nun Herbert und Kollegen zum einen den COI-Strichcode von insgesamt 260 nordamerikanischen Vogelexemplaren aus einem Museum verglichen.

Laut Studie zeigten tatsächlich alle zur gleichen Art gehörenden Tiere starke Übereinstimmungen, zwischen den Arten jedoch zeigten sich deutliche Unterschiede. Zugleich fanden die Biologen neue Hinweise darauf, dass einige der Vögel sogar zu vier neuen Arten zu zählen sind.

Team zwei wiederum konzentrierte sich in der Studie auf Schmetterlinge, die in den Wäldern Costa Ricas leben. Analysiert wurde der COI-Code von mehr als 480 Exemplaren, die bisher zu einer einzigen Art - Astraptes fulgerator - gezählt wurden.
Studie: Zehn verschiedene Arten
Doch die DNA-Stichcodes sprechen laut Studie eine andere Sprache: Demnach unterteilen sich die Insekten in zehn verschiedene Spezies. Nach Angaben der Forscher passt dies zu zuvor berichteten Unterschieden bei der Nahrungswahl sowie den Raupen dieser Tiere.
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Auf dem Weg zur "Public Library of DNA Barcodes"
Die Idee des DNA-Stichcode-Systems erhielt bereits vergangenes Jahr Rückhalt, als Herbert und Kollegen in einer Studie mithilfe der COI-Analyse rund 2.000 Arten deutlich unterschieden konnten. Derzeit existiert nach Angaben von "news@nature.com" weltweit eine Reihe von Projekten, in deren Rahmen die "Wirksamkeit" der Methode nachgewiesen werden soll. Letztlich geht es darum, den DNA-Strichcode sämtlicher Spezies auf der Erde zu erfassen - und ihn zusammen mit dem wissenschaftlichen Namen der Art in einer zentralen Datenbank zu speichern.
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Mit handlichem Scanner auf Artensuche
Mithilfe der Methode könnte vieles einfacher werden: So reicht etwa schon ein Gewebe- oder Schalenbruchstück aus, um schnell die jeweilige Art zu ermitteln. Zudem denken die Forscher bereits an handliche Scanner, um den Strichcode zu entschlüsseln.
Kritiker sehen problematische Fälle
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, die das Strichcode-System als Bedrohung der klassischen Taxonomie betrachten. Und selbst Unterstützer räumen ein, dass es bei genetisch sehr ähnlichen Arten Probleme geben könnte.

Etwa bei nah verwandten Spezies, deren Abstammungslinie sich - evolutionär betrachtet - erst vor kurzer Zeit getrennt hat.

Der Ökologe Craig Moritz etwa von der University of California in Berkeley meint, dass man in manchen Fällen nicht umhin kommen wird, mehr als ein Gen zu analysieren, um eine Spezies genau zu identifizieren. Derzeit gebe es eine heftige Debatte, ob ein Gen für alle passe, wird er in "news@nature.com" zitiert.
->   Department of Zoology der University of Guelph
->   Consortium for the Barcode of Life
->   All Species Foundation
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Strichcodes: Die Zukunft der Arten-Einteilung (4.5.03)
->   Taxonomen als "Taufpaten" der Naturwissenschaft (2.10.02)
 
 
 
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01.01.2010