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Fußball: Taktische Wechsel sind oft kontraproduktiv  
  Wenn Fußballmannschaften zurückliegen, versuchen ihre Trainer oft, dem Spiel durch die Einwechslung von offensiven Spielern eine Wende zu geben. Wie deutsche Ökonomen herausgefunden haben, misslingt dies jedoch meist: Eine offensivere Ausrichtung führte seltener zum Erfolg, als wenn die Trainer ihrer Anfangstaktik treu blieben.  
Das ist der Schluss von Christian Grund und Oliver Gürtler von der Universität Bonn, die knapp 1.700 Einwechslungen der deutschen Bundesliga-Saison 2003/2004 systematisch untersucht haben.
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Die entsprechende Studie "An Empirical Study on Risk Taking in Tournaments" erscheint nach Angaben der Autoren in den "Applied Economics Letters".
->   Applied Economics Letters
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Mehrere Motive für Spielerwechsel
Fußballtrainer haben während eines Spiels die Möglichkeit, bis zu drei Spieler ihrer Mannschaft auszutauschen. Manchmal wird ihnen dabei eine "glückliche Hand" bescheinigt, wenn die eingewechselten Spieler dann entscheidenden Anteil an einer Resultatsverbesserung haben.

Verschiedene Motive sind bei Auswechslungen denkbar: Neben Verletzungen und unbefriedigenden Leistungen einzelner Spieler kann man beobachten, dass viele Trainer mit dem Spielerwechsel auch die taktische Ausrichtung ihrer Mannschaft ändern.

Wenn sie beispielsweise einen Angreifer für einen Verteidiger oder Mittelfeldspieler auf das Feld schicken, wird so die Mannschaft offensiver.
Teamstrategie in Punkten ausgedrückt
Um den Erfolg unterschiedlicher Auswechselstrategien zu untersuchen, wiesen die Wirtschaftswissenschaftler Stürmern in einer Mannschaft den Wert 2, Mittelfeldspielern den Wert 1 und Abwehrkräften den Wert 0 zu.

Jede Mannschaft erhielt so eine Gesamtpunktzahl, die umso höher ausfiel, je offensiver das Team ausgerichtet war.

Grund und Gürtler bestimmten nun laut einer Aussendung der Uni Bonn für jedes der 306 deutschen Bundesligaspiele zu Spielbeginn und Spielende die Punktzahl beider Mannschaften. Je größer die Differenz ausfiel, desto offensiver hatte der Trainer eingewechselt.
Aus offensiv mach defensiv - und umgekehrt
"In der Tat hat sich die taktische Ausrichtung der Mannschaften durch die Auswechselungen bei einem Großteil der Spiele in der Bundesligasaison 2003/2004 geändert", so Christian Grund.

"Häufig wurden bei Rückständen frische Offensivkräfte eingewechselt, während Trainer in Führung liegender Teams vermehrt auf eine Absicherung des Ergebnisses durch Einsatz zusätzlicher Abwehrspieler setzten."
Kein messbarer Erfolg durch taktische Wechsel
Gleichzeitig untersuchten die Forscher, wie sich die Spiele nach der ersten Einwechselung entwickelten, indem sie Tordifferenz und Punktestand zum Zeitpunkt der Einwechslung mit den entsprechenden Werten zu Spielende verglichen.

Erstaunliches Ergebnis: Der Erfolg der taktischen Wechsel blieb aus. "Im Gegenteil: Trainer, die ihre taktische Ausrichtung beibehielten, konnten in der verbleibenden Spielzeit deutlich häufiger Resultatsverbesserungen erzielen", resümiert Oliver Gürtler.

"Offensichtlich überschätzen viele Bundesligatrainer bei einem Rückstand die Möglichkeit, durch einen Wechsel zu einer offensiveren Aufstellung noch zum Erfolg zu kommen. Ein Festhalten am vor Spielbeginn festgelegten System wäre oft Erfolg versprechender."
Trainer sind wie Manager
Warum diese Studien ausgerechnet von Wirtschaftswissenschaftlern durchgeführt werden? Nach Auskunft der Uni Bonn liefern die Ergebnisse auch Hinweise für eine sinnvolle Gestaltung der Mitarbeiterentlohnung in Unternehmen.

Wenn z.B. Portfoliomanager einer Investmentbank danach entlohnt werden, ob sich ihr Portfolio an Wertpapieren besser oder schlechter entwickelt als das ihrer Kollegen, würden sie unter Umständen vermehrt auf hochriskante Wertpapiere setzen, wenn bekannt wird, dass ihre Portfolios hinter denen anderer Manager zurück bleiben.

So könnten sie ihrem Unternehmen, den Anlegern, aber letztlich auch sich selber schaden - genau wie unüberlegte Strategiewechsel im Fußball die Mannschaft, den Verein und den Ruf des Trainers gefährden können.

[science.ORF.at/idw, 21.3.05]
->   Homepage Christian Grund, Uni Bonn
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01.01.2010