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Neuroökonomie: Wie Menschen entscheiden  
  Die so genannte Neuroökonomie versucht mit den Mitteln der Psychologie, Wirtschafts- und Neurowissenschaften den Ursachen menschlicher Entscheidungen auf den Grund zu kommen. Das US-amerikanische Fachjournal "Science" stellt diese junge Forschungsdisziplin nun in seiner aktuellen Ausgabe vor: Fallbeispiele zeigen unter anderem, dass sich der Mensch in seinen Entscheidungen nicht immer nach den Prinzipien der Vernunft orientiert.  
Entscheidung wider der Mathematik
Ein solches Entscheidungs-Rätsel beschäftigte den Schweizer Mathematiker Daniel Bernoulli bereits im 18. Jahrhundert - das Petersburger Paradoxon. Ihm zufolge entscheidet sich der Mensch beim Geldeinsatz für ein Spiel nicht nach dem mathematisch zu erwartenden Gewinn.
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Petersburger Paradoxon
Beim Petersburger Spiel wird eine Münze so lange geworfen wird, bis zum ersten Mal Kopf erscheint. Ist das beim ersten Wurf der Fall, erhält der Spieler zwei Euro. Taucht Kopf erst beim zweiten Wurf auf bekommt er vier Euro, usw. Allgemein: Das erste Mal Kopf beim n-ten Wurf, bringt dem Spieler zwei hoch n Euro. Obwohl bei diesem Spiel der mathematische Erwartungswert des Gewinns unendlich ist, ist der Durchschnittsspieler keineswegs bereit jede Summe zu bezahlen, um beim Spiel mitspielen zu dürfen.
->   St. Petersburg Paradox (mathworld.wolfram.com)
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Verschiedene Ansätze verbinden
Wirtschafts-, Neurowissenschaften und Psychologie haben verschiedene Ansätze um das Paradoxon zu verstehen. Die Ökonomik arbeitet mit der Theorie, dass Menschen sich nach dem zu erwartenden Nutzen entscheiden (Erwartungsnutzentheorie).

Die Psychologie argumentiert mit einer prinzipiell geringen Risikobereitschaft des Menschen. Die Neurobiologie findet die Ursache in der Arbeitsweise des Gehirns.

"Eine Theorie, die alle drei Ansätze verbindet, könnte mehr erklären als einer der Zugänge alleine", schreiben Paul Glimcher vom Center for Neural Science der New York University und Aldo Rustichini vom Department of Economics, University of Minnesota im Fachmagazin "Science".
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Der Artikel "Neuroeconomics: The Consilience of Brain and Decision" von Paul W. Glimcher Aldo Rustichini ist im US-Fachmagazin "Science" (Bd. 306, S. 447-452, Ausgabe vom 15. Oktober 2004) erschienen.
->   Science
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Entscheidungen haben viele Gesichter
Die Erwartungsnutzentheorie hat ein großes Erklärungspotenzial für bestimmte menschliche Entscheidungen. Doch den beiden Forschern zufolge reicht sie alleine nicht aus.

Das Petersburger Paradoxon kann mit ihrer Hilfe aufgelöst werden. In anderen Situationen zeigt sich, dass sich der Mensch auch wider die Theorie entscheiden kann. Ein Beispiel ist das Ellsberg-Parodoxon.
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Ellsberg Paradoxon - Entscheidung wider dem Nutzen
In einer Urne befinden sich 90 Kugeln. Der Proband weiß, dass 30 davon blau sind. Die restlichen 60 sind rot oder gelb. In einem ersten Versuch wird er vor folgende Wahl gestellt. Er bekommt entweder 100 Euro wenn eine blaue Kugel (Wahrscheinlichkeit von 1/3) oder 100 Euro wenn eine rote Kugel (ungewisse Wahrscheinlichkeit) gezogen wird. Der Proband wählt in der Regel die Variante mit der blauen Kugel.

In einem zweiten Versuch lautet die Wahlmöglichkeit blau beziehungsweise rot oder gelb. Hier liegt die sichere Wahrscheinlichkeit mit 2/3 bei rot oder gelb. Und genau dafür entscheidet sich der Proband zumeist auch. Im Widerspruch zur Erwartungsnutzentheorie: Im ersten Versuch geht die Versuchsperson davon aus, dass zu viele gelbe Kugeln in der Urne sind, im zweiten, dass es zu wenige sind.
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Risko-Areal im Gehirn
Forscher um Antonio Damasio, Neurowissenschafter und Buchautor ("Der Spinoza-Effekt", "Ich fühle, also bin ich", "Descartes Irrtum"), konnten zeigen, dass Menschen deren ventromedialer präfrontaler Cortex (VMPFC) verletzt war, dazu tendierten, für sich selbst ungünstige Entscheidungen zu treffen. Sie waren wider jede Vernunft risikofreudig.

Obwohl ihre Intelligenz sich innerhalb normaler Parameter bewegte. Für die Forscher ein Hinweis, dass der VMPFC ein Rolle bei der Abschätzung zukünftiger Konsequenzen von Entscheidungen spielt.
Gerechtigkeit geht über Nutzen
Es zeigt sich auch, dass der Mensch sich nicht gerne übers Ohr hauen lässt. Fühlt er sich ungerecht behandelt, ist er ebenfalls gerne bereit, sich wider den persönlichen Nutzen zu entscheiden. Das brachte bereits in den 1980er Jahren ein Experiment des deutschen Ökonomen Werner Guth und Kollegen zu Tage.

Die Forscher beobachteten Probanden beim so genannten Ultimatum-Spiel: Ein Spieler erhält zehn Euro. Er muss einem zweiten Spieler einen beliebigen Anteil davon anbieten. Akzeptiert der zweite Spieler bekommen beide ihren Anteil.

Akzeptiert er nicht, bekommt keiner etwas. Es stellte sich heraus, dass wenn der zweite Spieler seiner Ansicht nach zu wenig angeboten bekommt, er lieber ganz auf das Geld verzichtet, als dem ersten Spieler die höhere Summe zu gönnen.

Martina Gröschl
->   Center for Neural Science (New York University)
->   Department of Economics (University of Minnesota)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Wie Emotionen ökonomische Entscheidungen beeinflussen (24.3.04)
->   Spieltheorie als Instrument der Evolutionsforschung (6.2.04)
->   Festkörperphysik "erklärt" menschliche Kooperation (17.9.02)
 
 
 
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01.01.2010