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Wie man ein vierdimensionales Universum baut  
  Mit Hilfe der so genannten Quantengravitation versuchen Forscher die Physik des Großen sowie des Kleinen unter einen Hut zu bringen. Bisheriger Schönheitsfehler dieser Bemühungen: Die Theorie konnte nicht erklären, warum die Raumzeit des Universums gerade vier Dimensionen aufweist. Drei Physiker konnten nun mit Hilfe der Quantengravitation erstmals begründen, warum das so ist.  
Wie ein Team um Renate Loll von der Universität Utrecht berichtet, gelang dies, indem man ein einfaches Ursache-Wirkungs-Prinzip in die Gleichungen des Modells integrierte. Dass Ereignisse Ursachen haben, scheint in unserer Lebenswelt mittlerer Größenordnungen selbstverständlich. Auf Modelle der Quantengravitation angewandt, wirkt das Prinzip aber offenbar Wunder.
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Die Studie "Emergence of a 4D World from Causal Quantum Gravity" von J. Ambjorn, J. Jurkiewicz und R. Loll erschien im Fachjournal "Physical Review Letters" (Band 93, S. 131301 1-4; doi:10.1103/PhysRevLett.93.131301).
->   Zum Original-Abstract
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Kausalität - eine Erfindung?
Ist die Kausalität eine inhärente Eigenschaft unseres Universums oder nur eine Illusion, die durch unsere Interpretation der Welt erzeugt wird?

Der Schottische Philosoph David Hume vertrat letztere Ansicht: Er meinte, dass wir zwar immer nur beobachten könnten, dass zwei Ereignisse A und B regelmäßig aufeinander folgen, nicht aber warum die Ursache A zur Wirkung B führt.

Nach Humes - skeptischer - Interpretation ist das Ursachendenken also eine Erfindung unseres Geistes, die keine Entsprechung in der realen Welt hat.
->   Mehr zur David Hume (Stanford Encyclopedia of Philosophy)
Das Große und das Kleine in einer Theorie
Eine aktuelle Studie dreier Physiker legt nun nahe, dass Hume womöglich ein wenig zu skeptisch gewesen ist: Renate Loll von der Universität Utrecht hat gemeinsam mit zwei Mitarbeitern ein Modell entworfen, das Raum und Zeit als Ansammlung kleinster Partikel aus der Welt der Quanten beschreibt.

Das ist insofern von besonderem Interesse, weil sich bislang die Prinzipien der Physik des Großen (Allgemeine Relativitätstheorie) sowie des Kleinen (Quantenmechanik) kaum unter einen Hut bringen ließen.

Beide Theorien sind zwar durch das Experiment gut bestätigt, lassen sich aber nicht so ohne weiteres "verheiraten" - sprich: in einem kohärenten theoretischen Konzept vereinigen.
Raum und Zeit als Quantenschaum
Bild: P. Coddington/Univ. of Adelaide
Ein "Quanten-Picasso"
aus flachen Raumzeit-Elementen
Loll und Mitarbeiter gingen von der Vorstellung aus, dass die Raumzeit im Bereich der so genannten Planck-Länge (rund 10-35 Meter) nicht mehr kontinuierlich aufgebaut ist, sondern vielmehr eine "schaumige" Struktur aufweist.

Dieser Quantenschaum besteht nach Ansicht der Physiker aus vierdimensionalen, flachen Raumzeit-Elementen (siehe Bild rechts).

Die Idee ist grundsätzlich nicht neu, denn auch in früheren Modellen hat man wiederholt versucht, mittels solch mathematischer Schaumbäder das ganze Universum zu beschreiben.
->   What is 'quantum foam'? (astronomycafe.net)
Bisherige Modelle waren unrealistisch
Allerdings nicht sonderlich erfolgreich: Denn aus der Tatasche, dass die kleinsten Elemente vierdimensional sind, folgt nicht notgedrungen, dass diese Eigenschaft auch im Großen gegeben ist.

Und tatsächlich ergaben die bisherigen Berechnungen, dass das Universum unter diesen Voraussetzungen entweder eine unendliche Zahl von Dimensionen oder deren zwei aufweist.

Das ist entweder zu viel des Guten oder eindeutig zu wenig - die früheren Modelle scheiterten also an einer befriedigenden Darstellung der Raumzeit, die nach Einstein vierdimensional ist.
Neu: Tempolimit und Kausalität
Das gelang nun Loll und Kollegen, indem sie zwei zusätzliche Bedingung in ihr mathematisches Regelwerk aufnahmen: Zum einen forderten sie, dass auch in diesen kleinsten Quantelementen das berühmte "Tempolimit" aus der Speziellen Relativitätstheorie gilt, dem zufolge sich kein Objekt schneller als das Licht bewegen kann.

Zum zweiten erhoben die Physiker die Forderung, dass keine Wirkung ihrer Ursache vorauseilen darf - im Grunde eine Formulierung des altbekannten Kausalprinzips.
Ein vierdimensionales Universum entsteht
Der Einbau dieser beiden Bedingungen in das Modell wirkte Wunder: Eine so genannte Monte-Carlo-Simulation am Computer ergab, dass sich auf diese Weise ein Universum mit genau drei Raum- und einer Zeitdimension entwickelt.

Etwas, das die Forscher offenbar nicht erwartet hatten: "Es war wie Zauberei", beschreibt Renate Loll ihre Verwunderung gegenüber dem Online-Dienst der Zeitschrift "Nature".
->   Monte-Carlo-Simulation bei Wkipedia
Modelluniversum expandiert
Doch dem nicht genug: Die Forscher fanden außerdem heraus, dass Universen dieses Typus in den Simulationen zunächst klein waren und später expandierten. Ein Muster, das einem ebenfalls aus der realen Welt bekannt vorkommt.

Renate Loll betont, dass es a priori keinen Grund für das Vorhandensein von Kausalität in solchen Quantenschäumen gebe. Aber offensichtlich ist es sehr hilfreich, wenn man ein realistisches Modell des Universums aufbauen möchte.

Robert Czepel, science.ORF.at, 15.11.04
->   Utrecht University
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
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->   Extra-Dimensionen in der Mikrowelt? (27.2.03)
->   Schwarze Löcher und Zusatzdimensionen (16.1.02)
 
 
 
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01.01.2010