News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Netzwerke: Die Zukunft der Gesellschaft  
  Der Begriff "Netzwerk" hat Konjunktur. Er findet sich in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen: In der Biologie, in den Kommunikationswissenschaften oder auch in der Ökonomie. Eine besonders wichtige Rolle spielen Netzwerke in der Soziologie. Dort wird die "Netzwerkgesellschaft" als neuer gesellschaftlicher Typus bezeichnet, der allmählich traditionelle Formen der Gesellschaft ablöst.  
Reaktion auf das Absterben des Sozialstaates
Die Netzwerkgesellschaft ist eine Reaktion auf das Absterben der "Ersten Moderne" - so der in München lehrende Soziologe Ulrich Beck. Mit der "Ersten Moderne" verbindet er den Sozialstaat, wie er bisher bekannt war.

Wir leben nunmehr im Zeitalter der "Zweiten Moderne". Das heißt, dass die Errungenschaften wie Wohlfahrtsstaat oder soziale Absicherung immer mehr eingeschränkt werden.
Theorie der Netzwerkgesellschaft
Als eigentlicher Theoretiker der "Netzwerkgesellschaft" gilt der in Spanien geborene Soziologe Manuel Castells, der heute an University of California in Berkeley lehrt. In seinem dreibändigen Werk "Das Informationszeitalter" zeichnet er ein umfassendes Bild der Netzwerkgesellschaft.
...
Literaturhinweis
Manuel Castells: Das Informationszeitalter. Studienausgabe in drei Bänden. UTB, Stuttgart.
->   Rezensionen der einzelnen Bänden bei perlentaucher.de
...
Die Netzwerkgesellschaft des Empire
Die Netzwerkgesellschaft präsentiert sich nach Castells in zwei Gestalten: Einerseits als globale Realität einer immer mächtig werdender Elite, die "das Empire" des Kapitalismus hemmungslos vorantreibt.

Castells zitiert den Ökonomen Joseph Schumpeter, der den Kapitalismus als "Kultur der endlosen Zerstörung und des nie endenden Neuaufbaus" bezeichnet.
Transnationale Konzerne ...
Konkrete Betreiber von Netzwerken sind zum Beispiel die Manager der transnationalen Konzerne. Sie dirigieren die Aktienmärkte, lenken Finanzströme und bedienen sich der ihnen wohlgesonnenen Medien.

Die "Maschine", die diese expandierenden Netzwerke steuert, ist der sogenannte "Freie Markt"; daran hat sich seit Karl Marx nichts verändert. Nur die Methoden der Expansion sehen heute anders aus.
... vs. alternative Netzwerke
Andererseits eröffnen Netzwerkgesellschaften auch neue Möglichkeiten für demokratische Prozesse, meint Castells. Er propagiert die Entwicklung alternativer Netzwerke in unterschiedlichster Form wie Greenpeace, Attac oder andere NGOs.

Diese Netzwerke formieren sich, um die Netzwerke des Empire zu stören; mit Michel Foucault gesprochen, "um Sand ins Getriebe zu streuen".
Lokale und soziale Netzwerke
Neben den transnationalen Netzwerken existieren auch lokale Netzwerke, die ebenfalls versuchen, der Verwertungslogik des entfesselten Kapitalismus zu entkommen.

Bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing wurden einige soziale Netzwerke vorgestellt, die zeigen, wie konkrete Netzwerke funktionieren.
Projekt 1 - Generationen-Netzwerk
Ein Beispiel dafür ist etwa ein Generationen-Netzwerk, in dem ältere Menschen versuchen, ihre Erfahrungen an Jüngere weiter zu geben.

In eigenen Projekttagen beraten erfahrene Unternehmer ihre jüngeren Kollegen, Handwerker vermitteln Grundfertigkeiten ihres Berufs und Gärtner zeigen, wie man am Besten mit Pflanzen umgeht.

Die Praxis hat gezeigt, dass dieser Austausch von Erfahrungen beiden Seiten Spaß macht.
Projekt 2 - Stiftung Interkultur
Ein anderes Netzwerk- Projekt nennt sich "Stiftung-Interkultur. Netzwerk für eine zukunftsfähige Einwanderergesellschaft". Hier werden Gärten zur Verfügung gestellt, wo Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Gemüse, Obst oder Kräuter anbauen können.

Die so genannten "interkulturellen Gärten" bieten die Möglichkeit, erworbene Kenntnisse anzuwenden und auszutauschen.
Keine Idylle, genügend Konflikte
Die "interkulturellen Gärten" sind jedoch keineswegs idyllische Orte, wo gleichsam paradiesische Zustände herrschen.

Auch hier gibt es genügend Konfliktpotenziale, die die politischen Probleme der Heimatländer widerspiegeln. Die "interkulturellen Gärten" sind artifizielle Räume, in denen eine Völkerverständigung im Kleinen geprobt wird.
Projekt 3 - Ein Netzwerk ...
Ein drittes Projekt bezieht sich auf die These Ulrich Becks von der "Zweiten Moderne", die den Menschen zwingt, zum Subjekt seiner eigenen Vermarktung zu werden.

Die Rede ist von der Ich-AG, die vom Individuum verlangt, anstatt eines konkreten Berufes ein vielschichtiges Tätigkeitsportfolio auszubilden.
... für die Ich-AG
Die Absicht ihres Projektes besteht darin, den Begründern einer Ich-AG durch Vernetzung zu helfen, ihre geplanten Unternehmen möglichst kompetent aufzubauen.

Das heißt auch, die Betreffenden zu motivieren, ein Projekt nur dann zu verfolgen, wenn es die Chance hat, längerfristig bestehen zu können.
Fazit
Diese lokalen Netzwerk-Projekte sind neue Formen einer Geselligkeit - so der französische Sozialtheoretiker Andre Gorz - "die weder auf den Warentausch noch auf den Verkauf der Arbeitskraft gegründet sind; sie stellen die erste Bedingung einer gesellschaftlichen Umwälzung dar".

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen
...
Sendungshinweis
Diesem Thema widmet sich auch die Sendung "Soziale Netzwerke. Zukunftsfähige Lebensstile im Alltag" von Nikolaus Halmer in den Ö1-Dimensionen, 1.12.04, 19.05 Uhr.
->   Ö1
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010